Abhängigkeit ist nie gut. Höchste Zeit, dass Medien ihre Budgets von grossen US-Plattformen abziehen und das Geld in eigene Kanäle investieren, meint Kolumnist Reto Vogt.
Für den Anfang der heutigen Kolumne reisen wir 15 Jahre zurück, ungefähr ins Jahr 2010:
Facebook ist zu der Zeit gut zu Zeitungen und sorgt zuverlässig für Traffic – für viele Medienhäuser die wichtigste Währung im Onlinejournalismus. Als organische Postings irgendwann nicht mehr ausreichten, wurde halt mit ein paar Fränkli für das Boosten von Postings «nachgeholfen». Jä nu, das Investment aus dem Marketingtopf liegt immer noch in einem guten Verhältnis zum Ertrag.
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ToggleImmer grössere Abhängigkeit
Auch ein gutes Google-Ranking ist wichtig für eine Zeitung. Je weiter oben die eigenen Artikel in den Suchresultaten erscheinen, desto mehr werden sie geklickt. Das ist eine Binsenweisheit. Medien (und auch Unternehmen) investieren viel, dass dieser Mecano funktioniert: Journalistinnen und Journalisten werden in SEO-Kurse geschickt. Und plötzlich sind drei bis vier gute Keywords pro Text wichtiger als die Inhalte oder die Lesbarkeit.
Über die Jahre nehmen die Trafficzahlen zu, immer mehr. Und weil das so gut funktioniert, halten Medienhäuser an diesem Konzept fest. Vereinfacht gesagt funktioniert das Mantra so: «Google und Facebook sorgen schon für unsere überlebenswichtige Reichweite». Folglich steht zu dieser Zeit weder Geld noch Zeit für Aufbau, Ausbau und Pflege eigener Kanäle zur Verfügung: zum Beispiel Website, Newsletter oder Apps. Die Abhängigkeit nimmt also bloss weiter zu.
Über Jahre funktionierte dieses Konzept scheinbar gut. Doch was damals wie ein guter Deal wirkte, zeigt heute seine Schattenseiten. Wir springen zurück in die Gegenwart:
Manipulation und Populismus
In Amerika regiert seit Kurzem ein populistischer Präsident, der Faktentreue ungefähr so sehr schätzt, wie ich Rosenkohl. Und die global dominierenden Plattformen – Google beherrscht je 90% des Onlinevideo- und Suchmaschinenmarkts und Meta 77% der sozialen Medien – werfen sich ihm populistisch an den Hals. Und sie sind dank Trump heute so mächtig wie nie zuvor. Das bedeutet: Zwei Konzerne bestimmen, was im Internet sichtbar ist. Der Rest ist Beigemüse. Meta und Google dominieren. Sie entscheiden, wer welche Inhalte angezeigt erhält, welche Themen gepusht oder blockiert werden. Und nicht länger die Urheber dieser Inhalte.
Sind diese Firmen heute also noch zuverlässige Partner, um mit ihnen in einem so zentralen Bereich wie der Generierung von Reichweite zusammenzuarbeiten? Ich finde nicht. Seit der Wahl von Donald Trump haben die Konzerne bewiesen, dass sie ihre Reichweite gezielt für politische Agenden einsetzen können – und dass sie nicht davor zurückschrecken, Inhalte zu manipulieren oder zu priorisieren. Selbst wenn sie es im Nachhinein als Versehen deklarieren. Und welche Macht Google mit seiner Suchmaschine besitzt, beweist der Konzern in einem aktuellen Test: In verschiedenen europäischen Ländern werden Links zu Medienwebsites kurzerhand ausgeblendet.
Newsletter statt Newsfeed
Der richtige Zeitpunkt, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen, ist spätestens jetzt gekommen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Statt die eigene Reichweite weiter von US-Plattformen abhängig zu machen, sollten Medienhäuser sämtliche Budgets von Meta und Google (und selbstverständlich auch von X) abziehen und das Geld stattdessen in eigene Kanäle und deren Ausbau investieren.
Es ist essenziell wichtig, dass man die (Haupt)wege seiner Inhalte selbst bestimmt und die wichtigsten Kanäle selbst kontrolliert, über die sie verbreitet werden. Es ist spätestens nach der Wahl von Donald Trump an der Zeit, die Hoheit über die eigenen Inhalte zurückzugewinnen und deren Verbreitung nicht mehr Google und Meta zu überlassen. Diese Kontrolle ist ausschliesslich auf eigenen Kanälen möglich, eben zum Beispiel via Newsletter.
Damit will ich nicht sagen, dass Facebook, Instagram und Threads komplett aufzugeben sind – vorausgesetzt, dass sich dort nicht wiederholt, was auf X passiert ist. Es geht darum, sich aus der Abhängigkeit der Big-Tech-Konzerne zu lösen und in eigene Reichweiten und Kanäle zu investieren. Dabei muss nicht jede Zeitung für sich eine Lösung finden, es nicht verboten, nach gemeinsamen (technologischen) Lösungen zu suchen.
Medienhäuser, die sich weiterhin auf Big Tech verlassen, riskieren nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch ihre Zukunft.
Weniger ist mehr
Das gilt im Übrigen nicht nur für Medienhäuser, sondern auch für Journalistinnen und Journalisten. Ich habe meine Profile bei Meta (Facebook, Instagram, Threads) und X gelöscht und bin derzeit nur noch auf Bluesky, LinkedIn und Tiktok aktiv – wobei ich Letzteres eher sporadisch nutze. Doch auch diese Plattformen sind keine Garantien für Unabhängigkeit.Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass nur kleine Veränderungen genügen, um eine Plattform unattraktiv bis unbrauchbar zu machen. Es ist nicht in Stein gemeisselt, dass Linkedin und Bluesky (bei Tiktok ist es vielleicht sogar eher in Sand «gemeisselt») so bleiben, wie sie sind. Auch diese Kanäle können kaputtgehen.
Plattformen kommen und gehen. Deshalb bleibt die wichtigste Lektion, die ich auch lernen musste: Entfesselt euch und bleibt flexibel – die Kontrolle über die Reichweite und damit indirekt auf die eigene Zukunft ist nur auf eigenen Kanälen möglich.
Eine Antwort
Zurück zu RSS wäre auch eine Alternative zu Newslettern. Aber die Verlage haben sich halt einreden lassen, dass man alles tracken müsste …