Nextcloud-Chef: «Microsoft wollte uns dafür bezahlen, dass wir die Beschwerde zurückziehen»

In Zeiten, in denen amerikanische Tech-CEOs auf Schmusekurs mit der autokratisch regierenden Administration von US-Präsident Donald Trump gehen und das Credo „America First“ in der Big-Tech-Welt dominiert, in Zeiten, in denen den EU-Gesetzen offen der Krieg erklärt wird, sind digitale Resilienz und Souveränität Europas umso wichtiger. Spätestens nach der Sicherheitskonferenz in München ist der Weckruf für viele europäische Regierungen klar. Die technologische Abhängigkeit Europas von den USA wird zu einem zunehmenden Sicherheitsrisiko. Denn die aktuelle Willkür und der staatliche Umbau in den USA garantieren keinen ausreichenden rechtsstaatlichen Schutz mehr für die Daten von Europäerinnen und Europäern. Höchste Zeit für europäischen Alternativen.

Vor einigen Monaten, im November 2024, haben wir Nextcloud-CEO Frank Karlitschek in Berlin getroffen – und genau über diese Themen diskutiert. Nextcloud ist eine Open-Source-Cloud-Software, die es Nutzern ermöglicht, ihre Daten auf einem eigenen Server zu speichern und zu verwalten, wodurch sie die Kontrolle über ihre Daten behalten und gleichzeitig Funktionen für Dateisynchronisierung und Teamarbeit nutzen können.

Auch wenn das Interview nun schon eine Weile her ist (und sabbaticalbedingt erst heute erscheint): Die Aussagen von Frank Karlitschek sind heute relevanter denn je.

DNIP.ch: Beginnen wir mit dem Thema digitale Souveränität Europas. Zu diesem Thema äussern Sie sich ja immer wieder pointiert. Wie etwa bei Gaia X, der europäischen Initiative für Datenwirtschaft und technologische Souveränität. Hier kritisierten Sie massiv die Mitsprache durch die amerikanischen Big Tech-Konzerne. [Anmerkung von DNIP.ch: Vor Kurzem ist Nextcloud aus dem Verein Gaia X ausgetreten]

Karlitschek: Nextcloud war ein «Day One Member» bei Gaia X. Die Regierung unter Merkel sagte 2019: KI sei die Zukunft und KI brauche Cloud, deswegen müsse jetzt Europa mehr tun. Also wollte man eine Art digital-europäische Antwort wie damals bei Boeing. Und so wie damals Airbus entstand, sollte es quasi ein europäisches Amazon geben. Das war die erste Idee, die man aber wieder verwarf.

DNIP.ch: Dann ging es mehr darum, eine Art europäisches Gütesiegel zu bestimmen?

Karlitschek: Es sollte eine föderierte, distributed Organisation sein, bei der alle existierenden Cloud-Anbieter zusammenkommen und dadurch eine Austauschbarkeit entsteht und ein Markt erzeugt wird. Also quasi eine Zusammenstellung von Standards und APIs sowie auch Zertifizierungen, die quasi die Gleichwertigkeit von Diensten ausdrückt.

DNIP.ch: Und dann?

Karlitschek: Wie das halt so ist bei solchen Projekten: Wenn Geld auf den Tisch liegt, sind plötzlich ganz viele Unternehmen da, die mitmachen wollen. Und die Politik hat sich danach ziemlich schnell zurückgezogen und hat gesagt: Okay, das läuft jetzt ja. Und so wurde aus Gaia X eine unabhängige Organisation, die in Brüssel ansässig ist.

DNIP.ch: Später wurden auch die amerikanischen Hyperscaler Mitglied von Gaia-X.

Karlitschek: Der ursprüngliche Gedanke war doch, dass man eine europäische Konkurrenz zu denen aufbaut. Aber die Big Tech-Lobbyisten sind dann hereingebrochen, es wurden riesige Dokumente geschrieben, die niemand mehr lesen konnte. Die Hyperscaler haben sehr viel Zeitressourcen sich in diese Diskussion einzumischen. Deswegen waren wir in den letzten Meetings gar nicht mehr dabei. Wenn man erst einmal tausend Seiten Spezifikation lesen muss vor dem Meeting, können wir das schlichtweg nicht leisten.

DNIP.ch: Dasselbe sagte auch der ehemalige Scaleway-CEO Yann Lechelle. Die Befürworter sagen dass man die Pionierarbeit zuerst leisten musste um einen Katalog für sogenannte föderierte Services zu erstellen.

Karlitschek: Genau der «Federation Service Catalog», wo man sich die verschiedenen Angebote zusammenklicken kann, inklusive chinesischer und amerikanischer Unternehmen. War das wirklich das Ziel von Gaia X? Ich würde sagen hier hat man einfach die Vergangenheit etwas umdefiniert, damit man dann halt gut dasteht. Jetzt haben wir nach also nach 5 Jahren ein Dokument.

DNIP.ch: Ein Dokument ist ja immerhin mal ein Anfang…

Karlitschek: Ein Servicekatalog ist sicher wichtig für die Vergleichbarkeit von Diensten, aber das allein löst das Problem der digitalen Souveränität nicht. Der ehemalige Bundesminister Altmaier sagte selbst, Gaia X solle die Antwort auf die Übermacht von Google und Amazon sein. Heute bestreitet man inzwischen auch, dass dies eigentlich das Ziel war.

DNIP.ch: Kommen wir auf ein verwandtes Thema zu sprechen: Microsoft. Sie hatten eine Kartellbeschwerde gegen Microsoft bei der EU-Kommission eingereicht. Das war im Jahr 2021. Und Sie haben mal gesagt, dass Sie monatlich mit den EU-Vertretern und Behörden sich austauschen und dabei erklären müssen, worin genau der Marktmachtmissbrauch von Microsoft bestehe. Ist das immer noch so? Und wo stehen Sie jetzt da?

Karlitschek: Auch hier hole ich gerne etwas aus. Das Ganze hat vor drei bis vier Jahren angefangen, als wir das problematische Bundling von Services und Software angehen wollten. Wir konzentrierten uns anfangs auf den OneDrive-Fall, um das Problem greifbarer zu machen. Dabei handelt es sich um einen File-Sharing-Dienst. Wir reichten also Beschwerde gegen die marktbeherrschende Stellung von Microsoft ein. Tech-Konzerne versuchen Monopole zu erreichen, indem sie Dienste bündeln. Beim Betriebssystem Windows ist dann OneDrive gleich mit dabei. Wir haben daraufhin diese Beschwerde eingereicht bei der EU.

DNIP.ch: Was geschah dann?

Karlitschek: Es gab da einige Calls, Diskussionen und persönliche Meetings. Und wir haben Dokumente eingereicht, um das alles nachzuweisen. Da wir nicht wussten, was auf uns zukommt, haben wir zuerst anonym eingereicht. Microsoft hat der europäischen Kommission geantwortet und behauptet: jedes Betriebssystem habe seinen eigenen Filesharing-Dienst. Bei iOS und Android sei es ja auch so. Und deswegen sei jetzt natürlich klar, dass es Windows voraussetze für OneDrive. Das ist natürlich Quatsch, weil es ja auch unabhängige Player gibt, wie Dropbox oder eben auch Nextcloud, die unabhängig von einem spezifischen Betriebssystem sind. Danach ist die Diskussion wieder eingeschlafen.

DNIP.ch Und wie kam es dann zur Untersuchung der EU?

Karlitschek: Von der EU gab es zuerst kaum Antworten. Und wir dachten: Wir müssen hier einfach den Druck erhöhen. Dann haben wir vor drei Jahren im Spätsommer eine Koalition zusammengestellt mit anderen Unternehmen, die uns hierbei unterstützen. Wir entschieden, dass wir nicht mehr anonym sein wollen und weiteten das Ganze auf das deutsche Kartellamt mit einer Koalition von Unternehmen aus, die uns unterstützen. Damit gingen wir an die Presse und arbeiteten etwa mit dem «Spiegel» zusammen. Und der hat es an die DPA gegeben. Das hat unglaublich eingeschlagen.

DNIP.ch: Der Wake-Up-Call für Brüssel.

Karlitschek: Dann ist die EU natürlich aufgewacht und merkte: Okay, wir müssen jetzt doch wieder irgendwas tun. Dann sind die Meetings wieder angelaufen. Und es war auch so, dass ich plötzlich ziemlich viele Freundschaftsanfragen auf LinkedIn hatte von den Microsoft-Managern. Die habe ich aber alle abgelehnt.

Später kam ein Microsoft-Anwalt aus den USA zu uns. Er versuchte mich im persönlichen Gespräch zu überzeugen und sagte: Microsoft ist ja gar nicht mal böse und findet jetzt Open Source ganz toll. Die haben jetzt Github und Visual Studio Code. Der Typ merkte, dass dies nicht so gut bei mir ankommt. Und dann wurde die zweite Strategie versucht: Man könne ja mal zusammenarbeiten, dass Microsoft hie und da etwas sponsert von uns. Oder ein bisschen etwas an Geld zahlen.

DNIP.ch: Im Ernst?

Karlitschek: Ja die versuchten mich mit Geld davon zu überzeugen, dass ich das mit der Beschwerde lassen soll. Er könne mich dann in Verbindung bringen mit irgendwelchen Leuten, mit denen man einen Deal aushandeln könne. Das habe ich aber abgelehnt. Und dann war das Gespräch schnell vorbei. Später hatte ich gehört, dass Microsoft mehrere Unternehmen aus unserer Koalition kontaktiert hatte und bot denen ebenfalls Geld an, um auszusteigen. Zum Beispiel der Free Software Foundation Europe.

DNIP.ch: Allen wurde Geld geboten?

Karlitschek: Den anderen Unternehmen wurde damals auch Geld angeboten, dass sie Nextcloud nicht mehr unterstützen bei der Beschwerde, indem sie zum Beispiel gewisse Events sponsern. Beispielsweise einem Service Provider aus Italien. Darauf ist aber niemand reingefallen. Und seitdem laufen eigentlich heutige Gespräche mit der Kommission und auch mit dem Kartellamt. Der Prozess geht langsam voran, die neue EU-Kommission greift es wieder auf.

Auch im Kartellamt in Deutschland gibt es Fortschritte. Da wurde Microsoft als dominanter Player eingestuft. Ähnliches ist übrigens mit Google in den USA kürzlich passiert [Anmerkung DNIP.ch: das US-Justizministerium machte im Oktober 2024 noch vor den US-Wahlen einen Antrag für die Abspaltung des Online-Werbebereichs, ein Gericht muss noch eine Entscheidung fällen dazu. Gut möglich, dass das Vorhaben wieder fallengelassen wird unter der Trump-Administration]. Ein Kartellprozess besteht aus mehreren Schritten. Da muss zuerst einmal festgestellt werden, dass überhaupt ein Monopol existiert. Und das wurde jetzt gemacht beim deutschen Kartellamt vor zwei Monaten.

DNIP.ch: Entschied das Kartellamt nun, dass man OneDrive und das Betriebssystem voneinander entbündeln müsse?

Karlitschek: Nein, noch nicht. Der erste Schritt wurde getan mit der Feststellung: Microsoft Windows ist ein dominanter Player. Das ist sozusagen in der Argumentationslinie der erste Schritt. Zuerst müssen Monopole existieren, bevor die sogenannten Antitrustmassnahmen überhaupt Sinn machen.

DNIP.ch: Läuft der Prozess den schnell genug? Momentan entscheidet sich gerade eine Mehrheit der Bundesländer bei den Office-Lösungen für die Microsoft 365-Cloud. Dabei gäbe es ja die OpenDesk-Lösung, eine Suite mit verschiedenen Playern?

Karlitschek: Ja, Nextcloud ist Teil von «Open Desk», einer Initiative des Zentrums für Digitale Souverenität und unterstützt auch den Open Source-Gedanken. Es gibt verschiedene Verwaltungsorganisationen auf Bundesebene, Landesebene, auf Kommunalebene, die unabhängig agieren. Und ich würde mal sagen, die eine Hälfte davon macht Microsoft und die andere Hälfte davon macht irgendwas mit Open Source. Ich präzisiere: ein Viertel macht Microsoft, ein Viertel macht Open Source und die Hälfte macht Fax. Oder Papier.

DNIP.ch: Vielleicht noch letzte Frage zu Microsoft und Souveränität. Es gibt ja das Projekt Delos Cloud, das vom Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz stark vorangetrieben wird. Es handelt sich hierbei um eine Arbeitsteilung zwischen SAP (Betrieb und Rechenzentren) und Microsoft (Software-Lieferant). Was halten Sie von diesem Setting? Nützt diese Trennung der digitalen Souveränität?

Karlitschek: Ja, das ist ein sehr interessantes Setting. Aber so oder so: Es gibt ja den Cloud Act, der verlangt, dass die amerikanischen Unternehmen mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten müssen. Auch wenn sie europäische Ableger haben und europäische Rechenzentren für die Speicherung unserer Daten verwenden.

DNIP.ch: Bei der «Delos Cloud» wird argumentiert, dass die Daten ja eben in deutschen Rechenzentren und unter deutsche Kontrolle sind (SAP). Bei einem solchen Setting sitzt doch Microsoft am längeren Hebel, wenn es beispielsweise neue Updates gibt und wir nicht wissen, was genau da drin ist.

Karlitschek: Genau das ist das Problem mit Closed Source. Wenn jetzt Microsoft irgendwie Updates einspielt, weiss natürlich kein Mensch, was da drin ist. Und wie Sie sagen: Olaf Scholz hat diese Idee aus irgendwelchen Gründen ziemlich gepusht. Der Kanzleramtsminister Schmidt scheint da auch irgendwie ein grosser Fan zu sein, ein grosser Microsoft-Fürsprecher.

DNIP.ch: Gehen wir mal weg von Microsoft. Die Definition der Open-Source-Initiative wurde veröffentlicht zum Thema Open Source AI. Nextcloud ist ja auch Teil dieser Initiative. Nun gibt es Kritik, dass die Initianten keine Offenlegung der Trainingsdaten anfordert. Wie sehen Sie das?

Karlitschek: Der neue AI Act der EU verlangt die Definition einer Open-Source-AI. Es gibt hier schon mal einen gewissen Druck, den Begriff zu definieren. Wir haben vor zwei Jahren dieses «Ethical AI Rating» definiert für uns selbst. Weil wir gesagt haben: Open-Source-AI steht für bestimmte Dinge wie Transparenz, Sicherheit und Datenschutz und bestimmte Werte.

DNIP.ch: Was sind denn die Kriterien beim Ethical AI Rating?

Karlitschek: Wir haben entschlossen, eine Bewertung von drei bis vier Ampeln mit den Farben grün, gelb, orange und rot zu erstellen. Die Bewertung basiert auf diesen drei Faktoren: Ist das trainierte Modell frei verfügbar für Selbst-Hosting («Open Weight» Model) und kann lokal laufen? Ist der Code, der zum Ausführen (Inferenz) und Trainieren des Modells benötigt wird, Open Source? Sind der Trainingsdatensatz und die Trainingsmethoden vollständig offen und verfügbar?

Wenn alle drei Anforderungen gegeben sind, dann gibts eine grüne Ampel. Und wenn nichts gegeben ist, dann ist die Ampel auf Rot. So hat jeder Transparenz und kann selber auswählen, was relevant für ihn ist. Diese Bewertungen haben wir bei uns bei verschiedenen Angeboten integriert. Daten zu CO₂-Emissionen und Energieverbrauch fliessen zurzeit nicht in die Bewertung ein, da es bislang keine standardisierte Methode gibt, den Energieverbrauch verschiedener Modelle objektiv zu vergleichen. Sobald es eine branchenweite, transparente Möglichkeit gibt, diese Faktoren zu bewerten, werden wir unser Modell entsprechend anpassen.

DNIP.ch: Die Open Source Initiative – zu der Nextcloud eben auch gehört könnte ja diese Definition übernehmen?

Karlitschek: Die haben sich auch inspirieren lassen von unserer Arbeit. Auf das Ampelsystem verzichteten sie aber vorerst. Weil die jetzigen riesigen Large-Language-Models werden mit dem kompletten Internet trainiert. Also egal ob LLAMA3 oder GPT-4 – die stützen sich alle auf die verfügbaren Daten von Youtube, Twitter, Reddit etc. Ob das legal ist oder nicht, ist dann eine andere Diskussion.

DNIP.ch: Aber ohne Kenntnis und Offenlegung der Trainingsdaten hat man ja keine Transparenz über Herkunft, Bias, Diskriminierung etc.

Karlitschek: Ja, aber wenn es eine strikte Definition geben muss, dann würde es bedeuten, dass es keine Open-Source-AI gibt. So entsteht bei den grossen Modellen eine Anforderung, die nicht erfüllbar ist und sich auf dem Papier einfach gut anhört. Deswegen hat sich die Open-Source-Initiative entschlossen, diese Anforderung aufzubrechen. Und gesagt: Es muss nun dokumentiert und nachvollziehbar sein. Es soll eine weichere Definition geben, was die Kontroverse auslöste. Also wir haben offiziell Unterstützung zugesagt. Für uns ist aber klar: Die Datensätze müssten eigentlich offen sein.

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