Suche
Close this search box.

social.admin.ch — Ein Nachruf

Mit KI erstellt

Liebe Trauergemeinde,

wir nehmen heute Abschied von social.admin.ch, der Mastodon-Instanz der Bundeskanzlei. Vor einem Jahr wurde sie als Pilotprojekt ins Leben gerufen, und umfasste eine Handvoll mehr oder weniger aktive Accounts. Vertreten waren das EDA (Aussendepartement), das WBF (Wirtschaftsdepartement) und das EDI (Innendepartement), die Bundeskanzlei selbst sowie mit Guy Parmelin zumindest einen Bundesrat. Das Pilotprojekt hatte das Ziel, zu prüfen, ob neue oder von der Bundesverwaltung bis jetzt nicht verwendete Plattformen für ihre Kommunikation infrage kommen könnten.

Schauen wir kurz zurück auf die Highlights aus den Timelines dieser Accounts.

  • Bundesrat Guy Parmelin lies uns an seinen bundesrätlichen Aktivitäten ausserhalb des Bundeshauses teilhaben, bereiste offenbar ausgiebig die Schweiz wie auch wichtige Handelspartner und gab uns zwischendurch Gelegenheit, unser Französisch aufzufrischen.
  • Das EDA schaffte es in 2023 gerade mal, vier Beiträge zu veröffentlichen, mit dem letzten beendete es sein Mastodon-Engagement bereits Weihnachten letztes Jahr mit einem Weihnachtsvideo.
  • und die Bundeskanzlei selbst nutzte Mastodon primär als weiteren Kanal von eher trocken aufgemachten Medienmitteilungen und News (insgesamt 462, darunter finden sich diverse Mehrfachzählungen aufgrund Dreisprachigkeit).

Die Mastodon-Instanz des Bundes hatte allerdings von Geburt an ein schweres Leben. Nicht nur blieb die Zahl der Posts insgesamt sehr bescheiden (neben den bereits erwähnten 462 der Bundeskanzlei kamen nur Guy Parmelin und das WBF auf je über 100 Posts, mitgezählt sind dabei allerdings auch alle Reposts von Parrmelin-Posts durch das WBF), die Inhalte selbst waren nur beschränkt dazu ausgelegt, irgendwelche Art von Interesse zu wecken. War die Erwartung, dass Userinnen Medienmitteilungen zu Bundesratsentscheiden liken, mit deren Inhalt sie vielleicht nicht mal einverstanden sind? Oder die Publikation der Abstimmunterlagen auf admin.ch zu reposten, welche eh schon jeder nach Hause geschickt bekommen hat? Man kann sich generell fragen, was denn nun die Ziele und Erfolgskriterien von Behördeninformationen in den sozialen Medien sein sollen. Aber während einem auf kommerziellen Plattformen der jeweilige Algorithmus das Nachdenken zumindest teilweise abnimmt, zeigt das Fediverse das Fehlen von sinnvollen Zielen und Erfolgskritieren gnadenlos auf. Schon rein aufgrund der Posts konnte man nicht unbedingt den Eindruck gewinnen, dass sich die Bundesverwaltung aktiv darum bemühte, im Fediverse Fuss zu fassen.

Selbst die eigenen Eltern schienen sich mit dem Kind nicht so recht wohlzufühlen, zeigten sie sich doch eher ungern in der Öffentlichkeit damit. So suchte man die social.admin.ch-Accounts in der Social Media-Liste des Bundes vergebens.

Social Media-Kanäle auf admin.ch

Nutzen wir die Gelegenheit, um weiteren verpassten Chancen nachzutrauern. Wie schon erwähnt, waren die Inhalte/Posts nüchtern und nicht darauf ausgelegt, Interesse zu wecken. Dass trockene Ankündigungen von Medienterminen niemanden hinter dem Ofen hervorlocken, lernt man üblicherweise im Social Media-Grundkurs.

Und selbst wenn teilweise der nächste Post im Thread die wichtigen Details zum Thema nachliefert: Bis dann hat der durchschnittliche Social Media-Nutzer auch im Fediverse schon weitergescrollt (sofern ihm seine App den Thread überhaupt als solchen anzeigt).

User-Replys auf Mastodon verhallten während der ganzen Pilotphase praktisch ungehört und ohne Reaktion der Social Media-Teams. Umfragen oder schon nur Posts, welche eine Diskussion anregen könnten, sucht man vergebens. So schaffte es das junge Kind in seinem kurzen Leben leider nicht, sich einen Platz im Herzen der NutzerInnen zu sichern.

Ratlos lässt uns die Todesanzeige zurück. Einerseits lobt die Bundeskanzlei die Bedeutung des Fediverse für die Behördenkommunikation.

Mastodon weist einige für die Regierungskommunikation grundsätzlich attraktive Eigenschaften auf. Dank der dezentralen Organisation ist die Plattform der Kontrolle durch ein einzelnes Unternehmen oder staatliche Zensurbehörden entzogen. Ihr Quellcode ist öffentlich zugänglich, sie ist datenschutzfreundlich und wird nicht von Algorithmen getrieben.

Medienmitteilung “Bund schliesst seine Mastodon-Instanz” vom 25.09.2024

Andererseits wendet sie für Mastodon dieselben Erfolgsmassstäbe wie bei kommerziellen Social Media-Plattformen.

Auf Plattformen wie X oder Instagram erreichen Bundesrat und Bundesverwaltung mit vergleichbaren Accounts sehr viel mehr Follower. Weiter weisen die Beiträge der Mastodonaccounts von Bundesrat und Bundesverwaltung eher tiefe Engagementraten (Likes, Teilen, Kommentieren) auf.

Medienmitteilung “Bund schliesst seine Mastodon-Instanz” vom 25.09.2024

Dass gerade der Umstand, dass das Fediverse eben nicht algorithmen-getrieben ist, zu tieferen messbaren Engagment-Werten führt und deren Erhöhung (so man das als Messkriterium sieht) mehr Eigeninitiative erfordert, scheint bei der Bundeskanzlei und den beteiligten Departementen nicht angekommen zu sein. Generell kann man sich fragen, welche Bedeutung gerade Likes für behördliche Kommunikation haben sollen. Wenn es darum geht, die Bevölkerung zu informieren, dürften Likes ziemlich irrelevant sein. Und was das Engagement betrifft: Es hätten ja nicht gleich betreuungsintensive Umfragen sein müssen, aber eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte einer Medienmitteilung in einem Thread? Die Highlights einer Medienkonferenz kurz zusammengefasst als Reply unter der Ankündigung? Möglich gewesen wäre vieles, und man kann den Eindruck nicht von der Hand weisen, dass diese Möglichkeiten schlicht ignoriert wurden.

Abgesehen davon müsste die Bundesverwaltung, würde sie ihre eigene Argumentation ernst nehmen, schleunigst ihren X-Account schliessen. Der Bundeskanzlei-Account auf X hat 3’500 Follower und erreicht damit einen deutlich geringeren Anteil der Schweizer X-User als es der Mastodon-Account mit 1’600 Followern im Fediverse tut.

Auch das Engagement auf X scheint insgesamt doch eher sehr überschaubar zu sein (die Replies auf obige Tweets stammen zum Beispiel alle von Accounts, welche selbst der X-Algorithmus ausblendet und die mit dem jeweiligen Thema nichts zu tun haben). Der Fediverse-Post zu COP29 hat auf social.admin.ch je zwei Reposts und zwei Likes erhalten, proportional gesehen also dasselbe Engagement wie der X-Post.

Die Fokussierung auf Erfolgsmassstäbe der kommerziellen Plattformen zeigt sich auch bei der Aussage, dass “die Zahl der aktiven Mastodon-Nutzerinnen und Nutzer weltweit wieder zurück[gehe]”. Prozentual gesehen ist die Zahl der Twitter-BenutzerInnen weltweit in den letzten zwei Jahren massiv zurückgegangen, das scheint aber bei der Bundeskanzlei kein Grund für einen Rückzug zu sein. Und das Fediverse ist nicht nur Mastodon, die User-Zahlen im Fediverse steigen seit zwei Jahren stetig an.

Fediverse User Growth (https://fedidb.org/, abgerufen am 28.09.24)

Die Bundeskanzlei hält auf Anfrage fest, dass der Aufwand für den technischen Betrieb der Plattform (social.admin.ch) an sich verschwindend klein gewesen sei, und für die Postings der Bundeskanzlei durchschnittlich ein halber Tag pro Woche aufgewendet wurde, insbesondere um die Posts von X zu übernehmen und bezüglich Mentions etc. anzupassen. In diesem halben Tag ist auch ein Monitoring enthalten, auch wenn offen bleibt, was genau gemonitored wurden. Beantwortet wurden Replies, das räumt auch die Bundeskanzlei ein, äusserst selten, und ein Stummschalten oder Blockieren von Accounts hat im Fediverse ja keine Wirkung, die über social.admin.ch hinausgegangen wäre.

Schlussendlich führt die Bundeskanzlei ins Feld, dass sie den Prinzipien von Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichtet sei, und auf dieser Basis entschieden wurde, den Pilot zu beenden. Inwieweit man bei einem halben Tag Aufwand pro Woche von Wirtschaftlichkeit reden kann, hat die Bundeskanzlei allerdings nicht ausgeführt. Angesichts der Grösse der Bundesverwaltung scheint das insgesamt eher vernachlässigbar.

Tief blicken lässt allerdings die Aussage der Bundeskanzlei, dass die Bewirtschaftung des Mastodon-Profils aufwändiger war als ursprünglich geplant, da die automatische Spiegelung von X-Beiträgen auf Mastodon beim Go-Live nicht mehr kostenlos möglich war. Oder mit anderen Worten: Aus Sicht der Bundesverwaltung war der Mastodon-Account offenbar einfach ein anderes Twitter/X, welches man analog zur kommerziellen Plattform bespielen wollte. Dass dies zum Scheitern verurteilt sein würde, hätte man im Dialog mit NutzerInnen schon vor einem Jahr herausfinden können.

War die Ankündigung des Pilot-Versuchs vor einem Jahr noch ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass man sich in der Bundesverwaltung aus der Abhängigkeit von kommerziellen Plattformen befreien und auf offene Systeme und Standards setzen will, so wird man mit der heute abend erfolgenden Stilllegung von social.admin.ch auf den Boden zurückgeholt. Die Bundesverwaltung scheint sich während dem Pilotbetrieb nicht wirklich mit dem Fediverse und dessen Unterschieden zu kommerziellen, algorithmisch gesteuerten Plattformen auseinandergesetzt zu haben, und legte schlussendlich Erfolgskriterien bezüglich Engagement etc. fest, welche sie defacto auch auf anderen Plattformen nicht erreicht. Böse gesagt muss man zum Schluss kommen, dass die Bundesverwaltung auch andere Social Media-Kanäle nicht wirklich verstanden hat, sich dort aber vom algorithmus-bedingt grösser wirkenden Engagement in die Irre führen lässt. Doppelt bedenklich ist das, wenn man sich überlegt, wie viel schon nur mit einer bescheidenen Verdoppelung des Aufwands von einem halben auf einen ganzen Tag möglich gewesen wäre. Vielleicht wäre dann auch in der Bundesverwaltung die Erkenntnis gewachsen, dass Bürgernähe mehr ist als nur zwischendurch trockene Medienmitteilungen über Social Media zu verteilen.

PS: Wer weiterhin Interesse an den Medienmitteilungen des Bundes hat, kann diese ohne Nutzung von kommerziellen Social Media-Plattformen auf admin.ch lesen, oder via RSS-Feed beziehen. Oder im Fediverse schon mal https://social.pmj.rocks/@chgovnewsde folgen. Dieser Bot wird dann zwar auch nicht auf allfällige Replies antworten, aber das ist man sich von admin.social.ch ja schon gewohnt.

PPS: Wie und ob die Kantone aufgrund der Veränderungen bei X/Twitter ihre Social Media-Strategie angepasst haben, haben wir im Januar beschrieben.

dnip.ch mit Deiner Spende unterstützen

Wir wollen, dass unsere Inhalte frei verfügbar sind, weil wir es wichtig finden, dass möglichst viele Menschen in unserem Land die politischen Dimensionen der Digitalisierung erkennen und verstehen können.

Damit das möglich ist, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Jeder Beitrag und sei er noch so klein, hilft uns, unsere Aufgabe wahrzunehmen.

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge

Vogt am Freitag: Anfeuern

Wer ein Feuer machen kann, erkennt digitale Zusammenhänge. Das findet Zürichs Bildungsdirektorin Silvia Steiner. Das von ihr geforderte Handyverbot ist

Weiterlesen »