Vogt am Freitag: Gespenster

Kommerzielle Auswertung, massenhafte Datenspeicherung, Überwachung durch Tech-Konzerne: Die Gegner der neuen E-ID malen ein düsteres Bild. Aber die meisten Argumente halten einem Faktencheck nicht stand, schreibt Kolumnist Reto Vogt.

Am 28. September stimmt die Schweiz über die Einführung einer staatlichen E-ID ab – oder genauer: über das Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise (BGEID). Es geht in der Abstimmung weder um die technologische Umsetzung der E-ID noch um die Einführung einer Ausweispflicht im Internet, wie es die Gegner:innen des Vorhabens gerne behaupten.

Ich teile manche ihrer Sorgen, etwa beim Schutz der Privatsphäre oder der Wahrung der Anonymität im Netz. Beides ist wichtig und darf nicht leichtfertig aufgegeben werden. Doch diese berechtigten Anliegen sind in der aktuellen Vorlage nicht das Thema. Gegen Überwachung zu sein und gleichzeitig für die E-ID zu stimmen, geht problemlos. Von mir gibt’s ein Ja, so viel vorneweg.

Die Gegnerschaft teilt sich in zwei Lager. Auf der einen Seite die noch junge Partei Digitale Integrität, die gemeinsam mit der EDU, der jungen SVP und den Freunden der Verfassung auftritt. Andererseits die während der Corona-Pandemie entstandene «Bewegung» Massvoll. Sie argumentieren inhaltlich ähnlich, unterscheiden sich aber hinsichtlich Tonalität und Sachlichkeit.

Die Argumentation der Gegner:innen im Check

«Das E-ID-Gesetz verschafft Big Tech und der Überwachungsökonomie erleichterten Zugriff auf die Passdaten der Bevölkerung.»

Falsch. Techkonzerne erhalten keinen Zugriff auf Passdaten, ausser die Besitzer:innen der E-ID geben diese freiwillig frei für Meta, Google oder OpenAI. Die Passdaten sind und bleiben dezentral auf den Smartphones gespeichert.

«Unternehmen können mittels der E-ID beliebig Daten sammeln, verknüpfen, analysieren und daraus Verhaltensprofile der Bürgerinnen und Bürger anfertigen.»

Falsch. Eine beliebige Sammlung von Daten ist nicht möglich, da jede Abfrage die Zustimmung der Inhaber:innen erfordert. Diese entscheiden zudem, welche Personendaten übermittelt werden – zum Beispiel nur das Alter ohne Name und Vorname. Verlangt ein Online-Anbieter mehr als nötig, kann die Transaktion jederzeit abgebrochen werden.

«Im Gesetz fehlt jedoch eine deutliche Garantie, dass die E-ID in jedem Fall freiwillig bleiben wird.»

Teilweise richtig. In Artikel 25 des Gesetzes heisst es, dass beim persönlichen Erscheinen auch eine herkömmliche ID akzeptiert werden muss. Für Online-Kontakte fehlt diese Garantie tatsächlich. Das ist eine der Schwachstellen des Gesetzes.

«Die Infrastruktur der E-ID wird in mehreren Ländern für Sozialkreditsysteme verwendet, welche die Bevölkerung nach einem Punktesystem bewerten und kontrollieren. Damit eine E-ID in Zukunft sicher sein kann und das Vertrauen der Bevölkerung hat, muss der Betrieb von Sozialkreditsystemen durch das E-ID-Gesetz verboten werden.»

Irreführend. Weder sieht das E-ID-Gesetz ein Sozialkreditsystem vor, noch gibt es eine gesetzliche Grundlage dafür. Ausserdem ist der Einsatz zur umfassenden Verhaltensbewertung ist ausgeschlossen, da zur Datenübermittlung die ausdrückliche Zustimmung der Inhaber:innen nötig ist.

«Vor vier Jahren hat das Volk die E-ID mit einer klaren Mehrheit von 64.4 % abgelehnt. Dieses Gesetz ignoriert den Volksauftrag.»

Falsch. 2021 hat das Volk nicht die E-ID als Konzept, sondern die damalige Ausgestaltung abgelehnt, also dass der Betrieb privaten Anbietern überlassen werden sollte. Die Historie ist hier aufgearbeitet. Die nun vorliegende Vorlage setzt den Volkswillen um: Der Bund betreibt die E-ID selbst, speichert die Daten dezentral und räumt den Nutzer:innen die Kontrolle über ihre Angaben ein.

«Digitalisierung muss freiwillig bleiben. Die E-ID wird aber ständige Identifikation im Internet erzwingen und Anonymität abschaffen. Wählen und Abstimmen wird künftig nur digital möglich sein.»

Falsch. Das E-ID-Gesetz sieht weder eine generelle Identifikationspflicht im Internet vor noch eine Abschaffung der Anonymität. Abstimmungen und Wahlen bleiben weiterhin auf Papier möglich.

«Mit der E-ID bricht eine neue Zeit an: Bargeld wird abgeschafft. Jede Zahlung wird nachverfolgt, jeder Schritt und jede Handlung überwacht und kontrolliert, von Einkäufen bis zu Meinungen auf Social Media.»

Falsch. Die E-ID hat keinerlei Funktion zur Bezahlung und ist nicht mit einem Bankkonto verknüpft. Sie kann also weder Bargeld abschaffen noch Zahlungen überwachen. Für Transaktionen im Internet könnte die E-ID höchstens als Identifikationsmittel dienen – ob und welche Daten dabei übermittelt werden, entscheiden die Inhaber:innen selbst.

«Intransparente Technologie und Abhängigkeit von Tech-Konzernen: Der Quellcode wird nicht vollständig veröffentlicht, was Sicherheitsrisiken birgt. Zudem funktioniert die E-ID aktuell nur auf den Betriebssystemen von Google und Apple – eine staatliche Lösung sollte unabhängiger sein.»

Teilweise richtig. Vieles, inklusive dem Quellcode der App, ist Open Source. Nur der Teil für die Online-Verifikation beim Bestellen der E-ID bleibt geheim. Ebenfalls ist die App zum Start nur für iOS und Android verfügbar.

Zusätzlich zu diesen Argumenten, die von den Websites der beiden Komitees stammen, positioniert sich insbesondere Massvoll auf Social Media mit lautmalerischen Sujets, die mit der Wahrheit nichts mehr zu tun haben.

«Stadionbesuch? Nur mit eID! Jeder Besucher von Sportanlässen soll identifiziert werden.»

Falsch. Das E-ID-Gesetz verpflichtet weder Sportveranstalter noch andere Event-Organisatoren zur Identifikation aller Besucherinnen und Besucher. Eine solche Pflicht wäre nur durch ein separates Gesetz möglich. Und wenn diese Pflicht käme, dann mit oder ohne E-ID.

«Keine Unterhaltung ohne E-ID! Jeder Lebensbereich soll kontrolliert und überwacht werden, selbst die Musik, die man hört.»

Falsch. Das E-ID-Gesetz enthält keine Bestimmungen, die den Zugang zu Musik, Unterhaltung oder anderen Freizeitangeboten von einer E-ID abhängig machen. Das Wort «Unterhaltung» wird ausserdem absichtlich irreführend verwendet, weil es auch Kommunikation bedeutet.

«Zocken nur mit E-ID! Auf Druck der Politik werden Games wie GTA 6 nur noch mit E-ID spielbar sein.»

Falsch. Das E-ID-Gesetz macht keine Vorgaben zur Nutzung von Computerspielen und enthält keine Bestimmungen, die eine E-ID für den Kauf oder das Spielen von Games wie GTA 6 verlangen würden. Geregelt ist das im Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele. Sprich: In diesem Bereich kommt die ID-Pflicht sowieso, mit der E-ID ist wenigstens die Privatsphäre geschützt.

Fazit: Die Argumente ziehen nicht

Ein überwiegender Teil der Kritik an der E-ID verfehlt den Kern der Vorlage. Häufig wird nicht die E-ID an sich angegriffen, sondern eine meist hypothetische, allgemeine Identifikationspflicht im Internet. Das ist eine ganz andere politische Diskussion, die wohl eher früher oder später ohnehin geführt werden wird. Die entscheidende Frage lautet daher nicht «Kommt die Pflicht wegen der E-ID?», sondern: Falls sie eines Tages kommt – wäre es mit einer staatlichen, datenschutzfreundlichen und datensparsamen E-ID besser als ohne? (Ich finde: ja.)

Nur zwei Argumente der Gegner:innen sind meines Erachtens valide, reichen für mich aber nicht für ein Nein.

  1. Die Freiwilligkeit ist nur beim Offline-Ausweisen garantiert. Wer sich zum Beispiel für eine Transaktion in einem Onlineshop ausweisen muss, kann zur E-ID gezwungen werden. In der Praxis sehe ich diese Gefahr allerdings nicht – welcher kommerzielle Anbieter schliesst freiwillig Teile seiner Kundschaft aus?
  2. Die fehlende Veröffentlichung des Quellcodes und die Beschränkung auf Smartphones mit Android und iOS ist störend.

Über die E-ID lässt sich vortrefflich streiten. Bei den Argumenten dagegen sollte es aber nicht um Gespenster gehen, sondern um die Vorlage, die auf dem Tisch liegt – sonst ist es eine Scheindebatte.

PS: Einer meiner grössten Kritikpunkte, nämlich die Speicherung von biometrischen Daten für 15 Jahre, greifen die Gegnerinnen und Gegner interessanterweise gar nicht auf.

Disclaimer: Die Meinung von Reto deckt sich nicht zwingend mit jener aller Dnip-Redaktionsmitglieder.

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4 Antworten

  1. Leider fehlt im Gesetz die Garantie der Unverknüpfbarkeit der Daten. Durch die Übernahme des EU-Technologiestack wird bei der Alterskontrolle eine eindeutige Identifikation mitgeliefert. In der aktuellen Beta der Swiyu App kann dies sehr gut nachvollzogen werden. Zwar arbeitet der Bund an einer Lösung, eine gesetzliche Pflicht gibt es aber nicht. Neben der Problematik mit den biometrischen Daten der Hauptgrund für mich die E-ID ein zweites Mal abzulehnen. Heikel ist auch, dass es Kantonen möglich sein wird, für Offline Abwicklungen Zusatzgebühren zu verlangen.

  2. Das Ergebnis der Volksabstimmung wird zeigen, wie weit man in der Schweiz inzwischen mit Desinformation kommt. Dein Disclaimer auf die anderen Dnip-Redaktionsmitglieder, Reto, ist herzig. Mindestens ein Mitglied tritt bei diesem Thema öffentlich auf, als wäre sie Ehrenmitglied bei Mass-Voll. In eine sehr ähnliche Richtung wie du zielt übrigens der Schweizer Influencer Zeidgenosse: https://www.youtube.com/watch?v=bD5JJvgLUZY

    1. Ich bin zuversichtlich für die Abstimmung und rechne mit 53-59% Zustimmung. Merci für den Link aufs Video, das ist eine gute Ergänzung. Hatte ich gestern noch gesehen.

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