Ob die Post wohl bewusst die Sauregurken-Zeit für ihre Medienmitteilung über die breite Zustimmung zum E-Voting gewählt hat? In der Hoffnung, dass möglichst viele Medien diese unbesehen übernehmen, um die leeren Seiten zu füllen. Nun, das Echo war zwar im Sinne der Post (Inside -IT: Umfrage zeigt breite Zustimmung für E-Voting, Nau.ch: Schweizer sind für elektronische Stimmabgabe und diverse Blätter, welche wie zum Beispiel die Handelszeitung die SDA-Meldung publizierten), aber inhaltlich eher bescheiden. Höchste Zeit also, diesem Umfrageergebnis mehr Aufmerksamkeit zu schenken!
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ToggleUmfrage an sich
Gemäss dem an die Medienmitteilung angehängten Bericht wurden im Zeitraum vom 20. Mai bis zum 2. Juni für die Umfrage insgesamt drei Fragen gestellt. Zwei davon waren geschlossene Fragen, d.h. die Teilnehmenden konnten nur mit «ja» oder «nein» antworten (oder auf eine Antwort verzichten):
- Die Frage «Sind Sie der Meinung, dass E-Voting in der Schweiz in Ergänzung zu den aktuellen Abstimmungsmöglichkeiten eingeführt werden sollte?» haben 78 % mit Ja beantwortet, 14 % mit Nein.
- Die Frage «Die Post entwickelt eine Lösung für sicheres E-Voting gemäss den rechtlichen Grundlagen des Bundes. Vertrauen Sie der Post, bei der Bereitstellung dieser Lösung?» haben 64 % mit Ja, 20 % mit Nein beantwortet (und 16 % hatten dazu keine Meinung).
Bei der dritten Frage konnte für sechs Aussagen eine Wertung zwischen 1 (stimme nicht zu) und 6 (stimme voll und ganz zu) abgegeben werden. Aus den Antworten wurde der Zustimmungsgrad als Mittelwert berechnet (auf die beschränkte Aussagekraft dieses Mittelwerts kommen wir noch zurück).
- «E-Voting verbessert den Zugang zu Wahlen und Abstimmungen für AuslandschweizerInnen» → 77 %
- «E-Voting macht den Stimm- und Wahlprozess einfacher» → 73 %
- «E-Voting erhöht die Stimmbeteiligung» → 72 %
- «E-Voting verbessert den Zugang zu Wahlen und Abstimmungen für sehbehinderte oder blinde Menschen» → 66 %
- «E-Voting erhöht das Risiko von Wahl- und Abstimmungsmanipulation (korrektes Ergebnis gefährdet)» → 55 %
- «E-Voting gefährdet das Wahl- und Stimmgeheimnis (jemand kann sehen, was ich abgestimmt habe)» → 43 %
Kein Wunder also, kommt die Post zum Schluss, dass eine deutliche Mehrheit E-Voting befürwortet und sich dreiviertel der StimmbürgerInnen durch E-Voting eine Vereinfachung des Stimm- und Wahlprozesses verspricht.
Doch kann man das aus diesen Ergebnissen wirklich herauslesen? Wir haben etwas genauer hingeschaut.
Repräsentativ ist relativ
Gemäss Angaben der Post handelt es sich um eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage in der Deutsch- und Westschweiz sowie im Tessin, die Befragten waren 18 bis 74 Jahre alt. Insgesamt haben 2’026 Personen an der Online-Umfrage teilgenommen. Aufmerksamen Leserinnen dürften hierbei zwei Aspekte auffallen:
Es handelt sich um eine Umfrage unter der erwachsenen Gesamtbevölkerung, nicht unter den Stimmbürgern.
Es macht bei einer E-Voting-Umfrage inhaltlich wenig Sinn, Personen zu befragen, welche gar nicht stimmberechtigt sind. Nicht unbedingt, weil nicht auch Ausländerinnen eine Meinung zum Thema haben können, sondern primär, weil deren Meinungsbildung in Bezug auf die Schweiz höchstwahrscheinlich weniger weit gediehen ist, da man sich mangels Stimmrecht eher weniger mit dem Thema auseinandersetzt. Der Ausländeranteil an der Bevölkerung (und damit mutmasslich auch an der als repräsentativ beschriebenen Umfrage) liegt bei rund 27 %. Man müsste also jede vierte Antwort streichen, um ein Meinungsbild der Schweizer Stimmbevölkerung zu erhalten.
Kommt hinzu, dass (wie die relativ tiefe Stimmbeteiligung jedes Quartal erneut zeigt) zwischen Stimmberechtigung und effektiver Teilnahme an Urnengängen eine grosse Differenz klafft (in 2025 liegt die Stimmbeteiligung auf nationaler Ebene bis jetzt bei rund 38 %). Für eine effektiv aussagekräftige Aussage hätte man zumindest erheben müssen, ob die Umfrage-Teilnehmenden überhaupt abstimmen (oder ob die Verfügbarkeit von E-Voting dazu führen würde, dass sie in Zukunft abstimmen). Denn wie bei den Ausländern ist auch bei den nicht-stimmenden Schweizerinnen davon auszugehen, dass (sofern überhaupt ein Interesse vorhanden ist) die Meinungsbildung weniger weit fortgeschritten ist.
Rechnet man den Anteil der Ausländerinnen (27 %) und der Nicht-Stimmenden (62 %) weg, dann schrumpfen die 2’026 Teilnehmer auf 562 zusammen. Leider wissen wir nicht, wie diese 562 die Umfrage ausgefüllt haben. Die Differenz ist aber gross genug, um die Ergebnisse nicht direkt für bare Münze zu nehmen. Wir wissen natürlich nicht, ob die 562 E-Voting gegenüber positiver oder negativer eingestellt sind als die Gesamtbevölkerung (auch das wäre, so nebenbei bemerkt, eine spannende Frage gewesen).
Befragt wurden Personen in der ganzen Schweiz, nicht nur in den Kantonen, in welchen momentan E-Voting-Versuche laufen.
Gemäss Übersicht der Bundeskanzlei finden E-Voting-Versuche momentan nur in einzelnen Gemeinden der Kantone Basel-Stadt, St. Gallen, Graubünden und Thurgau statt. Die Umfrage der Post bezieht aber die ganze Schweiz mit ein. Das ist natürlich grundsätzlich zulässig, vor allem, da auch in anderen Kantonen über die Teilnahme am E-Voting-Versuch diskutiert wird. Wie bei der «Bevölkerung vs. Stimmenden»-Thematik stellt sich aber auch hier die Frage, inwieweit sich die Meinungen abhängig von der Verfügbarkeit oder sogar aktiven Nutzung von E-Voting ändern. Rein numerisch betrachtet dürften sich unter den 2’026 Teilnehmenden nur eine Handvoll von Personen befinden, welche effektiv schon mittels E-Voting abgestimmt haben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Umfrage zwar repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist, aber wenig über die Meinung des aktiv an Abstimmungen teilnehmenden Teils der Schweizer Stimmbevölkerung aussagen kann. Als Marketing-Instrument der Post mag diese Ausgangslage durchgehen, als Basis für Forschungsarbeiten oder politische Entscheide ist die Umfrage allerdings nicht geeignet.
Und die Fragen an sich?
Es ist sicher nicht überraschend, dass die Post in der Medienmitteilung nur die Antworten auf die beiden Ja/Nein-Fragen bildlich aufführt.

Selbst unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Einschränkungen bezüglich der Aussagekraft ist eine Zustimmung von fast 80 % beeindruckend hoch. Allerdings fehlt hier der Kontext, und die Umfrage war nicht darauf ausgelegt, diesen zu vermitteln. Als Einleitung wurde den Teilnehmenden lediglich mit «Im Folgenden geht es um E-Voting. E-Voting ermöglicht Stimmberechtigten, elektronisch abzustimmen und zu wählen. Die Stimmabgabe erfolgt per Computer, Smartphone oder Tablet» auf die Thematik hingewiesen, weitere Informationen standen nicht zur Verfügung.
Eine tiefergehende Umfrage hätte an dieser Stelle das Vorwissen der Befragten erhoben und die Antwort auch in Relation zu den Antworten auf die offenen Wertungsfragen gestellt. Besonders relevant wird die fehlende Verknüpfung der Antwort mit dem effektiven Stimmverhalten auch, wenn man sich die tiefen Nutzungszahlen in den Versuchskantonen vor Augen hält: Gemäss einem Bericht von SRF vom 8. Mai 2025 melden sich im Kanton St. Gallen zwischen 2.5 und 15% der Stimmberechtigten fürs E-Voting an, davon nutzt dann nur die Hälfte effektiv den digitalen Kanal. Im Vergleich zur hohen Zustimmung von fast 80 % sind diese Zahlen extrem tief. Selbst angesichts der oben aufgeführten statistischen Einschränkungen öffnet sich hier eine grosse Spanne zwischen Absicht und Realität.
Zu denken geben müsste den Post-Verantwortlichen allerdings, dass über ein Drittel der Befragten in der Post keinen vertrauenswürdigen Partner für eine E-Voting-Lösung sieht. Eine offener formulierte Umfrage hätte hier vermutlich gefragt, welchem Anbieter man bezüglich einer E-Voting-Lösung vertraut. Auf dieser Basis wären dann immerhin Erkenntnisse möglich gewesen. Jetzt kann man sich nur wundern, wen sich die 14 % als Lösungsanbieter wünschen, welche zwar E-Voting möchten, aber der Post nicht vertrauen.
Ein etwas komplexeres Bild ergibt sich bei den offen formulierten Fragen. Wie oben erwähnt, ist der Mittelwert nur beschränkt dazu geeignet, einen Zustimmungsgrad zu berechnen. Wenn beispielsweise nur drei Personen die «E-Voting macht den Stimm- und Wahlprozess einfacher»-Frage beantworten und eine davon eine 6 (stimme ich voll und ganz zu), die anderen beiden je eine 2 (stimme ich weitgehend nicht zu) vergeben, dann liegt der Mittelwert bei 50% obwohl die Mehrheit der Antwortenden keine Vereinfachung erwartet. Die Medienstelle der Post hat uns eine gegenüber der Medienmitteilung etwas detailliertere Grafik zur Verfügung gestellt, welche die Verteilung der Noten pro Aussage aufzeigt. Damit lassen sich bessere Aussagen machen als mit einer reinen Mittelwertbildung.

Dass die Einschätzung der ersten drei Aussagen stark positiv ausfällt, dürfte aufgrund der Gesamteinschätzung nicht überraschen.
- Fragen kann man sich allenfalls, inwieweit die positive Einschätzung bezüglich «E-Voting macht den Stimm- und Wahlprozess einfacher» von Wunschdenken geprägt ist. Wie oben aufgeführt haben statistisch gesehen nur wenige effektive E-Voting-Nutzer an der Umfrage teilgenommen. Und wer für das Ausfüllen der Umfrage selbst einen Versuch unternehmen wollte, hat erstaunt feststellen müssen, dass die E-Voting-Demo-Plattform von 19. Mai bis Mitte September offline ist (Start der Umfrage war am 20. Mai …). Sonst dürfte man festgestellt haben, dass der Prozess (so man ihn ernst nimmt und die Kontrollschritte effektiv durchführt) schlussendlich deutlich aufwendiger ist als ein Abstimmen per Briefpost. Während es bei der Papierabstimmung reicht, leserlich Ja oder Nein zu schreiben und den Stimmausweis zu unterschreiben, muss man beim E-Voting jede abgegebene Stimme anhand einer Prüfsumme verifizieren. Wer will, kann das zumindest bis zum 24.8. auf der Plattform für die Public Intrusion Tests nachvollziehen.
- Ob E-Voting die Stimmbeteiligung real erhöht, ist auf Basis der Zahlen aus dem Versuchsbetrieb nicht schlüssig zu beantworten. Einerseits ist die Menge der Teilnehmenden im Gesamtvergleich zu klein, andererseits dürfte gerade im Inland das Interesse für E-Voting-Teilnahme vor allem bei denjenigen vorhanden sein, welche ohnehin beabsichtigen, an einer Abstimmung teilzunehmen.
Überraschend tief ist die Einschätzung der Frage, ob E-Voting den Zugang für sehbehinderte und blinde Menschen verbessert. Zwar sehen das 73 % mehr oder weniger positiv, aber wenn man sich vor Augen führt, dass «Zugang für Menschen mit Beeinträchtigungen» zusammen mit «AuslandschweizerInnen» die beiden demokratie-relevanten Kernargumente pro E-Voting darstellen, ist das Resultat schwer zu verstehen. Ob hier vielleicht mitspielt, dass viele davon ausgehen, dass sich sehbehinderte Menschen ja durch Mitmenschen helfen lassen können? Oder dass sich selbst E-Voting-Befürwortende einfachere Lösungen wie die im Ausland oft genutzten Schablonen vorstellen könnten?
Spannend hingegen ist die Diskrepanz bei den letzten zwei Aussagen, vor allem wenn man sich die Hintergründe der Problematik vor Augen führt.
- Bei der Manipulations-Frage geht es darum, dass Angreifer die Ergebnisse einer Abstimmung unbemerkt verfälschen können. Das E-Voting-System der Post sieht hierzu diverse Sicherheitsmassnahmen vor. Die technisch nicht-affine Öffentlichkeit dürfte unter dem Thema aber vor allem «Hacker können (nicht) ins System eindringen» verstehen. Über die Hälfte der Teilnehmenden geht offenbar trotzdem davon aus, dass dies ein reales Problem darstellt.
- Technisch gesehen ist die Sicherstellung des Stimmgeheimnisses anspruchsvoller als das Verhindern von Manipulationen. Trotzdem sind nur 41 % der Meinung, dass durch E-Voting das Stimmgeheimnis gefährdet wird. Ob dies damit zusammenhängt, dass viele der Vertraulichkeit der eigenen Stimme kein hohes Gewicht zumessen, lässt sich mit den vorliegenden Daten allerdings nicht beantworten.
Pauschal gesagt sind die letzten zwei Aussagen ein Gradmesser für das Vertrauen in die gesetzlichen Regelungen rund ums E-Voting wie auch in die Post als Lösungsanbieter. Wie schon beim Vergleich zwischen genereller Zustimmung und effektiver Nutzung muss man sich auch hier fragen, wie 64 % der Post als Lösungsanbieterin vertrauen können, obwohl knapp über 50% von einem erhöhten Manipulationsrisiko ausgehen.
Fazit
Fassen wir zusammen: Die Post lässt mehr als 2’000 Personen zu ihrer Meinung zu E-Voting befragen, obwohl nur gut 500 davon überhaupt an Abstimmungen teilnehmen. Effektiv E-Voting bereits genutzt haben davon maximal eine Handvoll (falls überhaupt). Und das System ausprobieren konnte zum Umfrage-Zeitpunkt niemand. Die erhaltenen Antworten weisen nicht nur eine grosse Diskrepanz zwischen der Unterstützung von E-Voting und der tatsächlichen Nutzung auf, sie zeigen auch ein nach wie vor relativ grosses Unbehagen bezüglich der Sicherheit. Aus dieser Umfrage lassen sich daher keine neuen Erkenntnisse zur Akzeptanz von E-Voting in der Schweiz gewinnen. Sie zeigt allenfalls auf, welche Fragen man effektiv stellen müsste, um die Meinungsbildung besser zu verstehen, und auch potenzielle Veränderungen bei den Stimm-Kanälen zu begründen.
Dies, zusammen mit der Begrenzung auf drei Fragen, weist darauf hin, dass es sich bei der Umfrage um eine reine Marketing-Übung der Post gehandelt hat. Dazu passt, dass in der eingangs verlinkten Medienmitteilung das Gewicht in der zweiten Hälfte des Texts nicht auf der Umfrage, sondern auf der nächsten Runde des Hacking-Tests liegt, mit welchem die Post für das E-Voting-System jährlich einen öffentlichen Intrusion-Test durchführt. Immerhin adressiert man damit den Umstand, dass die Hälfte der Umfrage-Teilnehmenden hinter der Sicherheit nach wie vor ein Fragezeichen setzt.
Bedenklich ist allerdings, dass sämtliche Medien 1:1 die Argumentation der Post aus der Medien- und der SDA-Mitteilung übernommen haben, ohne die Umfrageergebnisse in irgendeiner Form einzuordnen. Natürlich muss es oft schnell gehen, und man ist vermutlich manchmal um alles froh, was die Online-Seiten füllt. Aber gerade bei für die Demokratie im Land relevanten News würde es allen Redaktionen gut anstehen, etwas genauer hinzuschauen. Stoff dazu hätte es in der Umfrage zur Genüge gegeben.
Bisherige DNIP-Artikel zum E-Voting
- e-Voting Stand 2022: Die vier Problemfelder (Juni 2022)
- e-Voting: No risk, have fun? (September 2023)
- e-Voting: Der Stimmbürger bleibt die Schwachstelle (Oktober 2023)
- Stimmbeteiligung erhöhen ohne e-Voting (Mai 2024)