Der Bundesrat knickt vor Trump ein und verschiebt die Plattfomregulierung auf unbestimmte Zeit. Derweil nutzen die Plattformanbieter ihre Macht schonungslos aus, schreibt Kolumnist Reto Vogt.
Und wieder wird es nichts mit der Plattformregulierung. Der Bundesrat zögert das Gesetz hinaus, das vor über einem Jahr erstmals versprochen worden ist. Auf wann? Unbekannt. Das berichtet SRF mit Verweis auf gut unterrichtete Quellen. Dem Bericht zufolge sind Wirtschaftsminister Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis die treibenden Kräfte hinter der Verschiebung. Der Grund: Sie wollen Trump nicht hässig machen.
Die Regierung macht also den Bückling vor Trump und tut alles, damit dieser happy ist und Switzerland great findet. Das überrascht nicht. Und zwar weil es nicht die erste Verschiebung der Plattformregulierung ist, sondern die dritte. Erstmals beschloss die Regierung sie im November 2024, weil die bürgerlichen Parteien laut NZZ (Paywall) vor Zensur warnten. Der zweite Streich folgte im Februar 2025, weil die Vorlage noch nicht «vernehmlassungsreif» sei. Offiziell begründen wollte das der Bundesrat weder damals noch heute.
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ToggleBundesrat handelt nicht im Interesse der Schweiz
Dabei ist das Handeln offensichtlich nicht zum Besseren der Schweiz, wie es eigentlich die Hauptaufgabe des Bundesrats wäre, sondern besser für Big Tech und für die Definition von «Meinungsfreiheit» à la Trump, Musk und Zuckerberg. Statt die Nutzung der grossen Plattformen mit einer vorausschauenden Regulierung für die Nutzerinnen und Nutzer (rechts)sicherer zu machen, stärkt unsere schwache Regierung die Plattformbetreiber und den irrlichternden US-Präsidenten.
Und auch das ist nicht das erste Mal: Schon beim Thema Künstliche Intelligenz entschied sich der Bundesrat für Nicht-Regulierung. «Mutlos, planlos, wirkungslos» bezeichnete ich den Entscheid damals – und verstärke die Worte für die nun neuerliche Verschiebung: Die Verzögerung der Plattformregulierung auf den Sankt Nimmerleinstag ist schädlich für die Schweiz und alle Bürgerinnen und Bürger.
Google (und andere) dürfen Regeln diktieren
Wie sehr uns die Tech-Konzerne ohne klare Regeln oder Kontrolle auf der Nase herumtanzen, zeigt ein aktueller Fall bei der Google-KI Gemini. Diese wäre zwar von einer Plattformregulierung gar nicht betroffen – aber das Muster ist dasselbe: Ein Tool eines ausländischen Techkonzerns entzieht sich jeglicher Transparenz und Kontrolle. (Man stelle sich das mal bei Arzneimitteln vor, aber lassen wir das.)
Konkret geht es um die KI-Anwendung Gemini in der Business-Version von Google Workspace. Dort lassen sich Chatverläufe weder von Nutzerinnen und Nutzern noch von Unternehmens-Admins löschen. Damit entscheidet faktisch allein Google, welche Daten gespeichert bleiben, für wie lange und wofür die Daten genutzt werden. Für ein produktives Arbeitstool in einem sensiblen Unternehmensumfeld ist das ein massiver Kontrollverlust, den es bei anderen KI-Anbietern in dieser Form nicht gibt (und auch bei Gemini selbst in der Consumer-Version nicht). Zuerst darüber berichtet hatte Rechtsanwalt Martin Steiger.
«Wir meinen es nicht böse»
Und genau an solchen Punkten (der genannte ist bei weitem nicht der einzige) kommt wieder staatliche Plattformregulierung ins Spiel: Wenn niemand weiss, was mit den Daten geschieht – und es zugleich kein Gesetz gibt, das Transparenz, Auskunft oder Kontrolle verlangt, dann haben nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten die Kontrolle über ihre digitale Infrastruktur abgegeben. In diesem Fall an Google.
Natürlich wollte ich von Google wissen, weshalb sich in Gemini for Workspace keine Chats löschen lassen – weder durch Nutzerinnen noch durch Admins. Nach einem PR-Schlenker über Kalifornien meldete sich schliesslich die Zürcher Agentur mit einem langen Statement zurück, ohne aber viel zu sagen. Datenschutz und Sicherheit seien die Hauptprioritäten. Und Gespräche in der Gemini-App von Workspace-Nutzerinnen und -Nutzern werden aktuell für 18 Monate gespeichert.
Google sagt viel – und doch nichts
Aber auf die entscheidende Frage – warum Workspace-Nutzerinnen ihre Gemini-Chats nicht löschen können, Consumer-Nutzer hingegen schon– bleibt Google eine Antwort schuldig. Immerhin soll sich «bald» etwas ändern. Ein Datum nennt der Konzern nicht, sagt aber, dass Admins künftig einstellen können, wie lange die «Gemini-Aktivität» gespeichert werde. Proaktiv löschen lassen sich die Verläufe wohl auch dann nicht.
Immerhin: Fürs Training der KI-Modelle würden die Daten in der Workspace-Version laut Googles Versprechen angeblich nicht verwendet. Anders als bei der Consumer-Version, wo das explizit vorgesehen ist. Das mag etwas beruhigen – ändert aber nichts am grundsätzlichen Problem: Ein globaler Techkonzern entscheidet eigenmächtig über die Datenhoheit in Schweizer Unternehmen. Und die Schweiz schaut zu.
3 Antworten
Weshalb dieser Drang nach staatlichen Regulierungen? Ein Unternehmen steht es frei, eine Open Source Lösung einzusetzen und auf einem Schweizer Server zu betreiben. Problem gelöst. Im übrigen würde der Chat-Verlauf auch dem US Cloud Act unterstehen. Ein weiteres Problem bei amerikanischen Kommunikation Diensten.
Die Marktmacht der Tech-Konzerne ist derart gross, dass sich die wenigsten Organisationen diesen Ökosystemen entziehen können. Und noch weniger können es die einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Genau darum braucht es mMn staatliche Regulierung, um Transparenz, Schutz, Sicherheit und Kontrolle so gut wie möglich durchzusetzen. Und was den Cloud Act betrifft: Umso wichtiger, dass wir aufhören, Daten blind in US-Systeme zu kippen.
Merci für die Erwähnung, Reto!
@Urs Lang: Es geht eigentlich gar nicht um neue staatliche Regulierung, sondern um die Durchsetzung der bestehenden Regulierung, nämlich den bestehenden Rechtsstaat. Wieso sollte die Schweiz dauerhaft hinnehmen, dass die Menschen und Unternehmen den Tech-Giganten mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind, zum Beispiel, wenn ein Account plötzlich gesperrt wird?
Dabei führt an den grossen Plattformen kein Weg vorbei. Mit eigener Infrastruktur in der Schweiz kann kein Unternehmen eine Präsenz auf den grossen Plattformen ersetzen, denn dort sind die anderen Menschen (und Unternehmen).