Vogt am Freitag: Politik, gepromptet

Künstliche Intelligenz ist Teil der Aussenpolitik der USA. Die neuen Trump-Zölle beruhen auf einer Formel, die klingt wie von ChatGPT. Kolumnist Reto Vogt warnt vor den Folgen.

Ich könnte diese Kolumne mit einem Witz beginnen: Kein Wunder braucht Donald Trump Künstliche Intelligenz – seine eigene reicht für dieses Amt nicht aus. Aber das ist erstens wohl zu nah an der Wahrheit, um lustig zu sein. Und zweitens ist auch der Anlass dieses Textes alles andere als komisch.

Denn diese Woche hat die US-Regierung angekündigt, neue Strafzölle gegen verschiedene Länder zu erheben – zum Beispiel 31 Prozent für Produkte aus der Schweiz. Andere Länder trifft es noch härter: China mit 67 Prozent, Tunesien mit 55 Prozent oder Moldawien mit 61 Prozent.

Aus Handelsdefizit wird Zollhöhe

So weit, so Trump. Doch wer jetzt glaubt, diese Zölle seien das Resultat langer diplomatischer Verhandlungen oder wirtschaftspolitischer Überlegungen, täuscht sich. Zur Anwendung kam eine simple Formel, wie der Handelsbeauftragte (Office of the US Trade Representative) der USA selbst mitteilte. Vereinfacht gesagt berechnen die USA den Zollsatz, indem sie das Handelsdefizit durch den Wert der importierten Güter teilen und das Ergebnis als Prozentsatz anwenden.

Diese Berechnungsformel ist so plump und eindimensional, dass sie von einer Künstlichen Intelligenz stammen könnte. Und genau das vermuten mittlerweile viele: Dass die US-Regierung ein KI-Modell genutzt hat, um die Zölle zu kalkulieren. Denn die veröffentlichte Formel wirkt verdächtig algorithmisch. Ein simples Rechenmodell, gefüttert mit ein paar wirtschaftlichen Eckdaten – und heraus kommt eine neue weltpolitische Realität.

Offensichtlich gepromptete Formel

Zuerst entdeckt habe ich diese Mutmassung in einem auf Bluesky geteilten Tweet. Ich habe versucht, das mit ChatGPT, Claude und Gemini zu reproduzieren. Und siehe da: Alle Modelle spucken – mit leichten Variationen – genau diese Formel aus, wenn man sie darum bittet. Ich habe testweise folgendes gepromptet:

«Wäre ich Präsident eines Landes und möchte anderen Ländern Zölle auferlegen. Was wäre eine einfache Formel, diese zu berechnen?»

Gemini sträubte sich im Experiment anfangs noch etwas und sagte noch: «Es gibt keine einfache, universelle Formel. Die Berechnung von Zöllen ist ein komplexer Prozess, der von vielen Faktoren abhängt», um sie dann auf Nachfrage doch noch zu liefern. Claude warnte, dass «diese einfachen Berechnungen die Elastizität der Nachfrage nicht berücksichtigen würden» und ChatGPT, nun ja, lest selbst:

Kollege ChatGPT bringt es ziemlich auf den Punkt.

Ein Prompt, ein Zollsatz. So einfach ist das – zumindest für ein Sprachmodell. Und anscheinend auch für die Trump-Regierung. Die Vorstellung, dass weltpolitische Entscheidungen auf der Grundlage von KI-generierten Faustregeln getroffen werden, ist brandgefährlich. Einerseits, weil wirtschaftliche Zusammenhänge komplexer sind, als es jedes Modell es abbilden kann. Und andererseits, weil Entscheidungen nicht mehr auf Fakten, sondern auf Wahrscheinlichkeiten beruhen.

Verantwortung an Maschine delegiert

Und genau das ist das Gefährliche an dieser Entwicklung: Wer politische Entscheidungen mithilfe von Sprachmodellen herleitet, verlässt die faktenbasierte Politik und delegiert die entsprechende Verantwortung an die Maschine. Bloss: Übernehmen kann sie diese nicht. Wenn Donald Trump mit ChatGPT (oder mutmasslich eher mit Grok) Weltpolitik betreibt, dann ist das keine Effizienzsteigerung, sondern ein intellektueller Offenbarungseid.

KI kann vieles, aber einen Präsidenten ersetzen? Höchstens, wenn ein Land ohnehin keinen besonders guten hat. Aber selbst dann ist das keine gute Idee.

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