DNIP Briefing #36: Glaskugeln

Ein Bahnhof mit einem Gepäckwagen voller Gepäck drauf
Foto von veerasak Piyawatanakul via Pexels

Heute mit Informationen, welche Jobs durch KI wegfallen, wie KI das Leben bestimmt, was dein Gepäck alles über dich verrät, Russlands neue Pflicht-Chat-und-alles-App, Televisoren sowie kompakte URLs und mehr.

Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.

Dein Job macht jetzt eine KI

ForscherInnen von Microsoft haben 40 Berufe identifiziert, die am stärksten von KI betroffen sind. Sie haben die Berufe danach eingestuft, wie gut ihre Aufgaben mit den aktuellen Fähigkeiten von KI übereinstimmen. Für die Studie wurden 200’000 reale Gespräche von Copilot-Nutzern analysiert. Nicht ganz überraschend sind ÜbersetzerInnen an der Spitze der Liste, zusammen mit Mitarbeitenden im Kundendienst und im Verkauf. Eher überraschend tauchen auch Historiker und Mathematikerinnen weit oben auf der Liste auf. Das mag mit der Datenbasis zusammenhängen, kann man Copilot doch (mit den bekannten LLM-Einschränkungen) gut dazu nutzen, dokumentiertes Wissen zusammenzufassen oder sich erklären zu lassen. Die Forschungsarbeit von Historikerinnen und Mathematikern dürfte sich auch in Zukunft nur beschränkt durch AI ersetzen lassen.

Wohl ebenfalls nicht überraschend laufen gemäss der Studie Berufe, bei denen es vor allem Muskelkraft und/oder Hände braucht, am wenigsten Gefahr, von KI verdrängt zu werden. Dazu gehören beispielsweise Bahnarbeiter oder generell Wartungstechnikerinnen, aber auch Feuerwehr-Frauen und Masseure. 

Dein Leben bestimmt jetzt eine KI

Harvard Business Review hat vor einigen Monaten eine Studie dazu veröffentlicht, «wie Menschen 2025 Generative KI wirklich nutzen», inklusive Vergleich zur Vorjahresstudie. Natürlich finden wir dort einige der erwarten Punkte wie Lernunterstützung (auf Rang 4), Erstellen von Programmcode (5), Ideenerzeugung (6) oder Spass und Mumpitz (7). Die Top 3 – vor allem die Neuzugänge auf 2 und 3 – waren für uns aber sehr überraschend:

  1. Therapie und Kameradschaft
  2. Das eigene Leben organisieren
  3. Sinnfindung

Eigentlich sagt dies für sich alleine schon sehr viel über unsere Gesellschaft aus.

Aber man könnte das auch aus einem anderen Blickwinkel anschauen: Etliche der Personen hinter diesen Anfragen dürften sehr beeinflussbar sein, einige sogar labil. Und diese hören auf Empfehlungen, die von wenigen Milliardären beeinflusst werden können.

Dies könnte die Ausgangslage für einen Sci-Fi-Thriller sein. Oder der Grund, die Angebote von KI-Firmen zu regulieren. Doch hier in der Schweiz …

Dein Gepäckdienst weiss, was Du letzten Sommer gemacht hast

Ferienzeit ist Reisezeit, und wer nicht gerade ultra-leicht reist, weiss, dass das Sich-ums-Gepäck-Kümmern oft ziemlich mühsam ist. Kein Wunder also, dass es Anbieter gibt, welche gegen einen kleinen Obolus bereit sind, einem das abzunehmen und Gepäck zum Beispiel von zu Hause bis ins Flugzeug oder umgekehrt vom Flugzeug bis nach Hause zu bringen. Die dabei anfallenden Reisedaten können, gerade bei Prominenten oder anderen im Interesse der Öffentlichkeit stehenden Personen, durchaus brisant sein. Dass der Schutz dieser Daten nicht immer der allerbeste ist, haben Sicherheitsforscher jetzt am Beispiel eines entsprechenden Unternehmens in UK (Wired) zeigen können.

Einfache Fehler auf der Website des Gepäcklieferdienstes Airportr ermöglichten es den Forschern, auf praktisch alle persönlichen Daten der Nutzer zuzugreifen, einschliesslich der Reisepläne. Sie erlangten sogar Administratorrechte, die es einem Hacker ermöglicht hätten, Gepäck während des Transports umzuleiten oder zu stehlen. In den offengelegten Daten fanden sich offenbar persönliche Informationen und Reiseunterlagen mehrerer Regierungsbeamten und Diplomaten aus Grossbritannien, der Schweiz und den USA. Gemäss Angaben des betroffenen Unternehmens wurde die Lücke nach der Offenlegung im April umgehend geschlossen, und es wurden, abgesehen von den Sicherheitsforschern, keine unberechtigten Zugriffe vorgenommen. Unabhängig davon zeigt dieser Fall erneut, wie vernetzt und weit-verteilt heute vertrauliche Informationen vorliegen, und wie fahrlässig oft damit umgegangen wird.

Russlands neue verpflichtende All-in-one-App

China hat sie (WeChat), Elon Musk will sie (X) und nun arbeitet auch Russland daran: Die Chat-App, die dein ganzes Leben bestimmen soll, fast wortwörtlich. Man soll darüber seine Freunde verwalten, seine Diskussionen führen sowie alle Einkäufe bezahlen.

Sie heisst Max (bzw. MAX) und soll demnächst verpflichtend auf allen russischen Smartphones installiert werden. Kurzfristig soll vor allem die Möglichkeit geschaffen werden, WhatsApp zu blockieren, das in Russland von rund 100 Millionen genutzt wird. Vielleicht folgt dann etwas später auch Telegram, aber das scheint noch offen. Eine Bank bietet bereits eBanking darüber an, zukünftig sollen Regierungsstellen verpflichtet werden, Max ebenfalls zu nutzen.

Längerfristig soll es einfacher werden, das russische Netz vom restlichen Internet zu isolieren und damit u.a. Zensur- und Überwachungsmassnahmen einfacher und effizienter umzusetzen. (Quellen: New York Times (Paywall), BBC, Online.UA, Moscow Times (nicht mit Putin befreundet))

Übrigens: Man soll nicht einfach «irgendeine» Chat-App verwenden, wenn man nicht will, das Fremde zu viel mitbekommen. Sicherheitsforscher Soatok hat eine Liste von Kriterien aufgestellt, die eine sichere Chat-App haben sollte. Und findet beispielsweise, dass die Chat-App «Session» diese Kriterien nicht erfüllt. (Auch Telegram erfüllt diese Kriterien nicht. Und ob der neuen Max-App würden wohl auch noch vielen anderen die Haare zu Berge stehen.)

Der Televisor kommt!

Der Televisor (in anderen Übersetzungen: Teleschirm), das fast allmächtige Überwachungsgerät aus 1984, kommt in unsere heimischen Wohnzimmer. Zumindest, wenn es nach Jeff Bezos geht. Sein Televisor heisst aber «Alexa+» und soll nicht im Namen von Big Brother ausspionieren und manipulieren, sondern für Big Tech. Die Sprachassistentin Alexa soll nach den Plänen von Amazon seine Nutzer:innen zu Hause künftig in längere (Verkaufs-)Gespräche verwickeln, aber auch die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen mit Werbetreibenden teilen.

Zum Glück sind Werbenetzwerke ja so privatsphärefreundlich (Ironie Ende).

Und schliesslich:

dnip.ch mit Deiner Spende unterstützen

Wir wollen, dass unsere Inhalte frei verfügbar sind, weil wir es wichtig finden, dass möglichst viele Menschen in unserem Land die politischen Dimensionen der Digitalisierung erkennen und verstehen können.

Damit das möglich ist, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Jeder Beitrag und sei er noch so klein, hilft uns, unsere Aufgabe wahrzunehmen.

9 Antworten

  1. zum Ersatz von Übersetzerinnen durch KI. Das könnte je nach Anforderung eine Täuschung sein. Wenn in einem Satz ein einzelnes Wort falsch/unpassend ist, kann dieses Wort zB verraten, dass der Schreiber/Sprecher nicht Muttersprachler ist und woher er kommt. Oder das er vom Inhalt wenig bis keine Ahnung hat, oder wo er ausbildungsmässig stehengeblieben ist. Oder aus welchem Kontext er kommt. Wenn man das alles so auch ausdrücken will passt das schon. Will man aber eher nicht.
    Wenn nun ein einzelner Fachbegriff im Satz kommt hat man den begriffen oder nicht. Vielleicht kann man sich den im Fachlexikon erklären lassen, oder auch nicht. Je nach Kontext bedeuten dieselben Worte etwas Anderes. Und wenn ein paar Fachsätze kommen, muss man sich halt jedes Wort erklären lassen. Womit man noch nichts begriffen hat.
    Wir haben bisher noch gar nichts übersetzt. Pro Fach gibts natuerlich ein eigenes Modul. Wobei diese an ihren Rändern nicht zusammenpassen. Wenn der Ursprungstext von keiner Ahnung zeugt, soll eine KI das Einfuegen, oder allenfalls weglassen ?

    1. Für Alltagsübersetzungen gab es schon vor dem Aufkommen der LLMs gute Produkte. Wenn es um Spezialthemen oder Literatur geht, wird der Mensch der KI wohl bis auf weiteres überlegen sein. Nur macht das halt nen kleinen Teil des Übersetzungsmarkts aus.

    2. Ich hatte grad neulich damit zu tun. Jemand schlug vor, einen Text, an dem ich Rechte habe, von KI übersetzen zu lassen. Ich sagte „Nur über meine Leiche“, ich bin auch freischaffend und seit 25 Jahren selbständig mit Einzelfirma… Bei der Suche nach „Munition“ stiess ich auf diese gelungene Stellungnahme des Autor*innen-Verbandes. tl;dr KI-Übersetzung macht doppelte Arbeit. Professionelle Übersetzer*innen, die eine KI-Übersetzung redigieren müssen, haben es mit zwei verschiedenen Texten zu tun (Original, KI). Ich finde das lesenswert. https://www.a-d-s.ch/wissenswertes/kuenstliche-intelligenz-ki/

      1. Danke Christine. Wir haben hier ja auch schon den einen oder anderen Text von einem englischen Blog übernommen. Eine KI-Übersetzung nachzubearbeiten ist definitiv anspruchsvoller (und führt zu schlechter lesbaren Texten) als den Text selbst zu übersetzen.

        1. Kann ich aus erster Hand bestätigen; habe hier und anderswo schon beides gemacht (sowohl D->E für eigene Texte als auch E->D für eigene und fremde Texte.)

          Wenn der Text nur verständlich sein soll, reicht eine automatische Übersetzung (egal, ob DeepL&Co. oder ChatGPT&Friends). Sobald er aber ansprechend sein soll, reicht das nicht. Und nachbearbeite automatische Übersetzungen wirken holpriger, weniger flüssig und weniger attraktiv als Direktübersetzungen.

  2. Zu URL-Verkürzern.
    1/
    Mir hat mal ein Marketing-Mensch erklärt, dass er diese einsetzt, um die Wirkung seiner Werbung verfolgen zu können. Was natürlich Unsinn ist, weil er dies auch via den Daten machen könnte, die im Ziel vorliegen.

    2/
    An einer einsamen Ladesäule im Nirgendwo (aber an einem durchaus touristisch relevantem Ort) war in der Nutzungsanleitung ein QR-Code eingebaut, der für die Aktivierung gescannt werden sollte. Das war wirklich der originale QR-Code, nicht etwas, was darüber geklebt wurde. Leider war das ein „bit.ly“ URL-Verkürzer (warum auch immer, das Ziel hätte sicher problemlos in den QR-Code gepasst), der aber offenbar entweder abgelaufen war (laufen bit.ly Codes ab?) und mittlerweile von einer Porno-Seite genutzt wurde. Ich habe mich gewundert, warum sich der Betreiber der Säule nicht wundert, dass diese niemand nutzt?

    Ich bin jedenfalls froh, wenn es keine URL-Shortener mehr gibt. Eben genau deshalb, weil ich vorher nicht sehen kann, wohin es mich führen wird. Die Idee aus Twitter-Anfangszeiten und SMS hat sich überholt. Weg damit.

  3. Unter „Dein Leben bestimmt jetzt eine KI“ finden sich 7 Bereiche in denen anscheinend generative KI eingesetzt wird. Die Resultate sind durchaus besorgniserregend, werden aber meiner nach Meinung dadurch relativiert, dass es noch 93 weitere Bereiche gibt (siehe https://learn.filtered.com/hubfs/The%202025%20Top-100%20Gen%20AI%20Use%20Case%20Report.pdf) und die Klassifizierung für meinen Geschmack nicht sehr trennscharf ist. Wie dann auch noch ein Ranking über alle 100 Bereiche / Use Cases gemacht werden kann ist für mich ein wenig rätselhaft und wird vielleicht im Harvard Business Review Artikel erhellt – aber ich werde deswegen nicht diese Zeitschrift abonnieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge