Der Zolldeal: Schweiz soll weiterhin digitale Kolonie der USA bleiben

Ich hatte kurz nach der Verkündung des Zolldeals (Senkung der Zölle von 39% auf 15%) zwischen den USA und der Schweiz auf LinkedIn den Hinweis zur Aufhebung der Digitalsteuer gemacht (was die offizielle Schweiz ja nicht verkündete am Freitagnachmittag).

Die Schweizer Medien haben am Wochenende diesen Punkt unter anderem auch nochmals in einer kritischen Würdigung aufgenommen am Wochenende.

Aus dem Factsheet:

Ich möchte hier kurz etwas ausführen, was die möglichen Implikationen sind (und was bisher nicht wirklich thematisiert worden ist).

Nochmals die beiden für mich wichtigsten Punkte:

  1. Die Schweiz hebt ihre Pläne für ein allfällig geplante Digitalsteuer auf.
  2. Die Schweiz findet die Datenflüsse in die USA trotz FISA Section 702, Executive Order 12333 und Cloud Act weiterhin ok und plant keine Änderung daran.

Nun muss man diese Punkte etwas genauer anschauen, um zu wissen, was dies für die Schweizer Digitalpolitik konkret bedeutet.

4a) Keine Digitalsteuer erheben und zwar forever

Ob die Schweiz jemals eine solche Steuer ernsthaft plante, ist unklar. Im Rahmen einer OECD-Besteuerung hätte man hier nachgezogen und wäre darauf eingegangen. Der ex-SVP-Bundesrat und ehemalige Finanzminister Ueli Maurer hatte ja „kei Luscht“ darauf. Man hätte die Schweiz wohl mehr dazu zwingen müssen.

Dennoch hat sich die Zollverwaltung noch im letzten Jahr Gedanken über eine Digitalbesteuerung bei kommerzieller Nutzung des Datenraums Schweiz gemacht. Denn die Nutzung der persönlichen Informationen von Schweizerinnen und Schweizern durch Google, Meta und Co. ist natürlich attraktiv für die Big-Tech-Industrie. Viele Werbegelder wandern entsprechend von den Schweizer Medien ab hin zu jenen Plattformen (die Zahl von 2 Milliarden pro Jahr kursiert hier).

Wie ernsthaft die Pläne einer Digitalsteuer waren, ist nicht bekannt. Insofern fällt der Schweiz das „Opfer“ wohl sehr leicht (anders als die EU, die die Pläne weiterverfolgt).

Das Ganze könnte aber problematisch werden, wenn die OECD das Anliegen ernsthaft umsetzen und die Schweiz nicht mitziehen wird (als OECD-Mitglied).

Schwieriger ist das zweite Zugeständnis.

4c) Ausarbeitung von Mechanismen zur Interoperabilität der Datenschutzgesetz (USA und Schweizer) mit Fokus auf freien Datenfluss

Im Grunde geht es hier um das US CH Privacy Data Framework, die Schweizer Kopie des europäischen Abkommens. In Kürze bedeutet dieses: Die US-Unternehmen zertifizieren sich selbst und bekräftigen gegenüber der US-Handelsbehörde, dass sie die Personendaten von Schweizerinnen angemessen schützen mit technischen und organisatorischen Massnahmen (was auch immer das heissen mag). Dann gibt es ein OK durch die Behörde und die Daten dürfen weiterhin in die USA zu Microsoft, Apple, X etc., fliessen. Note: dieses Abkommen bedeutet NICHT, dass die USA ein Land ist mit einem angemessenem Datenschutzniveau. Das hat auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte EDÖB ausdrücklich mir gegenüber gesagt.

Ob jetzt dieser Deal, der ja noch im Detail geschrieben werden muss, hier verbindlich festlegen wird, dass die Schweiz auf ewig dieses Framework anerkennen muss, ist unklar. Denn die Legitimität des Frameworks, das noch unter der Biden-Administration ausgehandelt worden ist, ist mehr als fraglich.

  • Das Aufsichtsgremium PCLOB, das den amerikanischen Geheimdiensten auf die Finger schauen muss, ist nicht mehr aktiv. Es sass offenbar seit Frühjahr 2025 noch eine Person drin, die nicht rausgeschmissen worden ist von Trump 2.0, bzw nun kamen zwei neue demokratische Mitglieder im Mai dazu, aber die Amtszeit der Vorsitzenden ist abgelaufen.
  • Die Installation dieses bi-partisanen Aufsichtsgremium (Demokraten und Republikaner) war eines der wichtigsten „Zusicherungen“ von Biden an die EU-Kommission 2023. Die Schweiz übernahm dieses 1:1. Ist dieses Gremium überhaupt noch funktionsfähig und aktiv? Dazu gibt es keine Aussage von Seiten der USA. Eine wichtige Säule ist damit schon mal weggebrochen.
  • Hängig ist das Verfahren von Philippe Latombe, einem französischen Abgeordneten. Er hat gegen die EU-Kommission geklagt, die diesen Deal eingegangen ist und will damit ein Schrems III/Latombe I-Urteil erzwingen. Vor der ersten Instanz hat er zwar noch verloren im September. Doch er wird das Urteil weiterziehen. Sollte hier das „Data Privacy Framework“ der EU mit den USA vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erneut gekippt werden, bin ich gespannt, ob die Schweiz wieder mitziehen wird. Oder ob der neue Deal dies verunmöglicht.

Auf mich wirkt das nicht nur wie eine Kampfansage der USA an die jetzt überall verlangte digitale Souveränität der Schweiz (die Strategie des Aussendepartments bzw der Postulatsbericht ist übrigens nach 3 Jahren bald immer noch nicht verabschiedet).

Die Vereinbarung liest sich als Versuch, die Schweiz weiterhin digital zu kolonialisieren. Es ist das anhand von Regierungsdekreten verabschiedete erklärte Ziel von Trump: das US Big Tech-Imperium soll in die IT-Infrastrukturen von europäischen Nationalstaaten rund um den Globus verankert und damit auch zementiert werden. Ein lesenswertes Essay der europäischen Digitalvordenkerin Francesa Bria ist dazu im Monde Diplomatique erschienen. Sie beschreiben wie ein US-amerikanischen militärisch-industriellen Komplex unter dem Banner „Patriotic Tech“. Die Privatisierung der digitalen Souveränität in Europa hat oberste Priorität im Weissen Haus hat. Mittels Technologien von Microsoft, Amazon, Palantir, Anduril und Nvidia etc..

Zwar steht im obigen Punkt nicht explizit drin, dass die Tech-Regulierungs-Pläne der Schweiz mal gleich begraben werden sollen, aber schon der Fokus auf Free Trade Data Flows (also Datenflüsse) ist das Fundament von vielen Souveränitätsplänen. Die Schweiz soll weiterhin steuerfrei als Datenraum den USA zur Verfügung stehen und amerikanische Software soll Daten von allen Schweizer Einwohner:innen bedenkenlos verarbeiten können, und diese sollen nach Belieben an die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden, die amerikanischen Geheimdienste NSA und der CIA rausgerückt werden.

Im Grunde genommen ist also das Factsheet/Joint Statement des Weissen Hauses ein Signal/ausgestellter Freifahrtschein der Schweiz an die amerikanischen Geheimdienste im Sinne von: „Es ist ok, was ihr macht. Ihr dürft das weiterhin und noch viel mehr. Wir werden hier weiterhin nicht stören.“

Und wer weiss: vielleicht wird sich Washington noch in die aktuelle Vernehmlassung zum KomPG/Plattformgesetz einschalten, das Hassrede, Desinformation bei Social Media-Plattformen eindämmen, diese zu mehr Pflichten wie Transparenz über Algorithmen zwingen und Nutzerrechte von Schweizer Einwohner:innen stärken soll.

Denn die US-Regierung ist bereits besessen vom EU-Modell (an das sich das Schweizer KomPG anlehnt), dem Digital Services Act. Trump und Co sieht den DSA als grosse Zensuraktion Europas und Angriff auf die Werte der USA, und will diesen mit allen Mitteln (sowie absurden Hearings im Kongress) bekämpfen (etwa mit konkreten Sanktionsdrohungen gegen die EU wie etwa Lieferstopp von KI-Chips an die EU). Der US-Präsident setzt seine Botschafter in der EU darauf an. Erklärtes Ziel ist es den Digital Services Act und den Digital Market Act abzuschaffen.

Zu weiteren Punkten der Digitalpolitik gibt es morgen mehr im Briefing zu lesen.

dnip.ch mit Deiner Spende unterstützen

Wir wollen, dass unsere Inhalte frei verfügbar sind, weil wir es wichtig finden, dass möglichst viele Menschen in unserem Land die politischen Dimensionen der Digitalisierung erkennen und verstehen können.

Damit das möglich ist, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Jeder Beitrag und sei er noch so klein, hilft uns, unsere Aufgabe wahrzunehmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge