Vogt am Freitag: Plan B

Microsofts vollmundiges Versprechen, europäische Kunden vor politischen Risiken zu schützen, ist offensichtlich nichts wert. Wer sich nicht um Alternativen kümmert, braucht vielleicht bald einen Krisenstab, schreibt Kolumnist Reto Vogt.

Microsoft sperrt die Mailkonten von Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, und keinen interessiert’s? Tatsächlich: Ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank zeigt, dass in der vergangenen Woche nur ein einziger Artikel erschienen ist, der sich dem Thema zumindest am Rande gewidmet hat.

Berichtet hat die NZZ (Paywall). Aber mit einem ganz anderen Fokus und der Sperre durch Microsoft nur als Nebensatz. Natürlich: Die Vorwürfe gegen Khan wegen mutmasslicher sexueller Übergriffe und vorläufige Amtsniederlegung sind relevant. Aber die Tatsache, dass ein US-Konzern einer europäischen Behörde auf politischen Druck den digitalen Stecker zieht, hätte eine deutlich prominentere mediale Behandlung verdient.

Microsoft hält seine Versprechen nicht

Ganz anders noch vor drei Wochen: Ende April kündigte Microsoft in einer Medienmitteilung an, die Daten seiner Kundschaft in Europa besser zu schützen. Das Versprechen, «Europas digitale Resilienz auch in Zeiten geopolitischer Volatilität aufrechtzuerhalten», veranlasste diverse Medien – darunter die Schweizer Depeschenagentur – zu weitgehend unkritischer Berichterstattung.

Falls Microsoft jemals aufgefordert werde, seine Dienste in Europa einzustellen, so hiess es in der Medienmitteilung weiter, würden europäische Partner benannt, um die betriebliche Kontinuität sicherzustellen. Im Fall von Karim Khan geschah genau das nicht. Wegen der im Februar 2025 verhängten Sanktionen sei das Den Haager Gericht in seiner Arbeit geradezu gelähmt worden, berichtete die US-Nachrichtenagentur AP.

Wen trifft die nächste Sperre?

Für mich zeigt der Fall glasklar: Wenn es hart auf hart kommt, steht Microsoft nicht auf Seite seiner Kunden, sondern folgt den politischen Anweisungen aus Washington. Wer glaubt, das betreffe nur Einzelpersonen, verkennt die Signalwirkung für ganz Europa. Die Sperrung von Khans Konten – ganz egal, aus welchem Grund sie erfolgte – muss ein Weckruf sein. Für alle IT-Verantwortlichen in Unternehmen, Verwaltungen und internationalen Organisationen.

Die Frage ist längst nicht mehr, ob die nächste Microsoft-Sperre kommt. Sondern wen sie trifft und wann sie ausgeführt wird. Der Bundesrat hat dies erkannt und entwirft eine Exitstrategie, wie die Republik schreibt. Aber es ist kompliziert und unverändert gilt: Wer kritische Infrastruktur oder sensible Kommunikation über US-Dienste abwickelt, liebt offensichtlich das Risiko. Um es nochmal klar und deutlich zu sagen: Microsoft kann jederzeit gezwungen werden, Accounts zu sperren, Daten herauszugeben oder Dienste einzustellen. Und das Handeln des Konzerns beim Internationalen Strafgerichtshof hat gezeigt, dass der Konzern in solchen Momenten nicht zögert, sondern gehorcht.

Plan B oder Krisenstab

Städte, Spitäler, Bundesämter, private Unternehmen: Microsoft ist omnipräsent und vielerorts geschäftskritisch. Was passiert, wenn von einem Tag auf den anderen Schluss ist? Wenn keine Patientin mehr versorgt, Anfragen von Bürgern nicht mehr beantwortet, keine Dienstleistungen mehr erbracht werden können? Mindestens ungünstig.

Wird schon nicht uns treffen, denken Sie jetzt? Vielleicht dachten das die Verantwortlichen beim Strafgerichtshof auch. Es reicht nicht, Cloud-Alternativen zu kennen. Es braucht einen Plan B. Wer diesen nicht hat, braucht vielleicht bald einen Krisenstab.

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4 Antworten

  1. Danke für die treffende Kritik. Aber was soll den nun im Plan B stehen? Probleme ansprechen kann jeder, jedoch Alternativen bringen braucht Weitsicht und Mut. Es gibt Lösungen, du kennst sie. Oder hast du Angst vor dem O-Wort? 😉

    1. Hahaha, Angst vor dem O-Wort 😀 Nein, habe ich nicht. Natürlich muss Open Source evaluliert werden. Aber Empfehlungen zu Alternativen haben nur nicht in den Text/dieses Setting gepasst, fand ich.

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