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Vogt am Freitag: Tiktok ist wie Velofahren ohne Helm

Australien will den Jungen Social Media wegnehmen. Und auch in der Schweiz verfängt die Idee. Kolumnist Reto Vogt hält das für den falschen Weg und zieht einen Vergleich.

Was haben Fast Food, Energy Drinks, Velofahren ohne Helm und Social Media gemeinsam? Alles ist in der Schweiz ohne Altersbeschränkung verfügbar. Während Kinder künftig weiterhin ohne Velohelm zum nächsten Burgerladen radeln und sich auf dem Heimweg beim Kiosk ein klebriges Gesöff kaufen dürfen, wollen einer repräsentativen Umfrage zufolge 80% der Erwachsenen ein gesetzliches Mindestalter für Social-Media-Logins. Vorbild ist Australien: Das Land hat jüngst ein Gesetz verabschiedet, das den Zugang zu sozialen Netzwerken für Personen unter 16 Jahren verbietet (Link zum Gesetzestext).

Chicken Nuggets und Red Bull hui, Facebook pfui

Natürlich kann Social Media einen negativen Einfluss auf Kinder haben – genauso wie Hamburger und Red Bull. Und wer mit dem Rad ohne Helm stürzt, fährt auch nicht summend fröhlich weiter. Warum also bleibt all das erlaubt, während Jugendlichen der Zugang zu sozialen Netzwerken gesperrt werden soll? 

Ich habe eine Vermutung: Es liegt daran, dass Chicken Nuggets und Velofahren Erwachsenen vertraut sind – aber Social Media hingegen noch immer nicht wirklich. Und was manche Menschen nicht verstehen, verbieten sie halt lieber.

6 Gründe, warum ein Verbot keine gute Idee ist

In diesem Fall (wie wohl oft) passiert dies aber leider ohne, dass diese Menschen über die Konsequenzen nachdenken, die ein solches Gesetz mit sich bringt. Ich möchte kurz auf die wichtigsten Punkte eingehen – unterteilt in technische und gesellschaftliche beziehungsweise soziale Argumente:

  1. Ausweispflicht im Internet: Ein Mindestalter für Social Media führt praktisch die Ausweispflicht im Internet ein. Mit einer datensparsam umgesetzten E-ID ist die Nutzung zwar (theoretisch) weiterhin anonym möglich, weil beim Login nur das Alter geprüft wird. Aber noch gibt es in der Schweiz keine E-ID und entsprechend ist auch noch nicht bekannt, wie diese umgesetzt wird. Deshalb bedeutet die Einführung einer Alterskontrolle aktuell automatisch die Ausweispflicht.
  2. Technische Hürden lassen sich überspringen. Immer. Es gibt keine einzige technische Barriere, die jemals funktioniert hätte. Jugendliche werden einen Weg finden, sich weiterhin bei ihren sozialen Netzwerken einzuloggen. Im Falle eines Verbots in der Schweiz (oder Australien) genügt ein VPN-Tunnel in ein anderes Land, in dem Logins nach wie vor erlaubt sind.
  3. Auf Social Media wirds für Kinder ungemütlich. Meta (Instagram, Facebook) und Bytedance (Tiktok) würde ein Verbot freuen. Warum? Kinder und Jugendliche sind keine attraktive Zielgruppe. Erstens, weil sie für die Werbekundschaft uninteressant sind und zweitens, weil es teuer ist, Schutzmechanismen zu bauen und Inhalte zu moderieren. Bei einem Zugangsverbot für junge Menschen würden sich die Konzerne diese Massnahmen einfach sparen. Und die Bedingungen für Kinder und Jugendliche, die sich dennoch reinsneaken, würden entsprechend schlechter. Hinzu kommt: Facebook & Co. werden für Werbetreibende attraktiver, weil sie dort garantiert ein erwachsenes Publikum erreichen.
  4. Verlagerung auf unregulierte Plattformen: Während gesetzliche Regulierungen oft nur die grossen Player treffen, bleiben Nischenplattformen oder alternative Angebote meist unbeobachtet und ungesichert. Zum Beispiel Chats in Online-Games, private Gruppen auf Discord oder Messenger-Dienste. Dort sind Kinder und Jugendliche möglicherweise stärker gefährdet und könnten schädlichen Inhalten oder Personen vermehrt ausgesetzt sein.
  5. Soziale Isolation: Ein Verbot könnte dazu führen, dass Jugendliche sozial isoliert werden. In Zeiten, in denen digitale Kommunikation ein integraler Bestandteil des sozialen Lebens ist, kann der Ausschluss negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben.
  6. Bildungschancen und Kreativität: Soziale Medien bieten Zugang zu Bildungsinhalten und ermöglichen es Jugendlichen, sich über aktuelle Themen zu informieren und an gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen. Plattformen wie Tiktok oder Instagram bieten Jugendlichen Räume, ihre Kreativität auszuleben und Fähigkeiten in Bereichen wie Fotografie, Videoproduktion oder Musik zu entwickeln.

Aufklärung, Begleitung und Medienkompetenz sind der Velohelm für Social Media

Die Alternative zu einem Verbot indes ist offensichtlich und da erzähle ich auch nichts Neues: Eltern und Lehrpersonen sind in der Pflicht, Kinder und Jugendliche bei der Nutzung ihrer Geräte zu begleiten und ihnen Chancen sowie Risiken aufzuzeigen. Natürlich braucht es Momente ohne Bildschirm, ohne soziale Medien, und dafür andere Aktivitäten – Sport, Bücher, Musik, was halt grad gefällt. Das Stichwort Medienkompetenz ist ein Evergreen, aber es beschreibt immer noch am besten, was nötig ist: Dass wir alle, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, einen bewussten Umgang mit digitalen Plattformen lernen.

Ja, zu viel Fast Food macht dick, und zu viele Energydrinks sind ungesund. Trotzdem verbieten wir sie nicht – weil ein Burger mit Pommes ab und zu doch ganz lecker ist. Genauso verhält es sich auf Social Media: Es gibt sie, die schönen und wichtigen Momente. Diese sollten niemandem weggenommen werden. Statt Verbote braucht es Aufklärung, Begleitung und Medienkompetenz. Das ist der Velohelm für Tiktok.

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2 Antworten

  1. Was bei den Diskussionen in Zusammenhang mit der Altersverifizierung via E-ID für mich immer vergessen geht: Wie wird das für Ausländer gelöst? Insbesondere für solche, die aus einem Land stammen, dass etwas vergleichbares oder gar kompatibles gar nicht hat?

    Wenn so etwas auf dem Weg eingeführt wird ohne „flankierende Massnahmen“, riecht das für mich doch stark nach Diskriminierung einer durchaus relevanten Bevölkerungsmenge.

    Ein flankierende Massnahme könnte eine Art E-ID-Funktionalität im Ausländerausweis ein. Oder ist das tatsächlich Teil der E-ID-Planungen? (wäre in dem Fall toll und mein Einwurf dann obsolet)

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