KI-Konzerne verdienen Milliarden mit journalistischen Inhalten von Medienhäusern. Sprachmodelle leben vom Journalismus und fressen ihn gleichzeitig auf, schreibt Kolumnist Reto Vogt.
Das grösste Kapital von Medienhäusern taucht in keiner Bilanz auf: Die digitalen Zeitungsarchive, jeweils gefüllt mit gut recherchierten, qualitativ hochwertigen Artikeln. Bis vor kurzem war das weder Problem noch Thema. Abgesehen von Übernahmen von Verlagshäusern gab es auch nie Interessenten für die Nutzung oder gar den Kauf dieser archivierten Geschichten.
Seit generativer KI ist das anders. Zeitungsarchive sind für die Anbieter der grossen Sprachmodelle Gold wert. Ihre Modelle ohne urheberrechtlich geschützte Inhalte zu trainieren, sei «unmöglich», hiess es beispielsweise von OpenAI. Das ist bei anderen Anbietern nicht anders. Sie nehmen alle Daten, die sie kriegen können, und zwar meistens, ohne die Urheber dafür entsprechend zu entschädigen.
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ToggleJournalistische Inhalte als öffentliches Gut?
Warum tun sie das? Abgesehen von Wikipedia gibt es für die grossen KI-Buden kaum eine wertvollere und verlässlichere Datenquelle als die Archive der Medienhäuser. Hätten die Anbieter mit allen Verlagen im Vornherein eine vertraglich geregelte Partnerschaft eingehen müssen, wären ChatGPT, Claude und Gemini niemals so gut wie sie heute sind. Schlichtweg weil die Verhandlungen zu lange gedauert hätten (und vielleicht auch nicht alle zugestimmt hätten).
Ist es also nur gut und recht, dass die Sprachmodelle die öffentlich verfügbaren Daten einfach genommen haben? Manche mögen argumentieren, dass es schliesslich uns allen zugute komme, wenn ChatGPT bessere Antworten gibt. Ich sehe das dediziert anders: Es kommt eben nicht uns allen zugute, sondern in erster Linie den Aktionärinnen und Aktionären von OpenAI, Anthropic oder Google.
Die Unternehmen florieren. Sie können Entwicklerinnen und Entwicklern groteske Löhne im dreistelligen Millionenbereich zahlen und werben einander die Talente ab. Auch neugegründete Startups wie jenes von Mira Murati, ehemals Technologiechefin bei OpenAI, garniert zwei Milliarden Dollar Cash. Notabene nicht für ein fertiges Produkt, sondern für ein vages Versprechen.
KI-Konzerne scheffeln Milliarden, Verlagshäuser verhungern
Demgegenüber stehen Medienhäuser, die nicht mit Neueinstellungen oder überdurchschnittlichen Gehältern auffallen, sondern im Gegenteil mit Stellenstreichungen. Die letzten zwei Jahre waren diesbezüglich wohl die schlimmsten in der Geschichte des Schweizer Journalismus. Aussicht auf Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil wird es eher schlimmer. Warum? Paradoxerweise wegen KI – und zwar gleich dreifach.
Künstliche Intelligenz…
… korrumpiert das Geschäftsmodell von digitalen Medien. Wenn Leserinnen und Leser von KI-Modellen und von Googles «Übersicht mit KI» direkt die Antworten erhalten, müssen diese nicht mehr klicken. Die Reichweite sinkt und wird weiter sinken und damit das vermarktbare Werbevolumen.
… schwächt die Marken von Medienhäusern. Nutzerinnen und Nutzer konsumieren die Inhalte vermehrt ohne noch zu merken, woher sie stammen. Medienmarken verschwinden im Hintergrund der KI-Antwort. Geringere Markenbildung führt zu sinkender Bereitschaft für Journalismus zu zahlen oder ein Abo abzuschliessen.
… frisst Jobs weg. Medienmitteilungen umschreiben, Rechtschreibprüfung, Redigat, einfache Layouts. Was automatisiert werden kann, wird automatisiert (Paywall). Das ist zumindest kurzfristig ein Punkt, der Verlegerinnen und Verlegern gefällt. Langfristig wird er sie schmerzen. (Wenn sie merken, dass niemand mehr da ist, der Verantwortung übernimmt.)
US-Richter argumentiert mit Fair Use
Das Dilemma: KI lebt vom Journalismus – und tötet ihn dabei Stück für Stück. Ist das eigentlich alles rechtens? In den USA sind 22 entscheidende Klagen hängig, wie Wired nachgerechnet hat. Entscheide gibt’s bis dato nur wenige, und sie sind auch nicht wirklich eindeutig. Einer davon ist kürzlich in einer Klage gegen Anthropic gefällt worden:
Einerseits war es Anthropic laut dem zuständigen Richter erlaubt, sein Sprachmodell Claude mit Millionen gekauften Büchern zu trainieren, ohne die Urheberinnen und Urheber zu fragen. Es handle sich um «transformative Nutzung, die aus dem Ausgangsmaterial ein neues Werk mit anderem Zweck macht», heisst es beim Social Media Watchblog (Paywall) – Stichwort: «Fair use». Andererseits sei es nicht rechtens gewesen, knapp 200’000 Bücher aus einem illegalen Download dafür genutzt zu haben. In einem weiteren Verfahren soll nun die diesbezügliche Entschädigung geklärt werden, im Raum stehen laut «drei- bis sechsstellige Summen pro Buch im Raum», so das Onlinemedium.
Eigene Reichweite ohne Algorithmen
Was bedeutet das für Schweizer Medien? Nicht viel. Die Rechtsprechung bezieht sich auf US-Urheberrecht. Wie sollten hiesige Verlage darauf regieren? Um eine Chance zu haben, sich aus dem Dilemma zu befreien, sehe ich drei Punkte:
- In ihrer Berichterstattung kritischer gegenüber KI werden. Es braucht dringend mehr Aufklärung für Leserinnen und Leser – denn KI-Modelle sind keine Suchmaschinen.
- Aufhören, ihre Inhalte kostenlos herzugeben. Sie müssen entweder faire Partnerschaften mit OpenAI & Co. abschliessen – oder dichtmachen.
- Ihre eigene Reichweite und ihre eigenen Kanäle stärken und so die Abhängigkeit von Plattformen verringern. Die Zukunft liegt in Communitys, Memberships, Events und Newslettern, weil dort weder Algorithmen noch Wahrscheinlichkeitsrechner reinfunken.
PS: Ja, KI kann den Journalismus auch besser machen. Und für Medien ist es trotz allem wichtig, von den KI-Modellen in ihren Antworten (möglichst im korrekten Kontext zitiert zu werden). Aber darum soll es heute mal nicht gehen.
Eine Antwort
Siehe auch https://nicolas-zahn.ghost.io/repeating-a-costly-mistake/