Vogt am Freitag: Alter Wein

Das elektronische Patientendossier ist tot – lang lebe das elektronische Gesundheitsdossier. Zum Jubeln zumute ist Kolumnist Reto Vogt indes nicht.

Der Bundesrat hat mit einigen Jahren Verspätung verstanden, was schon lange klar war: Das elektronische Patientendossier (EPD) ist gescheitert. Einsicht ist normalerweise der erste Schritt zur Besserung. Doch in diesem Fall gilt das leider nicht.

Im Nachfolgeprodukt, dem elektronischen Gesundheitsdossier (E-GD), werden die Mängel des Vorgängers ignoriert oder verschlimmbessert. Letzteres gilt insbesondere für zwei Punkte: Neu wird das E-GD standardmässig für alle Bürgerinnen und Bürger eröffnet (ja, ja, man kann widersprechen) und sämtliche Gesundheitsdaten in einer zentralen Datenbank gespeichert.

Das Bundesamt für Gesundheit schreibt dazu:

«Neu erhält jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz automatisch und kostenlos ein E-GD. Wer es nicht will, kann einfach und problemlos widersprechen.»

Und:

«Alle Gesundheitsfachpersonen und Gesundheitseinrichtungen, die über die obligatorische Krankenpflegeversicherung sowie die Unfall-, Invaliden- oder Militärversicherung abrechnen, sind verpflichtet, sich dem Informationssystem E-GD anzuschliessen und darin alle behandlungsrelevanten Daten zu erfassen.»

Mit diesen Anpassungen, die ab 2029 Realität werden sollen, «riskiert der Bundesrat das Vertrauen der Bevölkerung», wie es die Digitale Gesellschaft richtig formuliert. Beides war beim alten EPD noch nicht so. Dieses war tatsächlich freiwillig und überzeugte durch dezentrale Datenspeicherung.

Gescheitert ist das EPD aber nicht deswegen, sondern aus anderen Gründen – die, und das ist das Absurde, werden auch beim neuen E-GD nicht angepackt. So fehlt weiterhin die Interoperabilität mit Systemen, die in Krankenhäusern, bei Ärztinnen, Physiotherapeuten, Apotheken, Heimen und weiteren Gesundheitseinrichtungen im Einsatz sind. Ohne dieses technische Zusammenspiel ist die Bewirtschaftung eines Gesundheitsdossiers nicht attraktiv, sondern mit Mehraufwand verbunden. Erfahrungsgemäss gilt im Gesundheitswesen: Was Ärzt:innen nicht abrechnen können, tun sie nicht.

Folglich bleiben die Millionen von eröffneten E-GDs leer und ihr Nutzen dort, wo er beim alten System war: bei Null. So ist das neue Gesundheitsdossier nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen; sondern dank der zentralen Datenspeicherung und der wegradierten Freiwilligkeit sogar ungeniessbarer alter Wein.

Im nachfolgenden Kasten versuche ich trotzdem die Gründe aufzulisten, weshalb der Plan des Bundesrats aufgeht und das E-GD zum Erfolg wird und das Schweizer Gesundheitswesen tatsächlich besser macht:

Gründe, warum das E-GD besser ist als das EPD. Die Aufzählung ist bewusst leergehalten.

Die nächsten Schritte?

Ende September hatten 123’559 Personen in der Schweiz ein elektronisches Patientendossier eröffnet. Wenn sie es behalten, wird es automatisch in ein E-GD umgewandelt. Für die neue, zentrale Plattform folgt eine öffentliche Ausschreibung. Das ist aber nur eine Proforma-Übung. Die Post hat schon vorgespurt und es ist absehbar (ich würde darauf wetten), dass der Zuschlag an den gelben Riesen geht.

PS: Einen wichtigen Punkt hat das Bundesamt für Gesundheit immerhin angegangen. Es soll ein Gesundheitsdatenraum (Swiss Health Data Space) entstehen, der laut BAG als «strukturierter, sicherer und gemeinwohlorientierter Raum für den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten in der Schweiz» dient. Gelingt das, ist das ein echter Fortschritt zum heutigen PDF-Friedhof. Ob es gelingt, ist indes offen. Und Musik aus einer noch ferneren Zukunft als es das E-GD ohnehin schon ist.

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10 Antworten

  1. Im ersten Moment habe ich auf einen Darstellungsfehler aufgrund meiner restriktiven Einstellungen im Browser geglaubt, weil Sarkasmus am frühen Morgen offenbar zusätzliche Erklärung braucht. Aber ein Blick in den Quelltext der Seite offenbart: kein Anzeigefehler.

    Gründe, warum das E-GD besser ist als das EPD

    Die nächsten Schritte?

    1. Hmm… Die Kommentardarstellung wertet die HTML-Tags in meinem Zitat aus. Das ist ganz sicher ein potentielles Sicherheitsrisiko und solltest Ihr Euch mal anschauen. Ich verfremde den Code mal ein klein wenig, damit er nicht ausgewertet wird:

      {p class=“has-text-align-center has-background“ style=“background-color:#fff3d9;padding-bottom:25rem“}{strong}Gründe, warum das E-GD besser ist als das EPD{/strong}{/p}

      {h3 class=“wp-block-heading“}{strong}Die nächsten Schritte?{/strong}{/h3}

        1. Eine Teilmenge von HTML ist wirklich zugelassen hier im Editor und zwar mit Absicht. Es sollte aber nichts funktionieren, was zu Sicherheitsproblemen führt.

          Auch Linkspam sollte – zumindest für Suchmaschinen – nicht funktionieren.

          Klar kann man mit sowas spielen wie dem hier.

          (Übrigens haben wir genügend wenige Kommentare, dass wir uns meist jeden einzelnen anschauen und bei Missbrauch einschreiten können.)

  2. Gibt es zu diesem Multimillionenprojekt konkrete Systemanforderungen, Benutzerübersichten and mögliche Usecases für die möglichen Benutzer und Rollen.

    Ein solches Projekt schreit nach radikaler Transparenz und Opensource – schon in den Anforderungsphase.

    Eines meiner Anliegen wäre: NutzerInnen(Patienten/BürgerInnen/ . . ) können dank der Dokumentation und Datendarstellung selber mehr Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen.

    Zum Beispiel: Dass ich selber die Nebenwirkungen von Verordnungen reinschreiben kann oder durch die Spitex delegiert erfolgt.
    Oder: Aufgrund der Daten vom Blutspendedienst sehe ich, dass der Blutdruck sich langsam in Richtungen bewegt, die etwas Aufmerksamkeit erfordern würden.

    1. Ja, das wäre auch mein Wunsch, bei ganz vielen von diesen Projekten: Den erwarteten Mehrwert (und die Kosten sowie Risiken) schon sehr früh aufzuzeigen. Und dann am Schluss auch zu bewerten.

      Vorerst bleibt uns aber nichts anderes übrig, als weiter zu träumen.

      (Es ist übrigens ein Artikel in Vorbereitung, dass dieses Problem – unabhängig vom «Einzelfall» EPD, unabhängig von Bundesprojekten – beleuchten wird. Stay tuned!

  3. Die Interoperabilität zu Fremdsystemen wird doch gemäss Artikel 7 (noch) festgelegt.
    Ist doch in Ordnung, dass das nicht in diesem Gesetzesentwurf schon definiert ist? Oder warum wird auf fehlende Interoperabilität verwiesen? Auch für das heutige EPD gibt es diese schon. Nur nicht zwingend vorgeschrieben. Respektive verschiedene Integrationslevel gestattet (von Portal bis Vollntegration).

    1. Die Interoperabilität ist so zentral für den Erfolg des Dossiers, dass sie sehr wohl von Anfang an mitgedacht werden sollte. Zumal die Anbieter dieser Systeme ja auch Zeit brauchen, die Interoperabilität zur Verfügung zu stellen.

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