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Liebe Kantone, wie habt Ihr es mit Twitter?

Photo by Pixabay

Seit Elon Musk Ende Oktober 2022 Twitter übernommen hat, hat sich auf der Plattform einiges geändert. Stand zuerst die Vermutung im Raum, dass seine ersten drastischen Massnahmen schlicht seinem Unwissen über die Funktionsweise einer Social Media-Plattform zuzuschreiben waren und er eine steile Lernkurve vor sich haben würde, wurde schon Ende 2022 deutlich, dass Musk Twitter als seine persönliche Spielwiese ansieht und und schnell mal beleidigt reagiert, wenn ihm etwas nicht in den Kram passt (wir berichteten darüber). Allem Erwähnen von „Free Speech“ zum Trotz ging es ziemlich schnell primär um „Speech I like“.

Im ersten Quartal 2023 folgte mit dem Abschalten der bisher kostenlos nutzbaren APIs (Programm-Schnittstellen direkt zu Twitter, ohne Nutzung des Web-Interface) ein weiterer Schritt mit grossen Folgen. Nicht nur waren die bisher gerne genutzten Twitter-Apps von Drittanbietern über Nacht nutzlos, auch verschwanden viele nützliche Dienste welche bisher automatisch ihre Tweets in die Timeline gestellt hatten. Und es wurde Wissenschaftlern praktisch unmöglich gemacht, Tweets automatisiert nach Trends zu durchsuchen oder zum Beispiel herauszufinden, welche Gruppe von Accounts für die Verbreitung einer Verschwörungstheorie verantwortlich ist.

Und Verschwörungstheorien nahmen in den letzen Monaten gleichermassen zu wie Accounts von mutmasslichen oder bekannten Rechtsextremen, vor allem in USA. Nachem sie in Vor-Musk-Zeiten von der Plattform ausgesperrt worden waren, liess Musk die Accounts nun reihenweise wieder aktivieren. Die wiederzugelassenen User nutzten das Angebot mit Freuden und setzten ihre Tweets mehr oder weniger dort fort, wo sie vor ihrer Sperre aufgehört hatten: Mit dem Verbreiten von Verschwörungstheorien und dem Hetzen gegen Andersdenkende, andere Ethnien oder schlicht liberal denkende Menschen. Medien, welche auf diese Umstände hinwiesen, wurden von Musk wegen angeblicher Geschäftsschädigung angeklagt.

Kein Wunder also, dass sich neben vielen Privatpersonen auch Unternehmen und Medienhäuser von Twitter zurückziehen oder zumindest ihre Aktivitäten zurückfahren.

Was machen die Schweizer Kantone?

Sowohl der Bund als auch die Schweizer Kantone sind mit eigenen Accounts (und Social Media-Teams) auf Twitter aktiv. Der Grund für die Präsenz bzw. die damit verbundene Strategie ist bei allen in etwa ähnlich: Twitter wird als Kanal zur Information der Öffentlichkeit verwendet und deckt so einen Teil der gesetzlichen Informationspflicht ab:

  • Verbreitung der Medienmitteilungen der Kantone (bzw. der Links darauf) über Twitter,
  • Resultate von Wahlen und Abstimmungen,
  • Krisenkommunikation (zumindest teilweise, und jeweils als Ergänzung zu Kanälen mit grösserer Reichweite),
  • Image-Pflege in den sozialen Medien.

Zielgruppe sind neben der Öffentlichkeit an sich insbesondere Medienschaffende, da die Kantone (nicht ganz unberechtigt) davon ausgehen, dass sich diese ihre Recherchen-Ideen unter anderem über Twitter holen.

Einzelne Kantone verfolgen auch das Ziel, via Twitter in den Dialog mit der Bevölkerung zu treten. In der Praxis findet das (wie man beim Betrachten der entsprechenden Accounts leicht erkennen kann) eher selten statt. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass selbst in kleinen Kantonen der Weg vom Social Media-Team zur entsprechenden Amtsstelle zu weit ist als das ein einigermassen zeitnaher Austausch auf Twitter möglich wäre. Genutzt wird diese Möglichkeit daher primär in Kantonen, in welchen einzelne Amtsstellen eigene Twitter-Accounts haben (oder zum Beispiel von der Stadtpolizei Zürich, die ihren Twitter-Account durchaus aktiv bewirtschaftet).

Wir wollten von den Deutschschweizer Kantonen wissen, ob sie eine ungefähre Vorstellung der Reichweite ihrer Twitter-Aktivitäten haben. Auch hat es uns interessiert, ob sie die in der Einleitung erwähnten Veränderungen im Auge haben und allenfalls über Alternativen nachdenken.

Eins vorneweg: der schnellste Kanton beantwortete die Fragen im Detail innert 29 Minuten, an einem Samstag(!). Der zweitlangsamste brauchte zwei Wochen, um uns mitzuteilen, dass der Kanton auf Twitter trotz Account nicht aktiv sei (und der langsamste hat deutlich mehr als zwei Wochen für die Antwort gebraucht…).

Zur Reichweite

Generell steht für den Kanton eine grosse Reichweite nicht direkt im Zentrum, da sie die Twitter-Präsenz als Teil ihres Informationsauftrags ansehen. Auch dürfte gerade das Verwittern von Medienmitteilungen weitgehend automatisiert erfolgen, so dass sich auch die Kosten-/Nutzen-Frage nicht unbedingt stellt. Hinzu kommt, dass eine Reichweiten-Messung kaum mehr möglich ist, da Daten wie Anzahl Views etc. auf Twitter nur noch sehr eingeschränkt zu sehen sind. Auch spielen Faktoren eine Rolle, welche nicht konkret messbar sind:

  • Vertwittert ein Kanton Medienmitteilungen nur als Ankündung („neue Medienmitteilung aufgeschaltet, siehe LINK“) oder mit einem sprechenden Titel oder sogar einer Kurzzusammenfassung?
  • Informieren sich Zielgruppen wie Medienschaffende über Twitter oder, weil zum Beispiel das Twitter-Angebot eher neu ist, über per Mail verschickte Medienmitteilungen?
  • Wie bekannt ist Twitter im jeweiligen Kanton überhaupt, und wie ist die Nutzung im Vergleich zu anderen Social Media-Kanälen (Facebook, Instagram) bzw. klassischen Kanälen wie Radio, Zeitung oder Kirchenchor?

Es ist daher nicht überraschend, dass die meisten Kantone auf ausführliche Messungen verzichten. Aufschluss können allenfalls indirekte Daten wie Followerzahlen oder Zahl/Anteil der via Twitter erfolgten Zugriffe auf kantonale Webseiten geben:

  • Im Kanton Zürich erfolgten in den vergangenen drei Monaten 2.5% der Webseiten-Zugriffe via auf Social Media publizierten Links, von diesen stammten 8% von Twitter. Zum Vergleich: 64% der Social Media-basierten Zugriffe stammten von Facebook, 16% von Instagram und sogar LinkedIn hatte mit 12% noch die Nase vorn. Oder mit anderen Worten: Twitter macht rund 0.2% Prozent der kantonalen Webseitenzugriffe aus.
  • Dass Zugriffe alleine nicht aussagekräftig sind, zeigt sich im Kanton Appenzell-Innerrhoden. Dort gingen in den letzten sechs Monaten rund 4% der Webseiten-Zugriffe von Twitter aus, die Verweildauer und Interaktionen bei diesen Zugriffen aber deutlich höher lagen als bei allen anderen Kanälen.
  • Im Kanton Aargau hat wie im Kanton Zürich Facebook als Quelle die Nase vorn, Twitter wie auch LinkedIn generieren nur je etwa halb so viele Zugriffe.
  • Völlig anders zeigt sich die Situation im Kanton Basel-Stadt, wo in den vergangenen drei Monaten gut 5’000 Zugriffe über Twitter-Posts erfolgten, aber nur rund 650 via Facebook.
  • Besser ins Bild passt dann wieder der Kanton Graubünden, wo 0.5% aller Zugriffe via Facebook ausgelöst werden während Twitter nur zu vereinzelten Zugriffen führt.
  • Auswertungen im Kanton St. Gallen zeigen, dass die Zahl der Twitter-Follower in den letzten zwölf Monaten zurückgegangen sind während auf den anderen Plattformen ein Wachstum festzustellen ist. Dies hat auch dazu geführt, dass die Interaktionsrate auf Twitter deutlich tiefer liegt als bei Facebook, Instagram oder LinkedIn.

Wie oben erwähnt geben diese Zahlen ein unvollständiges Bild der Bedeutung von Twitter und messen nur Teilaspekte. Insbesondere ist unbekannt (und auch nicht ohne weiteres herauszufinden), ob Zielgruppen wie Medienschaffende sich effektiv via Twitter informieren. Jedenfalls deuten die Zahlen darauf hin, dass Twitter auf teilweise tiefem Niveau weiterhin eine Rolle als Informationskanal spielt.

Wie sehen die Kantone die zukünftige Verwendung von Twitter?

Die Antworten auf Fragen zur zukünftigen Verwendung von Twitter fielen sehr vielfältig aus, da scheint jeder Kanton seine eigene Strategie zu fahren.

Eine klare Position hierzu hat der Kanton Glarus, der auf die Frage „Hält der Kanton trotz der sinkenden Bedeutung von Twitter und dem Risiko, dass Tweets des Kantons direkt neben rechtsextremen Inhalten angezeigt werden, an Twitter als Kanal fest?“ mit der Gegenfrage „Auf welcher erhärtbaren Faktenlage gründen Ihre Feststellungen?“ antwortet. Immerhin beabsichtigt man trotzdem, das Thema im Rahmen der aktuell laufenden Überarbeitung des Social Media-Konzepts anzugehen.

Am anderen Ende des Spektrums sind Kantone wie Basel-Stadt, St. Gallen und Zürich zu finden:

  • St. Gallen verweist auf die kantonale Social Media-Strategie: „Der Kanton St.Gallen beendet die aktive Betreuung eines Kanals, wenn die aufgewendeten Ressourcen in keinem Verhältnis zur Community-Grösse und der Reichweite von Beiträgen mehr stehen oder der Kanal in Verruf gerät.“ In Bezug auf Twitter sieht der Kanton den Zeitpunkt gekommen, die Bedeutung des Kanals zu evaluieren.

    Offen ist noch, welche Kanäle als Alternative in Frage kommen können. Mastodon wurde in einer Evaluation als für die breite Bevölkerung zu wenig relevant eingestuft, Bluesky ist weiterhin eine Option. Ausserdem beabsichtigt der Kanton, in diesem Jahr die Verwendung von Messenger-Diensten wie Threema, WhatsApp oder Telegram als Alternative für die Krisenkommunikation zu pilotieren.
  • Basel-Stadt führt eine Reihe von Kriterien für einen allfälligen Verzicht auf Twitter auf, darunter auch „wenn der Kanal für uns und/oder für die Follower kostenpflichtig würde“ und „wenn auf Twitter/X in grossem Mass Inhalte verbreitet würden, die nicht mit dem Selbstverständnis des Kantons vereinbar wären“. Auch betreibt der Kanton unter @BaselStadt@tooting.ch ein eigenes Mastodon-Account, erreicht damit zur Zeit allerdings nur eine kleine Gruppe von Interessierten.
  • Einen Schritt weiter ist der Kanton Zürich. Dort wurde den Betreibern der kantonalen Twitter-Kanäle vor einigen Wochen empfohlen, den Betrieb auf Twitter einzustellen (mit Ausnahme von «Kanton Zürich» und «Kantonspolizei Zürich», welche sich aber auf die Verbreitung von Medienmitteilungen und damit die Erfüllung des Informationsauftrages beschränken sollen).

Die übrigen Kantone beobachten primär die Situation und/oder beabsichtigen, sich am Vorgehen anderer Kantone und des Bunds zu orientieren:

  • In Nidwalden beobachtet man die Verschlechterung des Umgangstons und die Zunahme von Hassinhalten in den sozialen Medien mit Besorgnis. Solange diese Veränderungen keinen signifikanten Einfluss auf die erzielte Reichweite und die Interaktionen haben, sieht man jedoch von konkreten Massnahmen ab.
  • Der Kanton Bern hat kürzlich einen News-Abo-Dienst eingefüht, um Informationen unabhängig von sozialen Medien verbreiten zu können.
  • Ähnliche Massnahmen hat der Kanton Schwyz ergriffen, hier gibt es seit einiger Zeit einen offiziellen WhatsApp-Kanal.
  • Im Thurgau kann man sich (Stand Ende November) die Nutzung von Mastodon als Alternative zu Twitter vorstellen, hat aber noch keine entsprechenden Entscheide gefällt.
  • Verschiedene Kantone verweisen darauf, dass die Nutzung von Social Media-Kanälen generell regelmässig im Hinblick auf die Zielerreichung überprüft werde, und dabei auch Aspekte wie der Umgangston und die generelle Verbreitung betrachtet werden.

Kein Kanton beabsichtigt momentan, eine eigene Mastodon-Instanz zu betreiben.

Fazit

Die Ergebnisse der Umfrage unter den Kantone dürften wohl die wenigsten überraschen. Twitter wird (wie die übrigen Social Media-Kanäle auch) primär zur Informationsverbreitung und Selbstdarstellung verwendet. Damit bleibt Twitter ein valider Kanal, zumindest solange sich die anvisierten Zielgruppen weiterhin auf der Plattform befinden. Darunter sind für verschiedene Kantone insbesondere auch Medienschaffende, und das dürften wohl die letzten sein, welche sich von Twitter verabschieden würden, zu verlockend ist der schnelle Zugang zu medienwirksamen Inhalten und Quellen.

Immerhin ist den Kantonen teilweise bewusst, dass der Umgangston auf einer Plattform (und das sich dadurch allenfalls ändernde Publikum) auch für nüchterne Kantons-Kommunikation zum Problem werden kann. Denn auch wenn die Kantone selber keine Werbung auf Twitter schalten: Wie sicher können sie sein, dass nicht Andere Werbung basierend auf Keywords schalten, welche zu Tweets der Kantone passen. Insofern ist es erfreulich, dass sich zumindest einige Kantone Gedanken zu Alternativen machen und/oder bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen haben.

Ob WhatsApp (oder ein anderer proprietärer Messenger) als Alternative der Weisheit letzter Schluss ist, wird sich zeigen. Im Gegensatz zu den üblichen Social Media-Kanälen sind Messenger-Inhalte nicht frei zugänglich, und selbst die hohe Verbreitung von WhatsApp alleine sollte kein Grund sein, WhatsApp als „öffentlichen“ Kanal anzusehen. Kantone müssten zumindest darauf achten, dieselben Inhalte auch auf frei zugänglichen Kanälen (Webseiten, Mailing-Listen, für Notfälle/Krisen vielleicht Alertswiss) bereitzustellen.

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Eine Antwort

  1. Überrascht mich nicht.
    ABER Selbstdarstellung setzt immer auch eine Zielbild voraus, welches man beim Rezipienten erzeugen möchte.
    Ob dies mit den Werbe-Tweets unter den Kantonalen-Tweets erreichbar ist sollten die Marketing-Profies sehr genau abwägen. Grosse marketingträchtige Marken haben X deshalb ja schon verlassen.

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