Vogt am Freitag: There’s an app for that

Der Bundesrat gönnt sich für seine Regierungskommunikation eine eigene App. Kolumnist Reto Vogt sieht Licht und Schatten. Und eine Parallele.

Wetter, Wasserwaage, Würfel, Währungsrechner? «There’s an App for that!» Ich bin nicht sicher, ob der Bundesrat diesen mittlerweile deutlich in die Jahre gekommenen Marketingspruch kennt, der besagt, dass für jedes Problem eine App als Lösung bereitsteht. Nichtsdestotrotz hat er sich genau dafür entschieden: «Die Informationen von Bundesrat und Bundesverwaltung sollen zuverlässig und unabhängig von kommerziellen Plattformen angeboten werden können», teilte die Regierung mit.

Mir gefällt die Idee im Grundsatz. Es ist heute wichtiger denn je, sich von Algorithmen unabhängig zu machen und auf eigene Kommunikationskanäle zu setzen. Mit der Etablierung einer eigenen, zentral verwalteten Plattform holen sich Bundesrat und Verwaltung die Kommunikationshoheit zurück und können Desinformation gezielt entgegenwirken. Weiter gefällt mir am Vorhaben, dass die App über Schnittstellen die Inhalte aus dem neuen CMS des Bundes – Livingdocs – bezieht und zum Ausspielen der Inhalte «keine zusätzlichen Personalressourcen nötig sind», wie die Regierung verspricht.

Kantone und Kommunen bleiben Aussen vor

In der aktuellen Kommunikation tönt es jedoch leider nicht danach, als wolle der Bundesrat auch die Kommunikationsbedürfnisse von Kantonen und Kommunen integrieren. Technisch wäre das auch eine Herausforderung: Erstens, weil die Anzahl Content-Management-Systeme (CMS) in Schweizer Behörden wohl im dreistelligen Bereich anzusiedeln ist und zweitens, weil aktuell noch nicht mal alle Bundesämter auf Livingdocs migriert sind. Das erfolgt erst bis 2026 und bis dahin wird die App nicht mal flächendeckend in der Bundesverwaltung funktionieren.

Einzig ein landesweiter Ansatz wäre ein Versprechen dafür, dass die App von Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird. Ist dies doch genau die Stärke von bestehenden Apps wie «Vote Info» oder «Alert Swiss». Ohne eine zumindest vergleichbare, gesamtschweizerische Abdeckung schafft der Bund mit der neuen App nur ein neues, proprietäres Informationssilo, das für jede und jeden einzelnen einen – freundlich formuliert –  überschaubaren Mehrwert bietet.

Weder Erfolgskriterien noch Kostentransparenz

Eine vernünftige Anzahl Menschen dazu zu bewegen, sich eine App auf ihr Smartphone zu laden, bedeutet ungeheure Marketinganstrengungen. Dies umso mehr, wenn die App «nur» Medienmitteilungen vom Bundesamt für Landwirtschaft (no offense, ich habe dort die Lehre gemacht) pusht und darüber informiert, wenn der Bundesrat mal wieder einen Bericht verabschiedet hat.

Und was bedeutet überhaupt eine «vernünftige Anzahl Menschen»? Ich habe die zuständige Behörde gefragt, ob Ziele und Erfolgskriterien definiert worden sind – und wie diese lauten. «Konkrete Metriken wie ‹Anzahl User› oder ‹Häufigkeit der Benutzung› sollen erst nach Realisierung der App und im Rahmen ihrer Weiterentwicklung festgelegt werden», schrieb Urs Bruderer von der Bundeskanzlei. Abgesehen davon seien nur «grobe Ziele» festgelegt worden. Ebenfalls wollte ich wissen, was das App-Projekt von jenem auf Mastodon unterscheidet, dass der Bund im Herbst 2024 nach nur einem Jahr wieder einstellte. «Mit der App wenden sich Bundesrat und Bundesverwaltung plattformunabhängig und direkt an die ganze Bevölkerung», sagte Bruderer dazu und meint damit denjenigen Teil der Bevölkerung, der sich die Mühe macht, die App zu installieren.

Tickets statt Infos per App

Das Angebot auf Mastodon sei «auf begrenztes Interesse» gestossen. Eine App zu installieren, ist zwar weitaus einfacher als im Fediverse einen Account zu erstellen – dennoch: Die Inhalte bleiben dieselben. Ich habe unter dem Strich Zweifel, weshalb das Angebot trotz der geringeren Komplexität und der Möglichkeit zur Personalisierung besser funktionieren soll als die gescheiterten Versuche auf Mastodon. Noch «nicht abschliessend definiert» sei überdies, welche Daten bei der App-Nutzung gesammelt werden, das werde vom Funktionsumfang mitbestimmt, so Bruderer. Aber: «Datensparsamkeit ist ein Designprinzip», verspricht er. Zu den Kosten hält sich Bruderer bedeckt: Wegen des «laufenden Beschaffungsverfahrens» kommuniziere man «derzeit keine Zahlen».

Nach dem Motto «There’s an app for that!» handelt übrigens nicht nur der Bundesrat. Auch wer ein Spiel der am 2. Juli starteten Frauen-Fussball-Europameisterschaft in einem Schweizer Stadion sehen will, muss eine App installieren. Statt Informationen zum Rückgang des Weinkonsums vom BLW gibt’s von der Uefa die Eintrittskarten als Push. Ohne App, kein Ticket. Und wer kein Smartphone hat, soll sich halt eines von einem Freund organisieren, heisst es dazu in den FAQ des europäischen Fussballverbands. Anders als bei der Bundesrats-App sehe ich hier indes keine Vorteile mehr. Im Gegenteil: Für mich als Fussballromantiker sind Papiertickets zum Sammeln immer noch wichtig.

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2 Antworten

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  2. Dazu passt (leider), dass die die Bundeskanzlei mir mitgeteilt hat, die RSS-Feeds des News Service Bund würden „nicht mehr aktiv angeboten“ (obwohl sie vorläufig noch funktionieren) und es sei „geplant, die RSS-Feeds einzustellen und dafür eine elektronische Schnittstelle (API) anzubieten.“

    Wieso dieser Wechsel von offen zu proprietär, ausgerechnet in der Behördenkommunikation?!

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