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Über die Pressefreiheit

Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeute, schrieb George Orwell, Autor des dystopischen Romans «1984» und der grimmigen Fabel über die «Farm der Tiere», dann das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.

Journalisten recherchieren, um zu informieren, um anzuregen, um zu widersprechen, um aufzuregen. Und ja, manches Mal sagen und schreiben Reporterinnen das, was andere nicht hören und nicht lesen wollen. Die Freiheit der Presse, das zu tun, ist gesetzlich geschützt. Sie hat sich mit der Aufklärung gegen Staat und Kirche durchgesetzt. Heute stört sich mancher Politiker, Bankerin oder CEO daran. Mit Folgen.

Was fehlt: ein Parlament, das die Pressefreiheit schützt

Ohne einen deutschen Bankangestellten wüssten wir weniger über den wohl grössten Steuerbetrug aller Zeiten. Ein anonymer Informant, der sich «John Doe» nennt, hatte der «Süddeutschen Zeitung» mehr als 2.6 Terabyte an E-Mails, Faxen, Gründungsurkunden und Kontoauszügen der panamaischen Briefkastenfirma Mossack Fonseca übergeben. Die als «Panama Papers» bekannt gewordenen Daten enthüllen die weltweite Praxis der Steuervermeidung. Ohne die Mitarbeiter von PricewaterhouseCoopers Antoine Deltour und Raphael Halet wüssten wir nichts über den Steuerskandal der «Lux Leaks»; die beiden Whistleblower hatten Vorbescheide der Luxemburger Steuerbehörden weitergegeben, die Unternehmen wie Apple, Amazon und Ikea begünstigten.

Berichten Journalistinnen in der Schweiz über solche Missstände und stützen sich dabei auf Dokumente von Banken und Prüfungsgesellschaften, dann drohen ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis. Dasselbe gilt für Whistleblower. Der Ständerat hat in der Wintersession eine Motion des Nationalrats abgelehnt, der «Maulkorb-Artikel» im Bankengesetz schränkt die Pressefreiheit also weiterhin ein.

Eine Woche später stimmten die Ständeräte in der kleinen Kammer erneut über die Pressefreiheit ab. Diesmal wurde ein Postulat angenommen, gegen das Hunderte von Journalisten mit einem offenen Brief des Branchenverbands Investigativ.ch protestiert hatten. Der Bundesrat soll nun prüfen, «ob die Veröffentlichung rechtswidrig erhobener Daten unter Strafe gestellt werden soll». Dass Thierry Burkart, Wortführer des Postulats und FDP-Präsident, das eigene pressefeindliche Gebaren verkennt, geschenkt. Es geht um die Kriminalisierung der Arbeit mit Datenlecks und der Recherche im Darkweb, beides unverzichtbare Methoden des investigativen Journalismus, die Reporter von «Inside IT», WOZ und «Zentralplus» rund um den Xplain-Hack anwandten und dafür superprovisorische Verfügungen kassierten. Damit kann ein Gericht unliebsame Berichterstattung stoppen – ohne die Journalistinnen anzuhören. Die Hürden dafür hat das Parlament 2022 mit einer Änderung der Zivilprozessordnung gesenkt. Und nein, das alles hat nichts mit Hacken zu tun.

Wer hierzulande Missstände öffentlich macht, riskiert ernste Konsequenzen.

Was fehlt: ein Gesetz, das Whistleblowerinnen schützt

Journalistinnen decken mit Informationen von Whistleblowern Fälle von staatlicher Überwachung, Machtmissbrauch und Korruption auf.

Ohne Edward Snowden wüssten wir nicht, wie uns die NSA ausspioniert. Ohne Yasmine Motarjemi wüssten wir nicht, wie Nestlé bei der Lebensmittelsicherheit panscht. Ohne Adam Quadroni wüssten wir nichts vom Baukartell in Graubünden.

Die Europäische Union schützt Whistleblower. Und die Schweiz? Hinkt hinterher. Und nicht nur die Justiz, auch die Gesellschaft straft ab. Dabei sind Whistleblower für die Gesellschaft unverzichtbar. Nach den Enthüllungen des Bündner Baukartells im Frühjahr 2018 schrieb ich: «Der Umgang mit Whistleblowern ist scheinheilig. Sie werden als lebenswichtig für demokratische Gesellschaften angesehen, aber es gibt kaum Gesetze, um sie zu schützen. Oft verlieren sie alles. Sie werden eingeschüchtert, bedroht, verklagt, eingesperrt, geächtet. Im schlimmsten Fall müssen Sie fliehen, sich verstecken, um sich zu schützen. Wir lieben den Verrat – und hassen den Verräter. Deshalb muss Whistleblowern der Gang an die Medien – unter Schutz – möglich sein. (…) Und dann ändert sich auch die Wahrnehmung von Whistleblowerinnen in der Gesellschaft. Dann malen wir nicht mehr schwarzweiss, unterscheiden bei Hinweisgebern nicht mehr zwischen Helden und Verrätern.» Deshalb braucht es einen Whistleblower-Schutz, auch in der Schweiz, der gesetzlich verankert ist.

Was fehlt: ein Urteil, das staatlicher Überwachung trotzt

Journalisten haben die ethische Verpflichtung, ihre Informanten zu schützen und das Redaktionsgeheimnis zu wahren. Dieser Schutz wird durch den Austausch über digitale Kanäle, Gespräche und Treffen gewährleistet, bei denen die Vertraulichkeit der Quelle gewahrt bleibt. Das Redaktionsgeheimnis umfasst nicht nur die Identität der Person, sondern auch Informationen wie Adressen, Notizen, Fotos, Ton- und Videoaufnahmen. Die Bundesverfassung schützt zwar das Redaktionsgeheimnis – nicht aber Hinweisgeberinnen.

Wie schwierig es ist, den Schutz von Informanten zu gewährleisten, zeigen die Recherchen der DNIP-Chefredaktorin und Republik-Autorin Adrienne Fichter zur Kabelaufklärung. Sie hat aufgedeckt, dass seit Inkrafttreten des revidierten Nachrichtendienstgesetzes 2017 der Internetverkehr in der Schweiz stark überwacht wird. Das Verteidigungsdepartement bestätigt, festgehalten in Gerichtsakten, dass «inländische» Kommunikation gelesen und ausgewertet wird. Zudem werden alle Daten für spätere Suchen gespeichert. Bei der Kabelaufklärung durch den Nachrichtendienst des Bundes, kurz NDB, handelt es sich also um ein «Massenüberwachungsprogramm».

Das bedeutet auch: Journalisten können den Schutz ihrer Quellen nicht mehr gewährleisten. Das Gleiche gilt für Anwältinnen, die das Anwaltsgeheimnis nicht garantieren können. Denn der Nachrichtendienst schützt diese Berufsgruppen nicht, ihre Kommunikation kann nach Stichworten durchsucht und an den Nachrichtendienst weitergeleitet werden. Der Quellenschutz wird ausgehebelt.

Dagegen kämpft die «Digitale Gesellschaft» seit 2017 vor Gericht. In diesem Jahr wird sich entscheiden, ob die staatliche Überwachung ausgeweitet oder eingeschränkt wird.

Never forget

Politiker und Richterinnen gilt es, wieder und wieder an Artikel 17 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Medienfreiheit zu erinnern. Darin heisst es:
1 Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmelde-technischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet.
2 Zensur ist verboten.
3 Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.

Die Pressefreiheit wird in der Schweiz als «Bundesgrundrecht erster Stunde» angesehen. Und dieses seit 1848 geltende Privileg der Medienfreiheit gilt es zu verteidigen.

Postskriptum

In einem Essay für das Digital-Magazin «Slate» macht sich Bruce Schneier Gedanken über weltweite Überwachung. Seine These: Das Internet hat Massenüberwachung erst möglich gemacht. Künstliche Intelligenz wird nun Massenspionage fördern. In den Siebzigern musste ein Agent noch mit hochgeschlagenem Mantelkragen an der Ecke stehen; Spionage war immer durch den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft begrenzt. KI wird auch das ändern.

 

Hinter der Recherche

«Ich habe nichts zu verbergen» – wie oft habe ich diesen Satz schon gehört, wenn sich die Debatten um Überwachung und Ausspähung, Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung drehen.

Was sich dahinter verbirgt, verrät ein eigens angelegter Wikipedia-Eintrag. Dort heisst es: «Das Nichts-zu-verbergen-Argument besagt, dass staatliche und behördliche Überwachung nur dazu geeignet ist, illegale Aktivitäten aufzudecken, und niemanden beeinträchtigt, der sich regelkonform verhält.»

Aber jede von uns hat etwas zu verbergen. Deshalb müssen wir reden: Am 7. März auf der Bühne des «Theater Neumarkt» laden Adrienne Fichter, Comedian Karpi und ich zu einem digitalpolitischen Abend mit Gästinnen ein. Mehr dazu folgt!

 

 

 

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3 Antworten

  1. Wie kann es juristisch dazu kommen, dass ein (Bundes-)Gesetz einen Artikel der Bundesverfassung, nochdazu einer mit „niedriger“ Zahl, dermassen unverfroren aushebeln darf? Nach meinem Verständnis riecht das nach Verfassungsbruch. Was kann dagegen getan werden?

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