Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.
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ToggleIngenieur:innen an die Macht!
Der langjährige China-Wirtschaftsanalyst Dan Wang schreibt in seinem demnächst erscheinenden Buch Breakneck: China’s Quest to Engineer the Future (hier von ihm vorgestellt), dass ein erfolgreiches Land Ingenieure an der Spitze brauche, nicht Juristen. In seinen Argumenten zielt er auf die USA, aber auch viele andere Länder – darunter die Schweiz – haben ähnliche Strukturen. Während im chinesischen Politbüro beispielsweise 2002 alle neun Mitglieder einen Ingenieurshintergrund hatten, gibt es im aktuellen Bundesrat je 3 Personen mit bäuerlichem (Parmelin, Rösti, Jans) bzw. geistes-/sozialwissenschaftlichem (Keller-Sutter, Baume-Schneider, Pfister) Hintergrund und einen Mediziner (Cassis). Auch im Nationalrat machen typischerweise Juristen und Berufspolitiker zusammen knapp die Hälfte der Mitglieder aus.
Laut Wang – der in Kanada aufgewachsen ist und in den USA lebt – erklärt sich daraus der Unterschied zwischen den USA und China sowohl in Bezug auf Wirtschaftspolitik als auch Infrastruktur. Als Beispiele nennt er den aktuellen US-Zollwahn als auch die aufstrebende chinesische Auto- und Energieindustrie sowie schöne Städte und gute Infrastruktur. Er fasst zusammen: «Was wir in den USA haben ist eine autoritäres System ohne die guten Seiten.»
Die Sache ist sicher nicht so einfach, wie das Wang in seiner Kurzfassung darstellt. Aber es wäre sicher gut, mehr (Digital-)Technik-Erfahrung in der Politik zu haben. Und sei es nur, um:
- allzu dumme Ideen rechtzeitig abzublocken (wie die zum Scheitern verdammten Versuche, Naturgesetze durch Gesetze in ihre Bahnen zu zwingen oder gesellschaftliche Probleme allein durch Technik lösen zu wollen) oder
- Digitalisierung kompetent voranzutreiben, was wiederum vorher eine Prozessoptimierung bedingt, aber auch den Einsatz moderner Softwareentwicklungsprozesse.
Ganz besonders in einer Demokratie. Entsprechend würde es helfen, wenn die Parteien intern entsprechende Politiker:innen identifizieren und fördern würden. Diesbezüglich keine gute Falle gemacht hat letzte Woche Justizminister Beat Jans. Er verwechselte entweder Whatsapp mit Threema oder getraute sich nicht, die Aussage des Donnschtig-Jass-Moderators entsprechend zu korrigieren. Beides nicht optimal (vorsichtig formuliert).
Kampf gegen Desinformation als nationale Verteidigungsstrategie
Ruth Kronenburg, die Chefin der niederländischen Pressefreiheitsorganisation «Free Press Unlimited» meinte bei einem Interview, dass die Lücke aus dem Verschwinden von unabhängigen Medien in Osteuropa immer durch russische Propaganda gefüllt wurde. Ihre Forderung: «Wenn so viel Geld aktuell in Verteidigungsausgaben geht, dann muss auch Geld in unabhängige Medien fliessen, die sich gegen russische Desinformation richten. Das macht alle Europäer sicherer.»
Unabhängig davon, woher die Desinformation kommt: Es ist wichtig, dass unabhängige, investigative Medien über genügend Geld verfügen, um ihrer Aufgabe nachzugehen. Und ihre Resultate ohne Paywall zur Verfügung stellen können. Denn wenn alle Qualitätsinformation hinter Paywalls verschwunden ist, wird die einzige öffentlich sichtbare Information noch die Desinformation sein.
Bluesky und Enshittification
Zentralisierte soziale Netzwerke (aber auch Messenger) versuchen klassischerweise ihre Nutzerinnen mittels Lock-In-Mechanismen an sich zu binden. So kann man zwar das Netzwerk wechseln, aber die Daten bzw. die Kontakte bleiben beim bisherigen Provider. Jede Nutzerin ist also auch sich allein gestellt, ihr neues Netz wieder aufzubauen. Kein leichter Schritt.
Bluesky verfolgte deshalb den Ansatz, einen Twitter-Klon mit mehr Provider-Unabhängigkeit zu schaffen und andere tolle Ideen auszuprobieren. Seit Kurzem ist es auch möglich, seinen eigenen Feed relativ günstig selbst zu betreiben. Im Gegensatz zu echten föderierten Netzen wie dem Fediverse (oft «Mastodon» genannt) fehlen aber echte Unabhängigkeit und Portabilität, wie Cory Doctorow schreibt. Während Doctorow Vertrauen in die aktuelle Firmenleitung von Bluesky hat, hat er Fragezeichen bezüglich der Ziele der Investoren hinter Bluesky.
Falls Bluesky (wie die meisten kommerziellen sozialen Netzwerke davor) irgendwann zu Enshittification neige, könnten die Nutzer:innen eben doch nicht von Bluesky los, weil eine aktive Teilnahme am sozialen Netzwerk Bluesky eine von der Firma Bluesky herausgegebene Identität bedingt.
Und die Bedingungen an ein solches Konto sind sehr ungünstig. So muss man dazu AGBs zustimmen, die der Nutzerschaft verbieten, gegen Bluesky vor Gericht zu ziehen, wie Doctorow schreibt. Eine perfekte Grundlage für Enshittification.
Aral Balkan erklärt den Legitimationszyklus von Startups (wie auch Bluesky): Anfangs geht es darum, möglichst viel Legitimation zu erreichen, in dem das Startup möglichst offen ist und zeigt, dass sie der Nutzerschaft gegenüber freundlicher seien als alle zuvor. Sobald sie aber gross genug seien, dass sie diese Legitimation nicht mehr bräuchten, würden sie diesen unnötigen Ballast möglichst schnell loswerden, um die Investoren glücklich zu stimmen. Das illustriert er auch an einem verständlichen Beispiel.
Damit hat man aktuell nur die Auswahl zwischen zentral gemanagten sozialen Netzwerken (Facebook, TikTok, LinkedIn uvam. inklusive Bluesky), bei denen man den Anbietern ausgeliefert ist, oder der vergleichsweise kleinen, dafür aktiven und kooperativen Gefolgschaft im Fediverse.
Die KI-Bubble
Sam Altman, Chef von OpenAI, sagte anlässlich eines Abendessens mit zehn Journalisten in San Francisco, dass er den aktuellen Stand von KI als Bubble betrachte. Obwohl er (nicht wirklich unerwartet) einen Mehrwert in KI sieht, gehe er davon aus, dass viele Investoren zu viel Begeisterung zeigen würden und einige sich die Finger verbrennen würden und über das gesamte KI-Ökosystem «phänomenale Mengen von Geld» sich in Luft auflösen würden.
(Zwei Ausschnitte aus dem Artikel sind kostenlos lesbar. Der Rest steht hinter einer Paywall.)
Und schliesslich:
- Die Zensur in den USA geht weiter: So müssen renommierte Museen der Smithsonian Institution jetzt ihre Ausstellungen so ändern, dass sie «einheitsstiftend» wirken würden. Schreckenstaten aus früheren Zeiten dürfen nicht mehr präsentiert werden, da diese «polarisierend» seien. Es bleibt offen, wie man den Sezessionskrieg oder die Sklaverei «konstruktiv» beschreiben kann. Und ob man das überhaupt will. War is peace.
- Glasfaser ist grüner als ein DSL-Anschluss. So wird Ex-Deutsche-Telekom-Chef Obermann im Spiegel (Paywall) wie folgt zitiert: «Glasfaser benötigt in den Netzknoten etwa 200 Milliwatt pro Haushalt. Bei DSL sind es mit zwei Watt pro Haushalt zehnmal so viel.»
- Den richtigen Adapter zu haben, um ein Gerät mit dem Computer zu verbinden, das war vor allem im Vor-USB-Zeitalter schon fast eine Geheimwissenschaft. Auch deshalb wurde über Scherz-Adapter gesprochen, wie das nur im Spass existierende WLAN-Kabel oder der Gardena-auf-HDMI-Adapter. Johannes Hauser hat für Golem das aber nachgebaut und überträgt alte Western jetzt nicht per HDMI, sondern per Gartenschlauch. Die Qualität ist weniger gut als bei einer ausgeleierten VHS-Kasette, aber der Artikel gibt Einblicke in eine Technik aus den 1950ern, die schon für die ersten Bilder von der Rückseite des Monds eingesetzt wurden. Lehrreich und unterhaltsam.
- Warum sind IT-Projekte bei der öffentlichen Hand regelmässig Millionengräber? Unser Kolumnist Reto Vogt hat in einem Interview mit der Berner Zeitung erklärt, was bei IT-Beschaffungen der öffentlichen Hand systematisch schief läuft. Und was sich ändern muss, damit es besser wird.