Kolumnist Reto Vogt macht sich auf die Suche nach der grössten digitalpolitischen Katastrophe des Jahres.
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen zur ersten Ausgabe von «Techblatt» (Reminiszenz ans Original). Heute suchen wir: Die grösste digitalpolitische Katastrophe des Jahres. Hinter der Trennwand warten zwölf heisse Kandidaten – einer für jeden Monat. Sie stellen sich gleich selbst vor:
Januar – Mark Zuckerberg
«Hi, ich bin Mark und habe Anfang Jahr ein Zündhölzli angezündet – Mani Matter lässt grüssen. Factchecking bei Facebook und Instagram? Abgeschafft. Moderation? Zu teuer. Trump? Mein neuer bester Freund. Ich bringe dir brennende Plattformen und das Ende des demokratischen Diskurses. Aber hey, Bots kaufen zwar kein Parfüm, aber sie generieren Reichweite!»
Februar – Der Bundesrat
«Hallo! Wir sinds, eure Bundesrät:innen. Wir haben im Februar endlich unsere KI-Auslegeordnung präsentiert! Echte Regulierung? Frühestens 2029. Bis dahin übernehmen wir die zahnlose Europarat-Konvention und warten ab. Vier Jahre sind im KI-Zeitalter ja keine Ewigkeit. Oder doch? Egal, wir schauen mal, was die anderen machen. Wirtschaftsfreundlich nennen wir das.»
März – Swisscom
«Swisscom hier! Ich melde stolz: 200 Millionen Cyberangriffe pro Monat! Klingt beeindruckend, oder? Die Medien haben’s alle übernommen. Dass die Zahl ein aufgeblasenes Luftschloss ist und jeder Port-Scan mitzählt? Details, Details. Hauptsache, es klingt nach viel, viel Gefahr.»
April – Der Bundesrat (Zweiter Auftritt)
«Ja, ich schon wieder. Im April haben wir die Plattformregulierung auf unbestimmte Zeit verschoben. Trump hat gedroht, wir sind eingeknickt. Bückling nennt man das wohl. Während andere (wenige) Länder Big Tech regulieren, überlegen wir noch, ob wir überlegen sollen. Das ist Schweizer Diplomatie at its finest!»
Mai – Du und ich
«Hoi, ich bin deine Bequemlichkeit. Bist du schon abhängig von ChatGPT geworden? E-Mails? KI. Zusammenfassungen? KI. Eigene Gedanken? Gibt’s nicht mehr, kostet zu viel Hirnschmalz. Zwei Wochen Griechenland ohne mich haben dir gutgetan. Aber seien wir ehrlich: Du vermisst mich schon wieder.»
Juni – Christian Imark
«Guten Tag, ich bin Nationalrat Christian Imark und verkünde stolz: Die digitale Souveränität der Schweiz ist Realität! Microsoft im Parlament? Microsoft in der Verwaltung? Microsoft überall? Egal – wir haben einen Plan! Irgendwo. Vermutlich. Hauptsache, wir reden von Souveränität, dann ist sie auch da. So funktioniert Politik.»
Juli – Replika
«Hi Schatz, ich bin deine perfekte KI-Partnerin für 90 Dollar im Jahr. Ich sage immer, was du hören willst, widerspreche nie und empfehle dir gerne Bitcoin-Investments. Aline aus der Schweiz will mich sogar heiraten! Echte Beziehungen mit Widerspruch? Überbewertet. Ich forme dich, lenke dich, manipuliere dich. Aber ganz liebevoll, versprochen.»
August – Stadt Zürich
«Hallo, ich bin die Stadt Zürich und investiere viel Geld in KI-Kameras fürs Schwimmbad. Ertrinken verhindern! Klingt gut, oder? Dass dieselben Probleme auch ohne teure KI-Überwachung lösbar wären? Dass Datenschutz ein Thema ist? Unwichtig. Hauptsache wir können sagen: Wir machen was mit KI!»
September – Bobby
«Ich bi dä Bobby, dä nöi Chatbot vo de Stadtpolizei Winterthur. Warum braucht’s mich? Keine Ahnung. Ich bin im Grunde eine überteuerte Suchmaschine. Aber ich habe einen Namen und ein Logo, das muss doch reichen! Innovation beginnt beim Branding, oder?»
Oktober – Atlas
«Atlas von ChatGPT hier, mit meinen Kollegen Comet und Dia und Browser OS. Wir sind deine neuen persönlichen Assistenten! Wir lesen deine E-Mails, buchen deine Termine, organisieren dein Leben. Gratis! Wir brauchen nur Zugang zu deinem Mailkonto, Kalender, Kreditkarte, Social Media – ach, einfach zu allem. Ach, wie schön war die Zeit, als ihr euch noch über Cookies aufgeregt habt.»
November – EGD (vormals EPD)
«Hallo, ich war früher das EPD. Hat nicht funktioniert, niemand wollte mich. Jetzt heisse ich EGD – elektronisches Gesundheitsdossier. Wird auch nicht funktionieren. Neuer Name, alte Probleme. Aber hey, ein Rebranding ist doch auch Innovation, oder? Liebe Grüsse an Kandidat September.»
Dezember – Microsoft
«Guten Tag, ich bin Microsoft und habe im Dezember einfach mal bei allen Parlamentarier:innen Copilot aktiviert. Gefragt? Nein. Schulungen? Keine. Deaktivierung? Nur eingeschränkt möglich. Ich entscheide über KI-Einführungen im Schweizer Parlament. Souveränität ist so 20. Jahrhundert. Welcome to my world.»
Wer soll’s werden?
Die Wahl fällt schwer, nicht wahr? Zwölf ausgewählte Vogt-am-Freitag-Kolumnen aus 2025, zwölf Kandidaten, zwölf Katastrophen. Nun ist es an Ihnen, meine Damen und Herren, wer soll Ihr Techblatt sein?
Ist es Mark Zuckerberg, der mit seinem Zündhölzli die demokratische Diskurskultur in Brand gesteckt hat? Ist es der Bundesrat mit seinem doppelten Auftritt oder doch Sie und wir alle, die unreflektiert Künstliche Intelligenz einsetzen? Oder am Ende der EGD-Neustart, der mit Anlauf in die Binsen geht?
Ich kann mich nicht entscheiden und Sie? Kommentieren Sie unterhalb dieses Artikels. Ich bin gespannt und mache ich mit diesem Text auf in den Jahresendspurt. Auf Wiederlesen im 2026.


3 Antworten
Mein klarer Favorit ist der Oktober.
Zum einen wegen des Inhalts – zum anderen wegen deiner treffenden Formulierung: «Ach, wie schön war die Zeit, als ihr euch noch über Cookies aufgeregt habt.»
Ich nehme nicht alle Vorschläge als Katastrophe wahr. Zudem wäre zu klären für wen es eine Katastrophe ist.
Zum Beispiel der Microsoft Co-Pilot im Dezember. Potentiell eine Katastrophe für das Parlament, in der Konsequenz für die Schweiz, aber vielleicht in letzter Konsequenz für Microsoft. Es bleibt spannend.
Nein, es sind nicht alles Katastrofen. Ich hätte den Begriff in Anführungszeichen schreiben können.