Gerade im IT-Bereich sind Beschaffungen der öffentlichen Hand aus diversen Gründen ein spezielles Thema, sei es weil der Fokus auf den preislich günstigsten Anbieter zu nur kurzfristig tauglichen Lösungen führt (und neue Anbieter benachteiligt, da sie mangels fehlender Erfahrung mit öffentlichen Verwaltungen kaum günstig offerieren können), sei es weil die Vorgabe eines starren Pflichtenhefts und der Erwartung eines fixen Preises im Widerspruch zur IT-Projektrealität und agilen Entwicklungsprinzipien steht. Da sollte man meinen, dass zumindest die Beschaffung von Standard-Office-Hardware keine grössere Probleme mit sich bringen sollte, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass moderne PC-Hardware von allen namhaften Herstellern zu vergleichbaren Preisen angeboten wird.
Das dies ein Trugschluss ist, hat in den letzten Wochen eine öffentliche Ausschreibung des Kanton Thurgau gezeigt.
Um was geht es?
Auf Simap, dem Informationssystem über das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, hat der Kanton Thurgau am 17.8.2023 Ausschreibung #257068 zur „Lieferung von Notebooks, PCs sowie Bildschirmen in den Jahren 2024 bis 2028“ veröffentlicht. Insgesamt geht es um rund 1’650 PCs, 3’020 Notebooks und 3’000 24-Zoll/125 40-Zoll Monitore. Für die Details wird auf die Ausschreibungsunterlagen verwiesen. Und diese haben es in sich, wir kommen weiter unten darauf zurück.
Auf den ersten Blick entspricht die Ausschreibung etwa dem was man im Kontext erwarten würde:
- Zu liefern sind die erwähnten Hardware-Elemente, verteilt über einen Zeitraum von fünf Jahren,
- die Geräte müssen durch den Lieferanten gemäss Vorgaben des Kantons konfiguriert werden,
- für die gelieferten Geräte muss während jeweils drei Jahren nach Beschaffung ein Vor-Ort-Service für Garantie- und Serviceleistungen garantiert werden.
Auch die Zuschlagskriterien wirken auf den ersten Blick nicht überraschend: Das Kriterium Preis ist zu 70% relevant, das Kriterium Anforderungen zu 30%
Spannend wird es nun, wenn man die Beschreibung der zu beschaffenden Hardware im Detail anschaut:
Der Kanton Thurgau fordert also bereits im Pflichtenheft konkrete Modelle eines einzigen Anbieters, Produkte anderer PC-Hersteller können von vorherein nicht offeriert werden da sie ja das Pflichtenheft nicht erfüllen. Die dem Pflichtenheft beiliegende Aufstellung der Minimal-Anforderungen an die Hardware liest sich da wenig überraschend teilweise wie der Produktkatalog von HP.
Allerdings wirken die HW-Anforderungen alles andere als exotisch, so liefert eine schnelle Suche bei Digitec schon für das Einstiegsmodell (HP Elitebook 830) 22 Treffer. Darunter sind zum Beispiel auch Modelle von Lenovo, welche von der Qualität her (welche in der Ausschreibung gar keine Anforderung ist) sicher mit HP mithalten könnten.
Der Kanton Thurgau macht hier also eine Ausschreibung für knapp 5’000 PCs und Notebooks welche quasi einer Bestellung bei HP gleichkommt. Ob dies der Sinn und Zweck von öffentlichen Ausschreibungen ist, kann man durchaus bezweifeln. Die „interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen“ (welche das öffentliche Beschaffungswesen für die beteiligten Kantone konkretisiert) definiert dazu folgendes:
Ob mit dem gewählten Vorgehen eine Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung von Anbietern erreicht und ein wirksamer, fairer Wettbewerb gefördert wird, lässt sich aufgrund der konkreten Modellvorgaben im Pflichtenheft bestreiten.
Doch das ist nicht alles. Wie oben erwähnt erfolgt die Bewertung der Offerten nach den Kriterien Preis (zu 70%) und Anforderungen (30%), letztere sind beiliegend zum Pflichtenheft wie folgt definiert.
Gemäss Pflichtenheft sind die Anbieter hier frei, ob sie die aufgeführten Anforderungen erfüllen wollen oder nicht, in der Ausschreibung ist dazu eine gewichtete Bewertung der Offert-Antworten vorgesehen. Allerdings liegt es auf der Hand, dass kein Anbieter eine Offerte einreichen wird, welche eine der sechs Anforderungen nicht erfüllt, diese Punkte gehören schlicht zum Basisangebot eines professionellen Dienstleisters.
Fassen wir zusammen: Der Kanton Thurgau schreibt die Beschaffung von knapp 5’000 PCs und Notebooks aus, bei der…
- der Hardware-Lieferant und die zu beschaffenden Modelle aus dessen Sortiment im Voraus definiert sind
- die zusätzlichen Anforderungen an Garantie & Service derart grundlegend sind, dass sich die Anbieter in diesen kaum unterscheiden werden.
Mit anderen Worten: Die einzig mögliche Differenzierung erfolgt bei dieser Ausschreibung über den Preis. Dieser setzt sich bei allen Anbietern aus dem Einkaufspreis von HP (dass dieser für alle Anbieter ähnlich ist, bestätigte indirekt auch der Kanton Thurgau, der auf Anfrage festhielt „Das Geschäft mit Hardware für IT Arbeitsplätze ist ein Massengeschäft und die Listenpreise bewegen sich nicht in derart grossen Bandbreiten wie man es von anderen Beschaffungsgegenständen her kennt.„) und den eigenen Kosten für die Bereitstellung und den Support zusammen. Rein aufgrund von Skaleneffekten sind damit grosse Dienstleister leicht im Vorteil, die Preisdifferenzen dürften aber überschaubar sein. Und eines ist sicher: HP als gesetzter HW-Anbieter kann sich schon mal die Hände reiben…
Was sind die Hintergründe?
Wir haben Christoph Maier, den Leiter des Amtes für Informatik des Kanton Thurgau, nach den Hintergründen zu dieser Beschaffung gefragt. Gemäss seinen Angaben ist für den Kanton, was die IT-Hardware betrifft, eine einheitliche Landschaft von Vorteil: es würde bewusst eine Single Vendor-Strategie gefahren, um Synergien nutzen zu können: „Aus Kosten-/Effizienzgründen fährt der Kanton Thurgau eine Ein-Produkt-Strategie mit welcher maximale Synergieeffekte erzielt werden können. Dies unter anderem dadurch, dass der automatisierte Software- und Patch-Rollout standardisiert und somit sehr effizient gefahren werden kann. Ausserdem sind Peripherie-Geräte wie zum Beispiel Docking-Stations für Laptops wiederverwendbar.„. Konkret gehe der Kanton davon aus, dass sich die Mehrkosten einer Multi Vendor-Strategie pro Jahr einen sechsstelligen Betrag ausmachen würden.
Bei der Frage, unter welchen Umständen bei der Folgeausschreibung in 2027/2028 auch weitere Hersteller zum Zug kommen könnte, verwies Christoph Maier auf den Ablauf des Beschaffungsprozesses: „Die Anforderungen für das durchgeführte Beschaffungsverfahren wurden unter Beizug der wesentlich betroffenen Anspruchsgruppen durchgeführt. Daraus haben sich entsprechende Muss-Kriterien ergeben, woraus sich das Produkt dieses einen Herstellers ableitet. In der nächsten Beschaffungsrunde wird analog vorgegangen und es werden wieder von Grund auf die Anforderungen gesammelt.“ Auch wenn das vordergründig ergebnisoffen formuliert ist: als Konkurrent von HP würde ich mir keine grossen Hoffnungen machen.
In der bereits oben erwähnten interkantonalen Vereinbarung ist in Artikel 30 festgehalten, dass „bestimmte Firmen oder Marken, […] sowie der Hinweis auf einen bestimmten Ursprung oder bestimmte Produzentinnen […] als technische Spezifikationen nicht zulässig“ sind, ausser wenn es zur Leistungsbeschreibung notwendig ist. Der Kanton Thurgau sieht hier keinen Widerspruch zur Ausschreibung, da aus seiner Sicht die HW-Modelle aus den oben ausgeführten Gründen von vornherein gesetzt waren und die Ausschreibung zum Ziel hatte, „die verschiedenen Distributionskanäle für HP Produkte anzusprechen und damit den Wettbewerb unter diesen zu ermöglichen„.
Fazit
Auch wenn die HW-Nachbeschaffung des Kantons Thurgau im konkreten Fall höchstwahrscheinlich im Rahmen der geltenden Gesetze und Verordnungen abgelaufen ist, bleibt ein ungutes Gefühl. Vor allem bleibt völlig offen, wie sich der Kanton unter diesen Voraussetzungen je für einen anderen Hardware-Anbieter entscheiden kann, und ob nicht bereits bei der PC-Hardware (wie defacto auch bei der Windows/Office 365-basierten Software) ein faktischer Vendor Lock-In besteht. Lock-In deswegen weil ja auch bei einem Vendor-Wechsel über einen begrenzten Zeitraum eine Zwei-Vendor-Strategie bestehen würde, und damit verbunden die auf einen sechsstelligen Betrag geschätzten Mehrkosten anfallen würden.
Offen bleibt auch die Frage, inwiefern sich Anbieter bei einem Standard-Servicekatalog sinnvoll differenzieren können (Service-Hotlines dürften bei allen Anbietern in etwa gleichviel kosten) und ob schlussendlich die durch die Ausschreibung erwartete Kosteneinsparungen gegenüber einer für den Kanton vermutlich günstigeren freihändigen Vergabe (oder schlicht der Weiterführung der Verträge mit dem bisherigen Anbieter) effektiv ins Gewicht fällt. Vielleicht wäre es schlussendlich schlicht ehrlicher, bei der Ausschreibung nicht die Gerätelieferung sondern den Support in den Vordergrund zu stellen.
2 Antworten
Ich bin leicht entsetzt. Das sind Vorgaben aus der Zeit von NT4 😉 Aus der Zeit habe ich mal eine Ausschreibung ohne explizite Nennung eines Modells erlebt, die aber so präzise in den technischen Details war, dass auch ohne Google (gab es noch nicht) klar war, dass man eigentlich ein bestimmtes Modell von Dell erwartet (die damals eigentlich nur via Dell Online zu bekommen waren).
Docking-Stations sind heute kein Problem mehr. USB-C und gut. Das funktioniert heute Herstellerübergreifend erfreulich gut. Vanilla-Images sind heute auch kein Problem mehr mit verschiedenen Modellen/Herstellern, Treiberprobleme im Windows-Umfeld für Standardsysteme (Nachinstallieren von nicht erkannten Hardware-Komponenten) passieren nur noch extrem selten. Das in so einer Lieferung keine Bloatware im Factory-Image enthalten ist, ist, wie im Text beschrieben, sowieso klar.
Es gibt natürlich auch Kompatibilitäts-Fails, gerade so einen Fall erlebt:
Wir haben bei uns im Geschäft drahtlose Headsets von Plantronics und überall an den (Shared-) Desks auch entsprechende Docking-Stations, so dass niemand sein Lade-Dock zwischen zuhause und dem Büro rumschleppen muss. Leider hat Plantronics plötzlich die Docking-Buchse geändert, das merkt man erst, wenn man ein neues Headset in ein altes Dock einstecken will – optisch ist der Unterschied nur mit der Lupe sichtbar. Und das ist kein „wir machen jetzt auch USB-C“ Problem, der Dock ist sowieso etwas eigenes. Natürlich kann man die neuen Geräte mit dem (beiliegenden) USB-Kabel laden, aber die Aktion wirkt doch sehr nach „wir wollen mehr Umsatz auf Kosten der Kunden nachen“.
Die könnte man richtig trollen. Würde man einen Laptop mit ISDN-Anschluss statt Ethernet-Anschluss herstellen, würde das die Anforderung RJ45 auch erfüllen, denn das ist ja nur die Steckerfunktion. Theoretisch könnte man auch alles andere über RJ45 machen, zum Beispiel analoges Audio.