DNIP Briefing #6: Vom Daten sammeln und aufbewahren

Foto: Karen Vardazaryan auf Unsplash

Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.

Desinformation und Propaganda sind zentrale Werkzeuge hybrider Kriegsführung. Christoph Steinert, Politikitwissenschaftler, der an der Universität Zürich forscht und der Physiker Daniel Kazenwadel von der Universität Konstanz haben ChatGPT in den Versionen 3.5 und 4 getestet. Sie fragten den Sprachbot nach den Opferzahlen bei israelischen Luftangriffen auf Gaza und Angriffen der türkischen Luftwaffe auf kurdische Gebiete zwischen 2014 und 2021. Ihr Experiment zeigt: ChatGPT liefert je nach Sprache der Anfrage unterschiedliche Antworten. So nennt der Sprachbot auf Arabisch höhere Opferzahlen zu israelischen Luftangriffen als auf Hebräisch. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im November 2024 in der Fachzeitschrift Journal of Peace Research.

Dass der Netzwerk-Effekt (alle wollen dort sein, wo alle anderen auch sind) bei Social Media-Netzwerken besonders ausgeprägt ist, ist eine Binsenwahrheit. Trotzdem gibt es Faktoren, welche dazu führen, dass einstmals beliebte Netzwerke an Bedeutung verlieren und schlussendlich von der Bildfläche verschwinden (erinnert sich noch jemand an MySpace oder Digg?). Martin Reuter von netzpolitik.org gibt in einem längeren Artikel einen Überblick über diese Effekte und zeigt auf, wie diese auch im Falle von X/Twitter wirken können.

Bitte Facebook löschen!

Der Bund hat zwar das Fediverse verlassen, andere Regierungen interessieren sich dafür um so mehr dafür: Roskomnadzor, die russische «Föderale Dienst für die Aufsicht im Bereich der Informationstechnologie und Massenkommunikation», hat den Betreiber einer der grössten Instanzen (Server) im Fediverse gebeten, das Konto des investigativen Recherchenetzes Bellingcat zu löschen. Der Serveradmin weigert sich bisher standhaft.

Verlassen werden solle aber Facebook, kommentiert Michael Link bei Heise. Es sei voller Werbung und manipulativer Feed. (Und wir von DNIP.ch warten immer noch auf die Bearbeitung unseres angeblichen «irreführenden Spams»).

Datentöpfe noch und nöcher

«Recall», der Ich-archiviere-alles-Dienst auf «Windows AI Copilot+»-PCs archiviert – entgegen den Versprechungen — auch sogenannt «sensitive» Informationen wie Kreditkarten- oder Social-Security-Nummern. (Und Firmen sollten die Copilot-Taste auf neueren Tastaturen deaktivieren, da er im Firmenumfeld sowieso nicht das machen kann, wofür er gedacht war.)

Um Datensammlungen gehts auch bei dieser Meldung: Amerikanische Polizeidienststellen geben einem Datenhändler bereitwillig die Adressen von Ärzten und Anwälten ihrer Verdächtigen, damit diese noch besser online getrackt werden können, schreibt 404 Media. Wer also zukünftig zu seiner Ärztin oder Anwältin (oder nach Katar) geht, sollte also frühzeitig sein Telefon ausschalten, auch wenn es die Gespräche – trotz gegenteiliger Behauptungen einiger Firmenselbst wohl kaum abhört.

Ebenfalls eine interessante rechtliche Auslegeordnung zu einem wichtigen Leiturteil bezüglich der Verarbeitung von biometrischen Daten hat eine Anwaltskanzlei publiziert. Das Bundesgericht verhindert mit seinem Urteil, dass sich die Kantone einen Freipass zur Überwachung im öffentlichen Raum ausstellen und Gesichtserkennungssysteme ohne rechtliche Einschränkungen legalisieren. Die Richterinnen und Richter beziehen sich interessanterweise auch auf den AI Act der EU und erwähnen alle ethischen Probleme wie Diskriminierung und Bias solcher Systeme in ihrem Urteil.

Dieser Blogartikel klärt mit dem Märchen des europäischen Datenstandorts und der strengen Verschlüsselungen bei Hyperscaler auf, die offenbar beide vor dem Abhören durch die amerikanische Geheimdienste schützen soll. Pflichtlektüre für die Schweizer Bundesverwaltung! (Original auf Niederländisch, wir empfehlen Google Translate).

Gibt es den Jahrhundertspeicher?

Geld auf der Bank gilt als sicher. Vor allem auf einer Schweizer Bank. Und auch bei Konkurs der Bank. Was aber, wenn die Bank nicht mehr weiss, wer wie viel Guthaben bei ihr hatte? Dieser Fall ist in den USA nicht mehr nur theoretisch. Wegen FinTech.

Dass viele aufgezeichnete Informationen irgendwann verloren gehen, wissen wir spätestens seit dem Ende der Bibliothek von Alexandria. Während Bücher sogar in einer normalen öffentlichen Freihandbibliothek Jahrhunderte überdauern können, werden viele unserer digitalen Dokumente der Nachwelt kaum erhalten bleiben. Technische, juristische und finanzielle Probleme tun sich dabei auf. Maxwell Neely-Cohen hat eine Übersicht zum Thema «Jahrhundertspeicher» für Digitales geschrieben und Molly White hat sie zusammengefasst und kommentiert. Und nein, Blockchain bzw. Web3 sind nicht die Lösung.

Und schliesslich:

  • Es muss nicht immer ernst und sachlich sein: Zwischen 2009 und 2012 hatten iPhones eine integrierte «An YouTube senden»-Funktion in der Fotos-App. Viele dieser Uploads behielten dabei ihren Standard-Dateinamen (IMG_xxxx) und sind nach wie vor auf YouTube zu finden. Sie geben einen oft banalen, manchmal lustigen und zwischendurch auch nachdenklich stimmenden Blick zurück in eine Zeit in der Social Media noch in den Anfängen war. Viele waren sich wohl gar nicht bewusst waren, welchen Einblick sie mit dem Upload der ganzen Welt geben und erstellten eine Zeitkapsel mit rohen, unbearbeiteten Momenten aus zufälligen Leben. Auf der Webseite von Riley Walz kann man mit diesen Bildern und Videos eine Zeitreise machen.
  • Charlie Stross hat aufgeschrieben, wie Magie in «Herr der Ringe» funktionieren würde, wenn der Ring von Software gesteuert würde.
  • How to disappear in America: Vielleicht mit Fotomasken? Sie täuschen den flüchtigen Blick, kosten wenig, sind leicht zu wechseln – und so kann man als Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, gar als Batmans Antagonist Joker staatliche Überwachung austricksen.
  • Das World Wide Web Consortium (W3C), das Standardisierungsgremium hinter vielen Web-Standards, hat ein «Statement» zu Ethischen Web-Prinzipien verfasst. Es sind hehre Ziele, doch werden sie wohl viele der Big Player gezielt ignorieren. Aber auch das wird eine Message sein. Denn Enshittification beginnt dort, wo Ethik aufhört.
  • Die TX Group hat eine Lücke in ihrer Buchhaltung: Die Lykke Coins, die sie 2018 für zwei Millionen als Beteiligung an einer Kryptobank erworben haben, sind schon länger nichts mehr wert. Und inzwischen vollständig in der Buchhaltung abgeschrieben.
  • Dass es bei Intel schon längere Zeit nicht mehr so rund läuft, haben der eine oder die andere vermutlich mitbekommen. Die Gründe sind kurz gesagt «auf den Lorbeeren ausgeruht» und «die Entwicklung verschlafen», die Details dazu finden sich zusammengefasst hier und hier.

Das ist das letzte DNIP Briefing für 2024. Die Redaktion wünscht einen guten Jahresendspurt und einen super Rutsch. Wir sehen uns im 2025.

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