Es kommt selten vor, dass Facebook so offensichtlich und unverhohlen kritische Beiträge zensiert — und der mediale Aufschrei ausbleibt. Doch genau das passiert gerade. Worum geht es?
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ToggleMax Schrems und der von ihm mitgegründete Verein noyb haben den vierten grossen Sieg für mehr Datenschutz eingeheimst.
Die Schrems-/noyb-Urteile für mehr Datenschutz
Wir erinnern uns an «Schrems I» und «Schrems II», zwei Grundsatzurteile, in denen der europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) klipp und klar festhielten, dass der tägliche Datenverkehr mit den USA nicht mit dem Datenschutzniveau von Europa vereinbar sei, «Safe Harbor»-Abkommen hin oder her.
Mit der Beschwerde gegen Meta wegen illegaler Nutzung der Userdaten für das Training von AI hat die österreichische Datenschutzorganisation im Sommer 2024 einen weiteren Sieg erzielt: Meta musste diese Praxis in Europa aussetzen; die Schweiz profitiert hier — wie in vielen anderen Datenschutzbelangen — als Trittbrettfahrerin.
Und nun kommt Victory Number 4: Gemäss des Grundsatzes der Datenminimierung (gemäss EU-Datenschutzgrundverordnung DSGVO) ist Meta verpflichtet, seine Datensammlungen zu minimieren. Wie das EuGH letzte Woche ankündigte, gelte dies auch für die Online-Werbung von Meta, dem Mutterkonzern von Facebook, Instagram und WhatsApp. Bisher weigerte sich der IT-Konzern Löschfristen etc. festzulegen und stellte sich einen Freipass aus, sobald jemand ein Profil erstellte und seine unausweichliche Zustimmung zur Datenschutz-Policy geben musste. Und damit einen Freipass für die Datensammlung forever erteilte, sozusagen.
Damit soll jetzt Schluss sein. Wieder hat der EuGH gesprochen.
Rechtsanwältin Katharina Raabe-Stuppnig von noyb, die Max Schrems in diesem Falle vertritt, meint dazu:
Meta hat im Grunde seit 20 Jahren einen riesigen Datenpool über die Nutzenden aufgebaut, der täglich wächst. EU-Recht verlangt jedoch eine ‚Datenminimierung‘. Nach diesem Urteil darf nur ein kleiner Teil des Datenbestands von Meta für Werbezwecke verwendet werden – selbst wenn die Nutzer der Werbung zustimmen. Dieses Urteil gilt auch für alle anderen Online-Werbeunternehmen, die oft keine Verfahren zur Datenminimierung haben.
Diesen überfällige Schritt hat noyb am Freitag, 4.10. errungen. Die Organisation publizierte ihre Einordnung des Urteils hier. Das gefiel Facebook offensichtlich nicht. Und liess alle Postings, welche diesen Link enthalten, gleich nach der Veröffentlichung entfernen.
Wir haben das mehrfach getestet. Und natürlich umgehend eine Beschwerde («Überprüfung») eingereicht, die bis heute andauert.
So viel offene Zensur von Facebook gegenüber Facebook-kritischen Beiträgen ist ein Novum.
Die Löschung
Dies sollte eigentlich eine Information sein, die ganz besonders Facebook-Nutzer:innen interessieren sollte. Deshalb posteten wir (neben anderen Kanälen) unabhängig voneinander Beiträge auf Facebook, jeweils mit dem Link auf die Einordnung des Urteils durch noyb.
Doch wenige Sekunden nach dem Posten erschienen Popup-Nachrichten, dass unser Post irreführender Spam sei und gegen Community-Standards verstosse. Dabei wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir versucht hätten, auf «anscheinend […] irreführende Art und Weise “Gefällt mir”-Angaben, Follower, geteilte Inhalte oder Videoaufrufe zu generieren.» Gleichzeitig betont Facebook aber auch, dass ihnen mein «Recht auf Meinungsfreiheit» wichtig sei:
Wir möchten, dass du dich beim Teilen von Inhalten nicht eingeschränkt fühlst. Wir entfernen Dinge nur bzw. wir schränken Nutzer nur ein, um unsere Community als sicheren und respektvollen Ort zu bewahren.
Auszug aus einem der unzähligen Dialoge, die beim Widerspruch («Überprüfung») gegen eine Löschung («Entfernung») erscheinen.
Sowohl die Informationen als auch deren Webseiten verfolgen keine irreführenden Absichten. Im Gegenteil. Und unser Ziel war, die Community durch mehr Bewusstsein über Datenschutz zu einem noch sichereren Ort zu machen.
Ganz besonders überraschte uns, dass das Erste, was uns nach dem Einloggen präsentiert wurde, ein ganz offensichtlich irreführender Post war. Aber das ist Werbung, d.h. der Post bringt Meta ja Geld ein, da schaut man besser nicht so genau hin (und das Problem mit Scam-Ads rund um Crypto-Plattformen auf Facebook und Instagram ist riesig, auch hier ein Beispiel mit Meteo-Moderatorin Sandra Boner).
Eine Überprüfung dauere — laut automatischer Antwort von Facebook — «in den meisten Fällen […] maximal 4 Tage, es kann aber auch länger dauern». Die vier Tage sind inzwischen um. Und laut anderen Berichten kann es auch mehrere Wochen oder noch länger dauern. Warten wir ab. ⏳
… ist kein Einzelfall
Während immer mal wieder harmlose Links fälschlicherweise als «irreführend» geblockt wurden (z.B. Artikel von Matthias Schüssler zu neuen iPadOS-Funktionen oder vom PC-Tipp zu einer Videobearbeitungsapp), scheinen dieses Jahr mehr als je zuvor kritische Beiträge zu Meta bei Facebook automatisch geblockt zu werden:
- So hat unser Redaktionskollege Reto Vogt im Februar, damals als Chefredaktor von Inside IT, zum 20. Jubiläum von Facebook eine Übersicht über die Firmengeschichte, auch deren Schattenseiten. Dieser wurde allerdings umgehend geblockt.
- CNN berichtete im Frühling darüber, dass Facebook-kritische Journalist:innen und unabhängige Zeitungen vermehrt geblockt würden und unterstellt Zensurabsicht. Grundsätzlich scheinen News-Artikel allgemein vermehrt bei Facebook geblockt zu werden.
«Section 230» als Ursache des Problems
Dass Meta nach eigenem Gutdünken schalten und walten darf, geht auf den amerikansichen Communications Decency Act und seiner «Section 230» zurück. Dieser ist die rechtliche Grundlage für das Mitmach-Netz, für das Web 2.0. Im Positiven, wie auch im Negativen. Sämtliche soziale Netzwerke bauten darauf auf, dass sie für von den Nutzerinnen erstellten Inhalte NICHT HAFTEN müssen, also rechtlich gesehen.
Darüber hinaus erlaubt es Section 230 den Plattformen ausdrücklich, Inhalte nach eigenem Ermessen zu moderieren und zu entfernen, solange dies «in gutem Glauben» geschieht.
Das bedeutet Meta hat einen Spielraum bei Entscheidungen zur Inhaltsmoderation.
Zumindest in den USA. Eingeschränkt wird Section 230 aktuell nur durch die Gesetze anderer Länder und Regionen, wie etwa in der EU.
Aktuelle rechtliche Lage in der EU und der Schweiz
Man sollte eigentlich erwarten, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, ein aggressives Vorgehen gegen unternehmenskritische Information an den Tag zu legen. Denn Facebook ist in der EU — neben dem aktuellen noyb-Schrems-Verfahren, zu dem das schriftliche Urteil noch aussteht — gleich von mehreren Seiten unter Beschuss. Im Zuge des Digital Services Act (DSA; zu Deutsch: Gesetz über digitale Dienste, GdD), das seit dem 17.2.2024 europaweit gilt, ist der Meta-Konzern im Visier von Brüssel. Und eigentlich sind Konzerne wie Meta mit dem DSA verpflichtet «mehr Demokratie und Rechsstaat» in ihr Geschäftsmodell reinzubringen.
Das neue Regelwerk gilt für alle EU-Staaten, den EU-Datenmarkt und damit auch für IT-Konzerne, die auf diesen Markt tätig sind. Die beiden Meta-Töchter Facebook und auch Instagram erfüllen nämlich die Kriterien als VLOP («very large online platform»); die Netzwerke haben jeweils über 45 Millionen User:innen.
Gemäss des Digital Services Act muss Meta illegale Beiträge löschen, gegen Hassrede vorgehen und prüfen, ob sich ihr Algorithmus negativ auf die menschliche Psyche auswirkt. Und für externe Forschende Zugang auf ihre Datensammlungen geben, sowie angemessene Beschwerdewege einführen, damit sich Nutzer:innen gegen Entscheidungen der automatischen Moderations-Algorithmen und des Content Moderations-Teams wehren können.
Die DSA schreibt vor, dass Plattformen über leicht zugängliche und benutzerfreundliche Systeme zur Meldung von Problemen verfügen müssen (Artikel 16 des DSA). Außerdem müssen sie eine klare und leicht zugängliche Anlaufstelle für Nutzer bieten (Artikel 12), um Probleme zu melden.
Offenbar ist dieser Punkt nicht oder kaum umgesetzt. Denn die Überprüfung unserer Beschwerden hält keinen rechtstaatlichen Kriterien stand (sie ist weder effizient, noch waren die Gründe zur Beschwerde angemessen).
Gegen Meta wird bereits ermittelt, Brüssel leitete ein Verfahren wegen Verstoss des DSA ein. Grund sind süchtig machende Designs, welche bei Jugendlichen schädliche Inhalte förderten. Die irische Medienregulierungsbehörde ist hier in Charge — die Anlaufstelle für viele Untersuchungen, weil die meisten Big Tech-Konzerne ihren europäischen Sitz in Irland haben.
«Sobald die Phase der Informationssammlung abgeschlossen sei, wird die irische Datenschutzbehörde den Plattformen in Kontakt treten, um sicherzustellen, dass ihre Meldemechanismen und Kontaktstellen den Anforderungen des DSA entsprechen,» sagte die irische Medienregulierungsbehörde gegenüber Techcrunch.
Verstösse gegen den DSA können ins Geld gehen: Meta müsste bis zu 6 % des weltweiten Jahresumsatzes als Busse bezahlen. Die EU-Kommission bestätigt auf Anfrage von DNIP.ch, das sie derzeit den Konzern auf Einhaltung des Digital Services Act untersucht. Abgesehen davon müsste Meta bereits 1.2 Milliarden Dollar wegen Verstoss gegen die DSGVO an die EU bezahlen (ebenfalls angeregt durch noyb und Max Schrems, weil Meta trotz aufgehobenem Privacy Shield weiterhin illegal transatlantische Datenströme betrieb). Verfügt wurde die Busse von der irischen Datenschutzbehörde. Natürlich hat Meta Berufung eingelegt, das Verfahren wird sich hinziehen.
Und was tut sich in der Schweiz?
Das Bundesamt für Kommunikation BAKOM versprach, das europäische DSA für die Schweiz zu adaptieren. Doch der Schirmherr und SVP-Bundesrat Albert Rösti scheint es nicht allzu eilig zu haben. Eigentlich war eine Vorlage auf Frühjahr 2024 geplant, dann fand eine Verschiebung auf Herbst/Winter statt. Zeitgleich sollten das Bundesamt für Justiz und das BAKOM sich noch mit dem europäischen AI Act beschäftigen und auch hierzu bis Ende 2024 einen Bericht über potenzielle Regulierungsansätze abliefern.
Wann das genau sein wird, ist unklar. Publiziert wurde bis heute nichts zum Schweizer Äquivalent des DSA.
Der Autobahnausbau, neue AKWs, die Biodiversität oder Wolfsjagden scheinen für den UVEK-Bundesrat derzeit wichtig(er) zu sein.
Auch X ist im Visier
Gegen das Netzwerk X, in seinen guten Tagen als Twitter bekannt, läuft seit Herbst 2023 ebenfalls ein Verfahren der EU. Inhaber Elon Musk hielt es nicht für nötig, gegen Desinformation rund um die Terror-Attacke der Hamas vorzugehen oder den Fragekatalog der EU zu beantworten. Dem vorgeblichen Verfechter von «Free Speech» würde man sein Engagement eher glauben, wenn er nicht gleichzeitig heftig gegen Kritik an seiner Person vorgeht oder die Accounts mehrerer linker Journalist:innen löscht, die Recherchen über Tesla und X veröffentlichten.
Was meint noyb dazu?
Auch für die zivilgesellschaftliche Organisation noyb, die ja schon einige Auseinandersetzungen erlebt habe, ist diese Form von Zensur neu. Hier das Statement der Sprecherin:
Wir waren tatsächlich auch sehr überrascht, dass das nicht möglich ist und haben zahlreiche Rückmeldungen von anderen erhalten, dass es es generell nicht möglich ist, diesen Link zu posten. Unseres Wissens ist das nun zum ersten Mal in dem Ausmaß. In der Vergangenheit wurden manchmal einzelne Posting beanstandet, jedoch freigeschaltet, nachdem man eine Überprüfung beantragt hat.
Ich habe nun getestet, ein Posting für unseren Artikel zum EuGH Urteil vom Juli 2023 (Meta v Bundeskartellamt) zu erstellen – dieses wurde ebenso gelöscht. Andere Postings mit Links zu unserer Webseite sind aber problemlos möglich (z.B. zur “Excercise Your Rights” Serie, wo es um Betroffenenrechte geht). Man müsste es womöglich mit Links zu anderen, nicht META bezogenen EuGH Urteilen testen, ob Facebook generell keine Beiträge zu Gerichtsurteilen zulässt.
Wir sind hier natürlich überrascht und können die Entscheidung nicht nachvollziehen. Glücklicherweise sind wir auf die Plattform absolut nicht angewiesen, um unsere Informationen zu verbreiten. Für uns ist das daher nicht mehr als eine weitere Kuriosität in unserer langjährigen “Beziehung” mit dem Konzern.
Antwort von noyb auf unsere Anfrage
Natürlich haben wir auch bei Meta nachgefragt, genauer bei den Public Policy und Country Managern der DACH-Region. Bisher sind keine Antworten eingetroffen. (Wir würden diese hier nachführen, gehen aber davon aus, dass Meta dazu lieber schweigen wird; zu offensichtlich ist die Zensur.)
Auch unsere oben bereits erwähnten Überprüfungsanträge vom 5. Oktober bei Facebook zu den Löschungen ergaben trotz inzwischen mehr als 4 Tagen bisher noch keine Reaktion.
Facebook, quo vadis?
Die Haupteinnahmequelle von Facebook, wie von vielen anderen Social-Media-Firmen, ist die Werbung. Es ist daher nicht unerwartet, dass auch Meta alles tut, um diese Einnahmen beizubehalten. Dazu gehören:
- Maximierung der Anzahl User,
- Maximierung der Zeit, die diese User auf der Plattform verbringen (Social-Media-Sucht ist in ihrem Interesse),
- Maximierung der Emotionen, welche Posts auslösen,
- Maximierung der Daten, die man von den Usern sammelt, in der Hoffnung, dass man damit (a) das Verhalten der Nutzer:innen möglichst gut tunen kann und (b) die Werbung möglichst teuer verkaufen kann (auch wenn die angebliche Targeting-Genauigkeit bei Werbung mancherorts bezweifelt wird),
- Minimierung der abgelehnten Werbung und
- Minimierung der negativen Emotionen gegen Facebook in Posts.
Als Resultat werden die Probleme und daraus resultierenden Kosten auf die Individuen und damit die Gesellschaft abgeschoben, während die Gewinne privatisiert werden.
Natürlich sind wir nicht — wie in ähnlichem Zusammenhang über Andere behauptet — so naiv und glauben, dass Facebook eigentlich nur Friede, Freude, Eierkuchen sein sollte. Wir sind aber erstaunt, wie naiv und grosszügig die Politik bisher auf Gesetzesverstösse von Big-Tech-Firmen reagiert: Hier ist es Datenschutz, bei KI ist das Urheberrecht; während gleichzeitig auf die Kleinen geschossen wird.
Das Problem liegt am aktuellen Werbe-und-Tracking-Geschäftsmodell vieler Digitaldienste.
Bei anderen Themen (wie z.B. Chatkontrolle) sind sich die IT-Experten einig, dass es nicht möglich ist, nur «den Guten» Zugang zu privaten Daten zu gewähren. Trotzdem schreit die Politik «Nerd harder!» (in etwa: «Ihr strengt euch einfach noch nicht genügend an, ihr Nerds!»).
Wenn es aber darum geht, dass ganze Geschäftsmodelle von Big-Tech-Firmen eigentlich nur funktionieren, wenn für sie Datenschutz oder Urheberrecht grosszügiger ausgelegt werden als für alle anderen, dann akzeptieren das breite Bereiche der Politik ohne mit der Wimper zu zucken.
Und weil Meta-CEO Mark Zuckerberg offenbar nicht mehr so sehr in den negativen Schlagzeilen steckt wie auch schon, Facebook sowieso «vorbei» ist und er mit seinem offenen Sprachmodell viel Applaus in der Tech-Branche, aber auch in der akademischen Szene eingeheimst hat, sind ihm die noyb-Anhängerschaft und die paar kritischen Tech-Journalist:innen wohl sehr egal.
Oder anders: Ist der Datenschutz-Ruf erst ruiniert, zensiert es sich recht ungeniert.
Update 10.10.2024 um 15:00: Leser Björn Maag hat uns zu Recht darauf hingewiesen, dass das EuGH-Urteil eigentlich auch die Schweiz interessieren müsste. Denn auch das Datenschutzrecht der Schweiz (DSG) verlangt wie die EU Datenminimierung/sparsamkeit als gesetzlich verankerter Grundsatz. Die letzte Mitteilung zum Thema Meta und noyb von Seiten des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten EDÖB stamm jedoch von Juni 2024 (zum Thema KI-Training). Vielleicht kommt da noch was.