«Big Tech muss weg!» heisst ein aktuelles Buch eines deutschen Medienwissenschaftlers und KI-Unternehmers. Seine Argumente überzeugen. Aber passieren wird kaum etwas, schreibt Kolumnist Reto Vogt.
Das Problem, das Martin Andree beschreibt, ist nicht neu. Big-Tech-Konzerne haben zu viel Macht im Internet, weshalb dieses nicht mehr frei ist. Deshalb, eben, muss zumindest ihm zufolge Big Tech weg. Mit Ausrufezeichen.
Erstmals begegnet bin ich dem promovierten Medienwissenschaftler (und Unternehmer, mehr dazu weiter unten) diese Woche. Ich hörte seinen rund 20-minütigen Auftritt an den diesjährigen Swiss Radio Days (hier, ab Minute 59). Durchaus unterhaltsam führt Andree aus, warum Big-Tech-Unternehmen der Demokratie schaden. Während Youtube, Facebook, Google und Instagram weltweit den (fast) gesamten Webtraffic auf sich vereinen, bleibt für alle anderen (fast) nichts mehr übrig. 0,98 betrage der Gini-Koeffizient der Traffic-Verteilung. Zur maximal ungerechten Verteilung fehlen also nur noch 0,02 Punkte. Denn bei einem Gini-Index von 1 ist die maximale Ungerechtigkeit erreicht. Bei der Verteilung von Vermögen würde in einem Land eine Person alles besitzen, alle anderen nichts. Demgegenüber steht ein Gini-Indexwert von 0, bei dem alle in einem Land gleich viel besitzen (oder auf alle Inhalteanbieter gleich viel Traffic im Internet entfällt).
Verteilung des Webtraffics maximal ungerecht
Das ist in der Tat ein grosses Problem, da bin ich mit Martin Andree völlig einig. Seine These, wonach der faire und freie Wettbewerb im Markt der digitalen Medien vollständig abgeschafft worden sei, ist zwar steil, aber durchaus plausibel. Wenn die grossen Plattformen nahezu allen Traffic auf sich vereinen, für Onlinemedien entsprechend nur noch Brösmeli übrigbleiben, haben sie faktisch keine Existenzgrundlage mehr. Und eine Welt ohne Medien ist eine durch und durch antidemokratische Welt, das muss ich niemandem erklären.
Andrees Vorschlag, dass Big Tech “wegmuss”, ist indes alles andere als neu. Anfang dieser Woche hat das US-Justizministerium bei Gericht ein Dokument eingereicht, das Google an den Kragen will, wegen eines illegalen Monopols bei der Websuche.
Mehrere Zerschlagungsversuche schlugen fehl
Die Behörde geht nicht zum ersten Mal gegen den Konzern vor. Schon Anfang 2023 lag dieselbe Idee auf dem Tisch, damals wegen wettbewerbsfeindlichen Methoden im Werbemarkt. Und 2020 klagte die US-Regierung wegen angeblich unerlaubter Deals mit Smartphone-Herstellern und Netzbetreibern. Doch der erste Versuch, gegen Big Tech vorzugehen, liegt noch viel länger zurück. Vor sage und schreibe 24 Jahren ordnete ein Richter die Aufsplittung von Microsoft an, in ein Unternehmen für Betriebssysteme und in eines für Applikationen. Der Spiegel hat die Chronologie des Kartellverfahrens nachgezeichnet.
Das Problem von zu dominanten Tech-Unternehmen ist also über zwei Jahrzehnte alt. Alle bisher bekannten (und unbekannten) Vorhaben, etwas gegen Big Tech zu unternehmen, haben eines gemeinsam. Sie haben nichts bewirkt; sogar das erwähnte richterliches Urteil nützte nichts (Microsoft legte erfolgreich Berufung ein). Wenn wir also aus der Vergangenheit eines lernen wollen, dann dies: Es hat sich damals nichts geändert und es wird sich auch morgen nichts ändern. Ich glaube nicht, dass die Macht der Konzerne beschränkt werden wird. Dass sie es könnte, ist keine Frage. Einige Möglichkeiten hat Martin Andree in seiner Keynote ausgeführt. Nur passieren wird es nicht.
Big Tech ist für freie Onlinemedien tödlich
Dafür gibt es zu viele Befindlichkeiten, Eigeninteressen und Abhängigkeiten. Martin Andree ist nebst seiner Professur an der Kölner Universität Gründer eines Startups, das im Bereich KI und Machine Learning im Bereich Digital Marketing tätig ist. Ihm käme es als Unternehmer entgegen, würde die Dominanz von Big Tech gebrochen. Und auch für mich als Journalist ist es wichtig, dass freie Onlinemedien eine Zukunft haben. Auch diese sieht rosiger aus, wenn es Meta und Google in dieser Form nicht mehr gäbe. Ohne die Webdominanz von Big Tech würden Medien mehr Besucher:innen zählen und entsprechend mehr Abos, Spendengelder und nicht zuletzt auch Werbeeinnahmen generieren. Und auch Big Tech selbst profitiert: Wird nur ein Konzern zerschlagen, nimmt die Macht aller anderen noch mehr zu. Deshalb halten sie zusammen.
Der Begriff aus der Bankenwelt, «Too Big to Fail», passt für Big Tech nicht. Vielmehr müsste es heissen «Too Big to be Fair», aber wohl auch «Too Big to be Broken». Es würde mich stark überraschen, wenn trotz der vielen guten Gründe aus wenigen «Bigs» plötzlich viele «Small Techs» werden.
6 Antworten
Ich komme gerade zurück aus China. Nicht, dass ich das Internet-Modell China propagieren möchte. Aber Fakt ist, es beinhaltet alternative Player. Diese darf jeder beurteilen, wie er/sie will. Aber Fakt ist: sie drängen in unseren Markt, ob wir wollen oder nicht (6G usw.). Frage: ist der Anteil China am weltweiten Internet in den .02 Prozent eingerechnet, oder warum blendet man diese Player bei den Überlegungen einfach aus?
Offen gestanden weiss ich nicht, ob die chinesischen Player eingerechnet worden sind oder nicht. Ich zitiere lediglich die Zahlen von Martin Andree.
Wo finden man Fakten für die Annahme hinter der Annahme, dass der Gini-Koeffizient 0.98 sei? Wie misst er Webtraffic, denn schon Netflix oder TikTok hat er nicht erwähnt, aber ein Streaming-Dienst oder eine Video-App produziert sehr viel Web-Traffic, wobei nicht klar ist, was der Medienwissenschaftler darunter versteht. Er redet von Minuten. Minuten von Nutzungszeit? Aber auch hier sind Videoformate doch eher Zeitfresser. Solange nicht mehr Fleisch hinter dieser Zahl, ist, sollte man sie nicht zitieren, bzw. einordnen. Dass wir eine starke Konzentration haben, ist mehr als klar, aber da würden Fakten helfen. Die hohe Konzentration ist aber nicht allein auf Monopolverhalten der Anbieter zurückzuführen, sondern auch auf die angebots- und nachfrageseitigen Skaleneffekte.
Die Quelle dieser Zahlen ist mir nicht bekannt; ebenso wenig wie sie genau zustande kommt. Mehr Transparenz diesbezüglich wäre sicher wünschenswert. Nichtsdestotrotz: Ich finde den Gini-Koeffizienten zitierfähig, weil er nicht von einer 0815-Person ins Netz gestellt worden ist, sondern von einem promovierten Medienwissenschaftler auf einer Bühne genannt worden ist. Der Urheber ist (für mich) seriös genug, um ihn zu zitieren.
Cory Doctorow hat im April in seinem Blog Pluralistic den Artikel “Too big to care” [1] veröffentlicht. Es geht darin auch um das Monopol von Google in der Suche und zeigt mit Kagi [2] eine sehr gute Alternative auf, welche ich selber nun schon seit Januar 2024 nutze und schätze. Das nachdem ich mehr als ein Jahrzehnt lang DuckDuckGo benutzte.
[1] https://pluralistic.net/2024/04/04/teach-me-how-to-shruggie/#kagi
[2] https://kagi.com/
Die Rechnung mit Netzbandbreite und Anteil daran ist Leerlauf, denn zumindest die Bandbreite ist erst mal ohne Limite, der Inhalt einer Seite von Text, als Bytes resp Inhalt, und einem Sound-, resp Videoclip sollten nicht verglichen werden. Netzbandbreite kommt von Netzcontent, wenn er abgerufen wird. Jeder kann, und darf zumindest hier beliebig viel Content anbieten, resp aufschalten. Zu marginalen Kosten. Die Produktionskosten korrelieren nicht mit der Grösse des Contents noch mit der nachher erzielten Bandbreite. Es sollte also eher von einem Eldorado gesprochen werden, wo jeder mit einer Spitzhacke Nuggets finden kann, ungeachtet der grossen Player. Deren Spezialität ist nur die Skalierung von Content zu Bandbreite. Die Bereitstellung von Content ist also vernachlässigbar. Das Problem liegt also in der Metrik. Die Qualität des Contents sollte etwas über einer leeren Seite liegen um mehr wie einmal angesehen zu werden. Die Anforderung liegt also am Content, erst mal unspezifiziertem Content, oft angeschaut zu werden. Eine legitime Anforderung, denn es war ja Aufwand. Bedingt aber die Umwelt schaut sich’s auch an. Die eine Frage ist nun wie wenig Inhalt schaft’s wie weit. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ein Virus genügt. Ein Kollege erzählt’s dem Nächsten bis Google den Beitrag auch findet.
Hier helfen die grossen Player und skalieren auch dürftigen Inhalt schnell auf viele Ansichten hoch. Und … traraaaaa .. es ist sogar noch gratis. Das Problem der Verbreitung ist also gelöst. Treibt den neidigen Troll raus.
Der Neid setzt dort ein, wo diese Player eine solche Dienstleistung nicht nur gratis anbieten, und etwas verdienen, sondern auch noch eine hohe Börsenbewertung haben.
Selbst so eine Dienstleistung zu schreiben ist möglich. Es ist keine geheime Raketentechnologie.
Youtube ist eine eher einfache Sache. Der Benutzer zahlt nichts, die Kosten bleiben erst mal beim Betreiber. Damit auch noch etwas zu verdienen ist Kunst, resp Arbeit und Aufwand.