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Kritische Analyse der Fehr-Studie zur Link-Steuer

Bereits im letztem DNIP-Artikel hat mein Kollege Andreas von Gunten die Aussage des Ökonomen Ernst Fehr zum Leistungsschutzrecht und der Stabilität der Demokratie zerzaust. Im Folgenden möchte ich noch etwas genauer auf die einzelnen Inhalte der Studie des Beratungsunternehmens Fehr Advice mit dem Titel „Der Wert von journalistischen Inhalten für die Suchmaschine Google in der Schweiz“ eingehen, die rund vor einer Woche publiziert worden ist. Und am Schluss aufzeigen, weshalb die Schweizer Medienverlage mit einem Gesetz vermutlich ähnlich viel Brosamen verdienen werden wie mit der bisherigen bilateraler Medienförderung durch Google: Nämlich gar keine.

Doch worum geht es? Wir erinnern uns: Kurz nach der versenkten Abstimmung rund um das Medienförderungsgesetz forderten die Schweizer Medienverlage analog zu vielen EU-Ländern ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Damit gemeint: die Vorschau-Texte der Links bei Newsaggregatoren wie Google News oder bei Facebook seien urheberrechtlich zu schützen. Sprich: Für das Anzeigen eines Titels und den 2-3 Sätzen des Leads sollen die Plattformen Geld bezahlen. Denn sie verleiten zum „Zero Click“, wie es in der Studie des Teams rund um den Ökonomen Ernst Fehr bezeichnet wird: Die Nutzerinnen haben genug Informationen und sind nicht mehr geneigt zu klicken.

Bei der Sucheingabe zur Credit Suisse und UBS werden bei Google News Medienartikel angezeigt. Diese Linkvorschau erachten die Medienverlage als urheberrechtlich schützenswert und fordern deswegen eine Entschädigung von Google.

Das Forscher:innen-Team (Alexis Johann, Mia Drazilova, Sarah Treweller und Julian Möhlen) versuchte die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht mit begründbaren Zahlen zu untermauern. Sie postulieren, dass die Schweizer Medienverlage Anspruch auf mindestens 150 Millionen Franken Anspruch hätten. Diese Meldung wurde in der letzten Woche von vielen Medien übernommen (persoenlich.com, Watson, 20 Minuten), auch die österreichische Qualitätszeitung Standard.at und das deutsche Branchenportal Horizont.net publizierten die News.

Ausserdem spricht Fehr von einem „Marktversagen„:

„Wir sehen hier ein Marktversagen, bei dem es eine Regulierung braucht. Google nutzt seine Monopolstellung aus.“

Ökonom Ernst Fehr bei 20 Minuten Online

Das Problem: In dieser Studie wurden Äpfel mit Birnen mit Pflaumen verglichen. Sie ist inkonsistent in der Argumentation. Sie beruht auf fragwürdigen Annahmen mit denen noch fragwürdigere finanzielle Ansprüche abgeleitet worden sind.

Irrtum 1: Die Informationssuche

Zuerst behaupten die Forscher:innen sie fokussieren in der Studie nur auf den Wert von Medieninhalten in Suchresultaten. Diese leiten sie aus den Google-Einnahmen zur Suchmaschinenwerbung (SEA, Search Engine Advertisement) ab: Hier referenzieren die Forscher:innen die Zahl von 999 Millionen Franken, die Google in der Schweiz verdienen würde. Also damit gemeint sind die Werbeanzeigen, die oberhalb oder unterhalb von Suchergebnissen angezeigt werden. Wer also „Credit Suisse“ googelte, erhielt vor einer Woche sicherlich noch die Artikel zu Gerüchten einer Übernahme durch die UBS und auch Werbeanzeigen der Credit Suisse angezeigt.

Die Autorinnen errechneten, dass Informationssuchen 55% Anteil der gesamten Suchverläufe ausmachten. Was aber unter „Informationssuche“ zu verstehen ist, bleibt unklar. Damit könnte auch das Wetter morgen in Zürich oder etwa die Frage gemeint sein, ob der Swiss-Flug aus San Francisco heute Abend mit Verspätung ankommen wird. Die Forscher behaupten aber, dass Informationssuchen immer auch die Integration von Medieninhalte erfordern.

Sie leiten ab, dass Google in der Schweiz 549 Millionen Franken Umsatz (55% von 999 Mio. Franken) mache mit Informationssuchen. Gemäss ihrer Befragung wünschen sich 70% der Studienteilnehmer:innen, dass Medieninhalte immer bei Informationssuchen eingebunden werden würden. Und diese Zahl wird abenteuerlicherweise dafür genutzt, um den Umsatz der Medienverlage zu formulieren und Ansprüche abzuleiten:

„In der hier vorgestellten Erhebung geben 70% (mit einem 95%-Konfidenzintervall von
68% bis 72.6%) der Teilnehmenden explizit an, dass sie sich Google-Suchen mit
Medien-Inhalten wünschen. Diese 70% könnten im Umkehrschluss auch von Google als Antwortmaschine für Informationssuchen abwandern, wenn Google keine Medien-Inhalte mehr anzeigen würde. 70% ist also der Anteil am Umsatz mit Informationssuchen, bei dem die Medien-Inhalte einen Wertbeitrag leisten.“

Auszug aus der Studie „Der Wert von journalistischen Inhalten für die Suchmaschine Google in der Schweiz“

Daraus errechnet das Team folgenden Anteil: Google verdient mit dem Anzeigen von Medienlinks in den Suchresultaten und daneben ausgelieferter Werbung 70 % von 549 Millionen Franken, also: 384,3 Millionen Franken (in der Studie wurde aufgerundet auf 385 Mio CHF).

Grafik aus der FehrAdvice-Studie

Dieser Schätzung liegen zwei nicht-evidenzbasierte Annahmen zugrunde: erstens dass Informationssuchen immer Medieninhalte beinhalten und zweitens dass 70% der Suchenden sich von Google abwenden würden, wenn Medienlinks nicht mehr Teil der Suchmaschine sind, ergo: mit den Medien-Artikeln verdient Google 70% des Suchmaschinenwerbung-Umsatzes. Ich kenne mich nicht aus in verhaltensökonomischen Modellberechnungen, aber dieses Szenario ist hochspekulativ und meines Erachtens nicht haltbar.

Irrtum 2: Das AdSense-Programm

Danach redet das Team vom AdSense-Programm von Google. Dabei ist das Werbeprogramm gemeint, für das sich Webseitenbetreiberinnen anmelden können. Beispiel watson.ch: Watson lässt neben ihren Artikeln bestimmte Werbung ausspielen, meist angepasst an die Inhalte/Artikel von watson.ch, aber auch anhand von Auswertungen der Cookies, die die Besucherinnen mitsenden. Dies passiert in einem Echtzeit-Auktionsverfahren, „real time bidding“ genannt. Während also die Leserin einen Artikel aufruft, findet in einem ausgeklügelten Verfahren in Hunderstelsekunden das Auktionsverfahren statt. Die Leserin erhält den Artikel zusammen mit der ausgelieferten Werbung desjenigen Unternehmens, das das Verfahren „gewonnen“ hat (ah ja und ihre Daten werden dann noch an alle Auktionsteilnehmer, Watson selbst, Google und alle anderen Player weitergegeben, aber das ist ein anderes Thema)

Sowohl die CH Media aber auch Google verdienen an dieser Auktion und an der ausgelieferten Werbung mit. Dass der Big Tech-Konzern hier die Verlage jahrelang weltweit schröpfte und bei jedem Auktionsschritt mitverdiente, ist auch Gegenstand einer Klage in den USA. Und in der Tat geht es hier um Marktversagen, denn dass Google alle Schritte in diesem Markt abwickelt, zeugt von nicht existierender Gewaltentrennung. Die Empörung und die Wut der Medienbranche ist absolut legitim.

Jetzt kommt das grosse „Aber“: Das AdSense-Programm hat nichts mit Suchresultaten-Werbung zu tun. Dennoch macht das Team rund um Ernst Fehr folgende krude Rechnung: von den 385 Millionen Franken Umsatz aus der Suchmaschinen-Werbung aus „Informationssuchen“(=Suche, die Medieninhalte einschliessen würde) würden 154 Millionen Franken den Verlagen gebühren.

Die Ableitung hier ist etwas undurchsichtig, es gibt dazu 2 Textstellen: Das Autor:innen-Team behauptet dass die Zahl auf Schätzungen der Anteile der Medien bei dem AdSense-Programm beruhen würde. Zwischen 51% und 68% des generierten Werbeeinahmen kriegen die Verlage, der Rest geht an Google. Doch an anderer Stelle wird geschrieben dass 40% das faire und branchenübliche Teilungsverhältnis darstelle, das an die Medien weitergegeben werde (weil die Leistung der Suchmaschine von Google grösser sei als beim AdSense-Programm) und daher diese Zahl verwendet werde. 40% von 385 Millionen Franken entsprechen 154 Milionen Franken.

Nochmals: Das AdSense-Programm hat nichts mit der Suchmaschinenwerbung und den angezeigten Links in den Suchresultaten zu tun. Es sind zwei unterschiedliche Werbeprogramme die nach unterschiedlichen Logiken operieren. Beim einen (User A) ist der Marktplatz die Suchmaschine und ein Suchbedürfnis des Internetnutzers vorhanden, beim Anderen (User B) wird die Leserin eines News-Portals mit Werbung konfrontiert (viel mehr: belästigt) welche wiederum der Re-Finanzierung des Portals dient.

Irrtum 3: Alles ausser Link-Vorschau

Dieses Potpourri am Berechnungen aus unterschiedlichen Google-Produkten wird nun in die eine Forderung rund um das Leistungsschutzrecht reingepackt, um die es aber in der Studie absurderweise gar nicht direkt geht.

Daher ist es notwendig, dass der Profit, der auf den Plattformen generiert wird, in einem fairen und ausgewogenen Verhältnis zwischen allen Teilnehmern im Ökosystem aufgeteilt wird. Dies kann etwa im Rahmen eines Leistungsschutzrechts, wie es in einigen anderen europäischen Ländern bereits
umgesetzt ist, erfolgen.
(…)

Diese Studie trägt dazu bei, dass mögliche Lösungen für dieses Gleichgewicht, wie etwa ein Leistungsschutzrecht, wie es in vielen anderen europäischen Ländern bereits umgesetzt wurde, auf einer soliden Faktenbasis gefunden werden können.

Auszug aus der Studie „Der Wert von journalistischen Inhalten für die Suchmaschine
Google in der Schweiz“

Den Medienverlagen stehe Geld aus dem Google-Ökosystem zu, das will uns die Studie sagen. Doch hier werden ganz unterschiedliche Aspekte miteinander vermischt. Mit der ursprünglichen Kernidee des Leistungsschutzrechts—dass die Informationen in den Snippets urheberrechtlich geschützt und entschädigt werden sollen—hat sie inhaltlich gar nichts mehr zu tun.

Und noch nebenbei: warum eine Link-Steuer problematisch ist

Der Vollständigkeit halber soll hier nochmals kurz erwähnt werden, warum die Forderung nach einer Link-Gebühr/Steuer/Entschädigung—you name it—gegen die Prinzipien des Internets verstösst und daher per se schon problematisch ist: Verlinkungen sind die Architektur des Internets. Medienverlage möchten gefunden werden auf den Plattformen, Aggregatoren und Suchmaschinen. Das Ausspielen ihrer Artikel bei einer Sucheingabe ist also in ihrem ureigenen Interesse (sie könnten einfach verhindern dass der Crawler der Suchmaschine ihre Inhalte abgreift, aber darauf will dann doch keinen Medienverlag verzichtet)

Nun lässt sich darüber streiten, wie viele Inhalte aus der Linkvorschau angezeigt werden können. (Die Medienverlage können übrigens selber definieren, wie viele Infos sie in diese Link-Vorschau hineinpacken.)

Ausserdem leuchtet immer noch nicht ein, weshalb alleine Medienverlage entschädigt werden sollen für ihre Links. Zum Vergleich: alle Content-Lieferanten wie beispielsweise Wikipedia oder Gesundheitswebseiten sind viel mehr „betroffen“ von einem angeblichen Content-Klau. Wer etwa googelt „Wie lange ist die Inkubationszeit bei Covid“ erhält eine pfannenfertige Antwort direkt in den Suchresultaten angezeigt—in diesem Fall die FAQ des Bundesamts für Gesundheit BAG—das direkt aus den Suchresultaten eingespiesen wird.

No click needed. Müsste gemäss dieser Logik nicht auch das BAG entschädigt werden für diese Information?

Brosamen mit dem Leistungsschutzrecht

Interessant in diesem Zusammenhang ist noch eine andere Meldung aus den letzten Tagen aus dem deutschen Fachmagazin Meedia. Die Verwertungsgesellschaft Corint Media forderte im Zuge des in Deutschland eingeführten Leistungsschutzrechts 420 Millionen Euro von Google. Google wollte aber nur 3.2 Millionen Euro zahlen, was der Summe entsprechen würde, die der Player ohnehin heute schon auszahlt im Rahmen von privaten (fragwürdigen) Medienprogrammen an die Medienverlage.

In einem langen Streit mit dem Big Tech-Konzern habe man sich mit dem Schiedsgericht nun auf folgende Summe geeinigt: Die Deutschen Medienverlage wie Axel Springer & CO sollen 5.8 Mio Euro erhalten.

Damit würden alle die Verlage weiterhin ein paar Brosamen von Google erhalten. Bizarrerweise verkauft Corint Media dies gemäss dem Meedia-Artikel noch als Sieg.

So wird es auch in der Schweiz sein.

Meine Prognose: das Leistungsschutzrecht wird als Geschenk im Wahljahr an die Medienverlage politisch durchgehen vom bürgerlich dominierten Bundesparlament. Denn welche National- und Ständerät:in will es sich in einem Wahljahr schon mit den Medien verscherzen? Danach werden die Verwertungsgesellschaften (wahrscheinlich Pro Litteris) mit Google an einen Tisch sitzen und in einem zähen Ringen die Summe aushandeln. Am Schluss werden aus den 150 Millionen Schweizer Franken vermutlich knapp 1-2 Millionen Franken … was im Endeffekt auch dem Obulus entspricht, den die Medienverlage in der Vergangenheit für die Pseudoprogramme bereits erhalten haben.

Hier eine Erinnerung, was Google in freiwilligen Medienförderungsinitiativen an Schweizer Medienverlage bereits ausgezahlt hat seit 2015 (ich hab bei der „Republik“ zwei Recherchen dazu veröffentlicht):

=> Journalism Emergency Relief Fund (Pandemie, März 2020) knapp 195 000 Dollar.

=> Und die Jahre davor mit dem Google News Initiative (2015–2019): 3.3 Millionen Euro.

Fazit: Viel Lärm um Nichts. (Mit der Teilnahme an solchen Medien-Programmen verkauft man darüber hinaus noch seine Unabhängigkeit.)

Zielführender wäre folgendes Vorgehen: Ansprüche aus dem AdSense-Programm so zu formulieren und zu einzufordern, dass Schweizer Medienverlage einen höheren Anteil an den Werbeeinnahmen erhalten. So wie das in den USA bereits geschieht. Dies kann über den regulatorischen Weg geschehen oder über eine Werbesteuer oder Datenmarktsteuer. Oder aber die Schweiz verlangt, dass Google im Rahmen der globalen Mindeststeuer angemessen besteuert wird, schliesslich gibt es hier auch eine grosse Tochtergesellschaft. Diese Einnahmen könnten über ein neues Medienförderungsgesetz—das ja die Steuerzahler:innen nichts kostet—wieder an die Verlage ausgeschüttet werden.

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4 Antworten

  1. Das Leistungsschutzrecht ist Wegelagerei. Die Verlage bestimmen wie gross der freie Inhalt ihrer Artikel ist. Mehr kann Google auch nicht publizieren, da es nicht zugreifbar ist. Genau so wie ich eine Zeitung nicht lese wenn sie halbseitig sichtbar am Kiosk aufliegt.
    Allenfalls sollten die Verlage etwas kreativer werden. Fuer das normale Internet ist nur das Inhaltsverzeichnis und vielleicht ein Bild sichtbar. Und sonst gaeb’s ja noch das robots.txt, welches beschreibt was die crawler durchsuchen duerfen.
    Erstaunlich die Praesenz der Verlage in den sozialen Medien. Die NZZ zB erscheint dort mit Duzenden Artikeln pro Tag. Meist faktenarm bis faktenfrei von Praktikanten zusammengehaemmert. Trollartikel, welche auf die NZZ verweisen, allerdings einen schlechten Geschmack hinterlassen. Traffic und Clicks zu generieren scheint prioritaer zu sein. Mit diesen Kennzahlen laesst sich die eigene Coverage aufblaehen, und daher Inserate und Beilagen teurer verkaufen.

  2. Irrtum 1.5: Nicht all Suchanfragen bringen gleich viel Werbeeinnahmen

    Es ist anzunehmen, dass „commercial intent“ oder „transactional intent“ Anfragen sehr viel mehr wert sind, als z.B. „information intent“ (https://www.semrush.com/blog/search-intent/). Ein kleines Experiment von heute auf Google zeigt z.B. für die Anfrage „Credit Suisse bailout“ keine Werbung, aber für Anfragen wie „dentist near me“ oder „steuererklärung zürich ausfüllen“ je fast eine halbe Seite Werbung.

  3. Ich finde, die Medienbranche müsste eigentlich auch meinen ÖPNV-Betreiber verklagen. Fahre ich nämlich mit meinem Tram am Kiosk vorbei, sehe ich auch die Schlagzeilen, ohne dass ich die Zeitung kaufen muss. Und der ÖPNV-Betreiber verdient Geld mit meiner Fahrt! EinsElf!!!11!!
    Im Ernst, seit den Bezahlschranken bei den meisten CH-Medienhäusern gehe ich eigentlich gar nie mehr auf deren Seiten. D.h. ich klicke auch selten bis nie mehr auf deren Links. Sei es in Google oder via geteilte Artikel. Die würden wohl mehr verdienen, wenn sie das in Angriff nähmen.

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