Normalerweise bespreche ich nicht Sendungen, in denen ich selber zu Gast war. Doch nun muss ich doch ein paar Worte zum #SRFClub verlieren, den viele zu Recht als falschen Film bezeichneten, in welchem sie sich drin wähnten. Eine treffende Sendungszusammenfassung hat die WOZ verfasst.
Mir geht es in diesem Beitrag aber nicht um eine Sendungsrezension. Ich möchte hier die Punkte aufschreiben, worüber man wirklich hätte sprechen sollen.
Die Sendung widmete sich der Frage: „Wird die USA zur Tech-Oligarchie?“
Gesprochen haben wir aber 80 Minuten lang über Elon Musk. Diese Mono-Thematik und auch viele andere Punkte liessen Zuschauer:innen und auch mich frustriert zurück. Ich habe – wenn ich überhaupt mal die Redegelegenheit erhielt – versucht, die Lobhudelei über Musk zu bremsen.
Doch was mich wirklich ärgerte: Die Sendungsleitung ist den Silicon Valley-Narrativen und Hirngespinsten wie Longtermismus und Singularität auf den Leim gegangen.
4 Punkte, die eine vertiefte Diskussion verdient hätten:
Inhalte
Toggle1. Warum die Tech-CEOs Angst haben
Die Inauguration zeigt den Opportunismus der politischen und wirtschaftlichen Eliten: Alle haben Angst, alle knicken ein – aus vorauseilendem Gehorsam. Trump verlangt bedingungslose Unterwerfung. Im Gegenzug verspricht er, die Tech-Konzerne vor Sanktionen und strengen Gesetzen aus Europa zu schützen.
Tech-Unternehmen haben Milliarden in KI-Modelle investiert, riesige Datenmengen gesammelt, Rechenzentren gebaut und gewaltige Mengen an Energie verbraucht. Dafür brauchen sie einen Präsidenten, der sie gewähren lässt – einen, der keine Grenzen setzt und sie vor der europäischen Regulierung abschirmt: vor dem Digital Markets Act (DMA), Datenschutzvorgaben, Wettbewerbsstrafen und Urheberrechtsklagen.
Trump steht bereit, ihnen diesen Schutz zu bieten. Als Gegenleistung erwartet er Unterwerfung – etwa bei der Abschaffung von DEI-Programmen (Diversity, Equity, Inclusion), was insbesondere für Auftragnehmer wie Microsoft und Amazon relevant ist. Beide Unternehmen haben Milliardenverträge mit dem US-Verteidigungsministerium.
Das politische Signal ist klar: Wer sich anpasst, wird belohnt – wer nicht, wird sanktioniert.
Für jedes einzelne Tech-Unternehmen steht zurzeit viel auf dem Spiel:
- Meta: Das Unternehmen ignoriert Urheberrechte beim Training seiner KI-Modelle. Zudem wurde WhatsApp kürzlich von der EU-Kommission im Rahmen des DMA als „Gatekeeper“ eingestuft – und ist damit gezwungen, technische Neuerungen einzuführen. Mark Zuckerberg brachte 2018 bei den Tech Hearings in Washington das China-Narrativ ins Spiel („Wenn wir es nicht tun, tut es China“), um sich politischen Rückhalt zu sichern – damals verfing das nicht bei den Abgeordneten und Senatoren. Jetzt ist es mittlerweile Staatsdoktrin. Für Zuckerberg ist die jetzige US-Administration also ein Jackpot.
- Google/Alphabet: CEO Sundar Pichai möchte eine Zerschlagung von Alphabet verhindern. Ein US-Gericht hatte kürzlich gefordert, den Bereich AdTech auszugliedern. Die gesamte Online-Werbemaschinerie von Google steht unter Druck (gut möglich, macht Trump diesen Schritt wieder rückgängig und hält Google den Rücken frei). Auch Google ist staatlicher Auftragnehmer und steht nun vor der Frage, ob es DEI-Programme beibehalten kann, ohne finanzielle Einbussen zu riskieren.
- Amazon: Jeff Bezos fürchtet Vergeltung durch Trump. Zum einen wegen der früheren kritischen Berichterstattung der Washington Post, die Bezos gehört. Zum anderen wegen einer laufenden Kartelluntersuchung der FTC. Amazon steht dabei unter Verdacht, kleinere Händler im E-Commerce systematisch zu benachteiligen (kein Wunder lud Bezos Trump zu seiner Hochzeit ein).
- OpenAI: Samuel Altman fordert die Schwächung des Urheberrechts, damit urheberrechtlich geschützte Werke uneingeschränkt in seine KI-Modelle integriert werden können.
Und natürlich wollen alle Tech-Konzerne ihr Stück vom Defense Tech-Kuchen und möchten an lukrative Deals mit dem amerikanischen Militär gelangen.
2. Warum die EU das wahre Feindbild ist
Der AI Act ist nun in Kraft – ein wegweisendes Gesetz der Europäischen Union, das erstmals klare Regeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz vorgibt. Wer Large Language Models in Europa anbieten will, muss möglicherweise bald einige Anforderungen erfüllen (die genauen Standards und Normen sollten im Sommer 2025 bekannt werden): darunter Risikobewertungen, Transparenzpflichten und Compliance-Nachweise. Ansonsten drohen hohe Bussen.
2018 reagierten die Konzerne noch ehrfürchtig auf die Einführung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Pünktlich zum Stichtag wurden Datenschutzrichtlinien angepasst und neue Funktionen für Nutzer:innen aufgeschaltet, einiges davon war natürlich Augenwischerei. Es wurde getrickst, um Schlupflöcher zu nutzen, während im Hintergrund weiterhin systematisch Daten gesammelt wurden. In der Folge verhängten europäische Behörden empfindliche Geldbussen.
Allein Meta wurde gemäss GDPR Enforcement Tracker bislang mit DSGVO-Strafen von aufsummiert circa 3 Milliarden Euro belegt – und sieht sich mit neuen Pflichten des Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) konfrontiert.
Die Tech-Konzerne haben Milliarden in ihre KI-Modelle investiert, denen keinerlei Limiten auferlegt werden sollten – und sie finden ihn in einer US-Regierung, der als ihr politischer Protegé auftritt.
Trump verspricht den Tech Bros:
– Schutz vor EU-Strafen und Kartellklagen
– Druck auf Urheberrecht & Datenschutz
– Politische Rückendeckung für KI-Ausbeutung (Clickwork und Data Mining)
– Keine lästigen Umwelt- & Energie-Auflagen
Das Ziel: Umgehung der europäischen Regeln durch politische Rückendeckung aus den USA. Die Interessen von Silicon Valley und Washington verschmelzen – auf Kosten demokratischer Kontrolle, Privatsphäre und fairer Märkte.
3. Das Weltbild der Tech Bros
Oft heisst es: Die Tech-CEOs hätten eine politische 180 Grad-Wende gemacht. Sie wählten früher demokratisch. Jetzt neuerdings rechts-konservativ. Doch die Zuckerberg, Altman und Bezos vertreten nicht wirklich politische Werte oder Visionen, sie sind nihilistisch und vor allem libertär unterwegs. Was zählt, ist der eigene Profit.
Dazu eine Korrektur zu einer Behauptung, die in der Sendung gemacht worden ist, nämlich: „Barack Obama und Joe Biden hätten viel zu sehr reguliert“. Biden hatte lediglich eine minimale regulatorische Vorgabe eingeführt, nämlich eine Executive Order, die von den KI-Unternehmen Risikoassessments ihrer Modelle verlangt, welche den Bundesbehörden vorgelegt werden müssen.
Barack Obama galt als der erste „Digitalpräsident“ der 2000er und 2010er Jahre. Während seiner Amtszeit konnten sich die Tech-Konzerne unbehelligt zu digitalen Imperien aufschwingen. Sie kauften Konkurrenten auf (vor allem die Konzerne Google und Meta), verdrängten Märkte und sammelten Daten in nie dagewesenem Ausmass. Das US-Kartellrecht vermochte dies nicht zu verhindern, weil Digitalkonzerne durch vermehrte Datenverknüpfungen nicht wirklich Kunden schädigen, sondern im Gegenteil sogar personalisierte und bessere Produkte ermöglichten (was man den sogenannten „Netzwerkeffekt“ nennt).
Die führenden Köpfe des Silicon Valley sind sie sich ihrer privilegierten Position – als zumeist weisse Cis-Männer aus dem US-amerikanischen Tech-Milieu – selten wirklich bewusst. Sie können deshalb auch schwer nachvollziehen, warum polarisierende „Engagement“-Algorithmen (gemeint ist die lange Verweildauer und hohe Interaktionen beispielsweise bei Facebook) eben auch zu Hetze gegen Minderheiten führen können. Über Zuckerbergs Plattformen wurden regelrechte Lynchmobs organisiert– etwa in Indien und Myanmar, wo über Facebook und Whatsapp Hetze verbreitet wurde, die reale Menschenleben kostete.
Als der Meta-CEO ankündigte, Faktenchecks auf Facebook wieder abzuschaffen, wurde in seiner Argumentation deutlich, dass er den liberalen Zeitgeist und die Kritik an seinen Innovationen nie wirklich verstanden hatte. Er agierte stets reaktiv, nicht aus Überzeugung – auf Druck, nicht aus Einsicht.
Die Whistleblowerin Frances Haugen, selbst Informatikerin und ehemalige Mitarbeiterin von Meta, machte publik, dass Facebook bewusst interne Studien über die negativen Effekte von Instagram auf junge Menschen unterdrückt hat. Diese Studien zeigten etwa den Zusammenhang zwischen der Nutzung der Plattform und der Zunahme von Depressionen, Essstörungen und Selbstzweifeln bei Jugendlichen – insbesondere bei jungen Frauen. All diese internen Studien wurden unter den Teppich gekehrt.
Profit steht über gesellschaftlich-ethischer Verantwortung. Schon früher. Und jetzt erst recht.
4. Appell: Wir müssen raus aus den amerikanischen Clouds
Europa weiss längst um die Abhängigkeit von den US-Konzernen. Und doch wurde diese Abhängigkeit über Jahre ignoriert oder verharmlost. Jetzt sind Technologien kein politisches Nischenthema mehr, sondern werden endgültig zur Verhandlungsmasse – und zur geopolitischen Waffe.
Trump versteht digitale Infrastruktur nicht nur als Wirtschafts- oder Innovationsfaktor, sondern als Mittel politischer Erpressung für die Einführung seiner Zölle und allfälliger Sanktionen. Technologien, Datenflüsse, Plattformen sind nun Machtinstrumente geworden.
Zu lange war die EU der Annahme, dass die USA „zu den Guten“ gehören – dass sie als liberale Demokratie niemals Machtmissbräuche begehen würden mit unseren Daten. Grundlage für diese Naivität ist ein wackliges Datentransferabkommen mit den USA (Data Privacy Framework), das auf zwei Voraussetzungen fusst:
- Die USA agieren als Rechtsstaat.
- Die Tech-Konzerne setzen sich rechtlich für ihre Kunden ein, wenn staatliche Zugriffe erfolgen.
Doch beiden Voraussetzungen fallen weg. Unter Trump wurde das Kontrollorgan entmachtet, das die Aktivitäten der US-Geheimdienste bei der Überwachung europäischer Daten überprüft. Die rechtliche Schutzstruktur, auf die sich der aktuelle Deal zwischen Brüssel und Washington stützt – eine Executive Order von Präsident Joe Biden – ist damit ausser Kraft gesetzt. Trump hat bereits angekündigt, sämtliche Dekrete seines Vorgängers zu prüfen und gegebenenfalls zu kippen. Diese Pläne sind Bestandteil von „Project 2025“, einem detaillierten Fahrplan zur Reorganisation der US-Regierung nach autoritären Massstäben (von der Heritage Foundation).
Unsere digitale Infrastruktur ist extrem verwundbar. Ganze Unternehmen würden lahmgelegt, wenn etwa Microsoft 365 deaktiviert würde – von Dokumentenzugriff über interne Kommunikation bis zu Webseiten. Die grossen US-Konzerne haben europäische Firmen systematisch in die Cloud gedrängt – das heisst: Unsere Daten, Anwendungen, Rechenprozesse werden nicht mehr lokal gespeichert, sondern auf US-Server ausgelagert, auf die Washington im Ernstfall Zugriff hat.
Seit Dienstag, 1. April – dem Tag der Sendung, wo man dies ohne Scherz wunderbar hätte thematisieren können- verhandelt der Europäische Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage des französischen Abgeordneten Philippe Latombe gegen das Framework. Der Ausgang ist ungewiss, gut möglich überlebt das Datentransferabkommen nicht mehr lange (sonst wird es wohl die Organisation noyb mit Max Schrems zu Fall bringen).
Was wir also im #SRFClub wirklich hätten diskutieren sollen, wäre die Frage, wie wir eine technologische Exitstrategie erreichen – keine Panikreaktion, sondern einen strukturierten Weg zur digitalen Souveränität Europas.
Denn – hier möchte ich Unternehmer Matthias Schrader zitieren, der auf LinkedIn einen viel beachteten Post verfasste:
Die Schlüsseltechnologien – von Cloud-Diensten über SaaS-Plattformen bis hin zu KI-Modellen – unterliegen im Zweifelsfall der Kontrolle eines Präsidenten Trump oder eines Vizepräsidenten Vance.
Sein Vorschlag: Die unbequeme, aber notwendige Konsequenz lautet: Decoupling. Genau wie China (das bis im Jahr 2027 völlig „frei“ sein will von westlichen Technologien) müssen auch wir beginnen, uns nach Alternativen umzuschauen. Ja, das bedeute Doppelstrukturen, Ineffizienzen und anfangs auch Kopfschmerzen, führt Schrader in seinem Posting aus. Aber wenn wir unsere Resilienz und Handlungsfähigkeit bewahren wollen, führe kein Weg daran vorbei.
Und was die Schweiz angeht:
Die diplomatische Strategie der Schweiz in den letzten Wochen, sich als Nicht-EU-Land zu positionieren, das gar keine Tech-Regulierung kennt, ist nicht aufgegangen (sie ist ausserdem nicht korrekt, denn der Bundesrat bereitet eine dünne KI-Regulierung und auch eine Plattformregulierung vor). Die USA drücken der Schweiz erstens höhere Zölle auf als der von der USA verhassten EU. Und zweitens betrifft eine Vielzahl von EU-Gesetzen ohnehin die Schweiz, die um einen autonomen Nachvollzug nicht herumkommt (ich habe hierzu eine Tabelle gemacht).
Abgrenzung von der EU als Mittel für US-Diplomatie – ein bisher gescheitertes Unterfangen.
Fazit
Es hätte einige dringliche Gesprächstraktanden gegeben für die Clubsendung, die für den aktuellen politischen Diskurs enorm relevant sind. Die IT-Abhängigkeiten von Europa und der Schweiz, das Sicherheitsrisiko USA aufgrund der weitreichenden Überwachungsbefugnisse der NSA und weiterer Geheimdienste, die passende technologische Exitstrategie für Europas Regierungen und Unternehmen und wie man industriepolitisch nun in die richtige digitale Infrastruktur investiert. All das kam nur am Rande zur Sprache. Stattdessen wollte die Clubmoderation offenbar mehr Krawall statt eine substanzielle Debatte und stellte die polarisierende Figur Musk ins Zentrum.
Schade.
3 Antworten
Wie würde denn die passende technologische Exitstrategie für Europas Regierungen und Unternehmen aussehen? Es ist derzeit in verschiedenen Branchen (Bildung, Gesundheit) fast unmöglich Alternativen zu nutzen oder einzuführen – sowohl durch Inkompatibilitäten, Kosten und ganz einfach Akzeptanz. Ein Word-Dokument ist in vielen Köpfen die einzige Form eines Dokuments. Fehlende Ressourcen (Geld, Zeit) und Druck zur Kollaboration führen automatisch in eine Richtung. Wie könnte also die passende technologische Exitstrategie für Europas Regierungen und Unternehmen aussehen?
Danke Olivia! Auf der Office-Ebene gäbe es schon Alternativen: https://www.heise.de/news/Rahmenvertrag-MS-365-Alternative-OpenDesk-soll-die-Bundeswehr-erobern-10342327.html Diese werden derzeit getestet und erprobt (auch in der CH). Im Bereich Daten der Bürger:innen müssten europäische Cloud-Unternehmen zum Zug kommen (die entsprechende IT-Sicherheit anbieten). Die Frage ist halt: wofür braucht man die amerikanischen Hyperscaler genau? Welche fancy KI-Funktionen braucht es wirklich (IoT, Blockchain)? Oder kommen auch „simple“ Storage-Produkte in Frage?
Liebe Adrienne
ich bin mit allem soweit einverstanden. Die Tech-Giganten haben uns in der Hand und die US-Adminstration taktiert mit Zuckerbrot und Peitsche. Man sollte sich aber auch Gedanken machen, ob es sich die Techkonzerne leisten könnten auf die Märkte ausserhalb der USA zu verzichten. Vermutlich nicht. Ebenfalls in der Waagschale liegt zur Zeit das noch absehbare Ende der Ära Trump. Auch in den USA wird man nicht jeden Furz der Trumpadministration mitmachen.
Weiter stellt sich für den Rest der Welt die Frage, wie und womit man sich von den US-Konzernen abnabeln kann. Einerseits fehlen echte Alternativen und andererseits ist ein Ausstieg für sehr viele Kunden auch nicht finanzierbar.
Es sind ja nicht nur die von dir genannten Softwaregiganten. Auch bei der Infrastruktur bestehen praktisch unüberwindbare Hürden. Da sehe ich die weitaus grösseren Schwierigkeiten.