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NFT sind nicht ethisch

Wer regelmässig meine Artikel liest, weiss, dass ich aus technischer Sicht der Meinung bin, dass weder NFT noch Smart Contracts das halten, was sie versprechen (und das auch nicht können) und die Blockchain darunter auch fragiler ist und ein schlechteres Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist, als die meisten glauben. Für die darauf aufbauenden Metaversen gilt etwas ähnliches. Und dass die versprochenen Effizienzsteigerungen durch Blockchains oft den Verbrechern zugute kommen. So weit, so bekannt.

Habt ihr aber auch gewusst, dass NFTs nicht ethisch sind? Genau das ist das Resultat einer Studie, die ich hier beleuchte.

This text also appeared in English 🇬🇧 : «NFTs are unethical»

Catherine Flick, Dozentin an der De Montfort University in Leicester, hat vergangenen Dezember «A critical professional ethical analysis of Non-Fungible Tokens (NFTs)» publiziert. Darin nimmt sie sich den Ethik-Codex der ältesten wissenschaftlichen Gesellschaft der Informatik, der ACM, vor, den sie wie ihre Westentasche kennt. Auf seiner Basis analysiert sie systematisch die Eigenschaften von NFTs.

Forschungsfragen

Ihre Herangehensweise zeigt ihren analytischen Hintergrund. Sie beginnt mit einer Hauptfrage, die sie in zwei Unterfragen aufteilt:

  1. Sind Non-Fungible Tokens (NFTs) eine ethische Technologie?
  2. Welche ethischen Fragen werfen NFTs auf, gemäss einem Berufsethos?
  3. Wie könnte man NFTs implementieren, so dass sie diese Probleme nicht haben?

Der Ethik-Kodex

Aus einer Liste von Ethik-Kodizes wählt sie den der oben erwähnten Association for Computing Machinery (ACM) aus, weil er

  1. dem Codex anderer Informatik-Organisationen ähnelt,
  2. von weiteren Organisationen übernommen wurde und
  3. eine gute Balance zwischen Abstraktion und Detaillierungsgrad findet.

Damit ist nicht nur seine Relevanz gefestigt, er bringt auch das nötige Rüstzeug mit, um für die Analyse einer Technologie eingesetzt zu werden, die zum Zeitpunkt seiner Erstellung nur Insidern bekannt war.

Der Kodex ist unterteilt in 4 Kapitel mit insgesamt 25 Thesen. Diese Thesen sind als Aufforderung zur Übernahme von Verantwortung formuliert, die als Fortsetzung eines Satzes wie „Wer sich professionell mit Computern beschäftigt, sollte…“ gelesen werden sollten. Diese Thesen sind jeweils gefolgt von einer Erläuterung.

Den offiziellen Kodex gibt es aktuell auf Englisch, Spanisch und Chinesisch; es gibt aber auch eine informelle und inoffizielle Übersetzung auf Deutsch, auf deren Wortlaut ich mich hier beziehe.

Prinzipien

Die fundierte Analyse der Prinzipien nimmt im NFT-Ethik-Artikel von Flick 6 Seiten ein. Hier deshalb nur einige wichtige Punkte in Kürze. Für die vollständige Liste, Begründungen, Hintergründe und Analyse verweise ich auf das Paper.

Die Zusammenfassung ist pro These jeweils wie folgt strukturiert:

  1. Der Titel der entsprechenden These, mit Link auf ihre Erläuterung.
  2. Wie diese These durch NFTs verletzt wird. Dieser Teil ist jeweils farbig hervorgehoben.

Bemerkung: Die Evaluation einer Technologie als Ganzes kann sich unterscheiden von der Evaluation eines einzelnen Produkts aus diesem Bereich. Einzelne NFT-Projekte mögen in einzelnen Bereichen also durchaus besser oder schlechter abschneiden als diese Gesamtbewertung ergibt. Diese notwendige Verallgemeinerung liefert trotzdem einen wichtigen Anfang für eine detailliertere Diskussion.


These 1.1: [Wer sich professionell mit Computern beschäftigt, sollte] einen Beitrag zur Gesellschaft und zum menschlichen Wohlergehen leisten und dabei anerkennen, dass alle Menschen an der Datenverarbeitung teilhaben.

NFTs tragen nicht wirklich zum Wohl der Gesellschaft bei, da sie mittels Betrug, „Rug Pulls“ oder „den letzten beissen die Hunde“ unfairness bringen.

These 1.2: …Schaden vermeiden.

Sie schädigen durch nicht eingehaltene und nicht einhaltbare Versprechen sogar aktiv arme oder vulnerable Personen, die laut dem Kodex ganz besonders geschützt werden sollten. Die Schäden sind sowohl finanzieller als auch psychischer Natur.

These 1.3: …ehrlich und vertrauenswürdig sein.

Durch die eingangs erwähnten unrealistischen bis unmöglich einzulösenden Versprechen jenseits des technisch oder gesellschaftlich Realistischen und Machbaren verletzen Informatiker, welche NFTs umsetzen, die Forderung des Kodex nach Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit.

Interessenskonflikte sind allgegenwärtig, Transparenz ist unerwünscht.

These 1.4: …fair sein und nicht diskriminierend handeln.

Auch wenn man falsches Verhalten korrigieren möchte: Fairness kann nicht eingefordert werden; auch Kulanz ist weder vorgesehen und häufig auch technisch verunmöglicht.

Blockchaintechnologie fördert und perpetuiert Belästigung und Schikane weil die Plattformen keine Schutz bieten (wollen) und diese Aussagen nicht mehr gelöscht werden können.

These 1.5: …die Arbeit respektieren, die erforderlich ist, um neue Ideen, Erfindungen, kreative Werke und Computer-Artefakte zu entwickeln.

Die Arbeit der Künstler wird nicht honoriert, im Gegenteil: Monetarisierung von Werken Anderer ist einfach und beliebt (und nein, ein NFT schützt eben genau nicht davor!). Jede Person kann einen NFT von irgendeinem Werk erzeugen („minten“), egal ob die mintende Person Rechte am Werk hat oder nicht und ob schon jemand anders zuvor einen NFT von diesem Werk erzeugt hat.

These 1.6: …die Privatsphäre respektieren.

Die Privatsphäre wird nicht geschützt, da die Informationen öffentlich sind und unverrückbar gespeichert sind.

These 1.7: …Vertraulichkeit wahren.

Ähnliches gilt auch für Geheimhaltung; das Fehlen davon kann via Insidertrading und verwandte Tätigkeiten („Whitelisting“) unfaire Vorteile für Wenige verschaffen.

These 2.1: …sich um eine hohe Qualität sowohl der Prozesse als auch der Produkte der beruflichen Arbeit bemühen.

Qualität ist weder bei den Inhalten noch beim Programmcode gross geschrieben; „Time to market“ ist der Schlüssel. Dies führt zu minderwertigen Werken und – vor allem – minderwertigem und fehlerhaften Code, der durch die Unveränderbarkeit häufig nicht mehr geflickt werden kann und deshalb von Insidern und Outsidern ausgenutzt wird.

These 2.2: …hohe Standards der beruflichen Kompetenz, des Verhaltens und der ethischen Praxis aufrechterhalten.

Ehrlichkeit und Transparenz in der Kommunikation werden häufig ins Gegenteil verkehrt. Oft wird die wahre Funktionsweise der verwendeten Technologie zu verschleiern, hinter Jargon, Buzzwords und Ungenauigkeiten. Verständlichkeit ist kontraproduktiv.

These 2.3: …die geltenden Regeln für die berufliche Tätigkeit kennen und einhalten.

Recht und Gesetz werden nicht respektiert; auch nicht Gesetze, welche für Fairness sorgen wollen.

These 2.5: …umfassende und gründliche Bewertung von Computersystemen und deren Auswirkungen vornehmen, einschließlich der Analyse möglicher Risiken.

Eine Evaluation der Systeme und ihrer Auswirkungen fehlt häufig, was z.B. Umweltschutzorganisationen zur Nutzung von Proof-of-Work-Blockchains verleitet hat.

These 2.6: …Arbeiten nur in den Bereichen durchführen, für die man qualifiziert ist.

Kompetenzen werden nicht ausgenutzt, beispielsweise bei Spielinhalten, was sich negativ auf Inhalte und Ruf auswirkt und dann wiederum dazu führt, dass kompetente Spieledesigner verscheucht werden.

These 2.7: …das öffentliche Bewusstsein und das Verständnis für die Informatik, verwandte Technologien und deren Folgen fördern.

Verständnis fördern zählt wie oben bereits erwähnt meist zu den Anti-Zielen.

These 2.9: …Systeme entwerfen und implementieren, die robust und brauchbar sicher sind.

Robuste, benutzbare Sicherheit zählt ebenfalls zu den Punkten, die vernachlässigt bis vermieden werden.

These 3.2: [Wer sich professionell mit Computern beschäftigt, insbesondere in einer Führungsfunktion, sollte] die Erfüllung der sozialen Verantwortung von Mitgliedern der Organisation oder Gruppe darlegen, ihre Akzeptanz fördern und bewerten.

Verantwortung für ihre Tätigkeit übernehmen wollen viele Führungskräfte von NFT-Projekten nicht.

These 3.6: …bei der Änderung oder Stilllegung von Systemen Vorsicht walten lassen.

Pläne für den Umgang mit Katastrophen und Auflösungen existieren nicht. (Ausnahmen zu dieser Regel sind meist im Interesse des persönlichen Wohls der Gründer ausgestaltet.) Wenn ein NFT-Spiel vom Hersteller aufgegeben wird sind z.B. die dort für teures Geld gekauften NFT-Dekos und -Assets nirgendwo anders einsetzbar und damit quasi wertlos.

Wie gesagt, die detaillierte Begründung für diese und weitere Punkte befindet sich im Artikel von Catherine Flick.

Empfehlungen

Wie eingangs erwähnt war das Ziel der Forschung auch, Auswege aus der aktuellen misslichen Lage aufzuzeigen. Hier die (von mir gekürzten) sieben Empfehlungen von Flick.

Die ersten fünf Punkte basieren auf der Grundlage, dass es keine alternative technische Möglichkeit gibt, die benötigten Ziele zu erreichen. (Insbesondere soll damit wohl auch der Einsatz des Buzzwords «NFT» zu reinen Marketingzwecken ohne zwingende funktionale Vorteile ausgeschlossen werden.)

  1. Vermeide Proof-of-Work-Blockchains (und andere umweltschädliche Techniken).
  2. Beim Einsatz in Spielen, gib den Spielern eine Chance, ihre ästhetischen oder funktionalen Assets weiterzuverwenden oder für einen fairen Gegenwert einzutauschen.
  3. Bereite den Pfad für eine allfällige Regulierung von NFTs, z.B. analog zu Wertpapieren, vor. Vermeide die Erweckung unrealistischer Gewinnerwartungen und versuche nicht, Schlupflöcher in Gesetzen zum Nachteil anderer auszunutzen.
  4. Die Smart Contracts sollten höchste Qualitätsanforderungen erfüllen. Nutze unbedingt eine geeignete Testumgebung. Sorge für eine realistische Ziel- und Zeitplanung auch in diesem besonders schwierigen Umfeld.
  5. Wenn das Spiel als «Play to earn» o.ä. angepriesen wird, sorge dafür, dass vulnerable Personen vor Missbrauch und Unsicherheiten geschützt sind. Und dass sie auch den Risiken bewusst zustimmen.
  6. Speicherung von Daten in der Blockchain:
    • Speichere möglichst keine Daten auf einer öffentlichen Blockchain, die nicht auch jederzeit öffentlich sein dürfen. Auch nicht verschlüsselt, denn du weisst nicht, was mit der Verschlüsselung oder den Schlüsseln in Zukunft geschieht.
    • Mache deine Einträge in der Blockchain und Smart Contracts auch nicht abhängig von externen Ressourcen wie fixen URLs; da das Update schwierig bis unmöglich sein wird.
    • Sorge dafür, dass deine Blockchain nicht zur Speicherung von illegalem Material oder Belästigungen verwendet werden kann.
  7. Bedenke die Risiken des Engagements deiner Organisation mit NFTs: Du könntest es dir mit den Nutzern oder Entwicklern verderben; die Freude, die einige Leute für euer Spiel empfinden, dämpfen; oder dein Produkt könnte auf verschiedene Weise missbraucht werden.

Zusammenfassung

Catherine Flick hat einen bestehenden, verbreiteten Informatik-Ethik-Codex genommen und den NFT-Hype damit abgeglichen. Die meisten NFT-Projekte verstossen in ganz vielen Punkten gegen diesen Kodex; einige Probleme sind sogar noch grundlegenderer Natur. Sie bietet aber auch Hand zur Reduktion der vermeidbaren Probleme.

Ich gehe aber davon aus, dass NFT-Plattformen die wenigsten ihrer Empfehlungen berücksichtigen werden. Denn der Mehrwert für NFTs entsteht aus dem (technisch nicht begründbaren) Marketing-Hype und der Möglichkeit zur Ausbeutung durch Informations- und andere Asymmetrien.

Wer sich also zu ethischen Handlungen bekennen will, bleibt sicherheitshalber weit weg von NFTs, aber auch vielen anderen Blockchain-basierten „Lösungen“.

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2 Antworten

  1. Hier macht man sich die Mühe etwas was Pfusch/Nepp ist mit einer eigentlich sinnvollen Metrik, welche allerdings auch sonst nirgends angewendet resp erfüllt wird zu messen. Danke fuer’s Vorstellen.

    1. Ein Vergleich ist immer der erste. Ich hoffe, dass noch viele ähnliche Vergleiche aufgestellt werden. Einige davon werden hoffentlich öffentlich sein, wieder andere werden wohl nur intern bei Produkt- oder Investitionsentscheidungen genutzt werden. Und das Werkzeug dafür ist ja da…

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