Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.
Ab sofort strukturieren wir das Briefing und beginnen mit leicht verdaulichen und verständlichen Inhalten – und enden mit technologisch-komplexen Artikeln. Ziel ist es, dass sich unsere Leser:innen schneller zurechtfinden und besser einschätzen können, was sie erwartet.
Was hältst du davon? Schreibe es uns.
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ToggleImmer wieder Microsoft
Dass Microsoft den E-Mail-Account des Chefanklägers des Europäischen Strafgerichtshof sperrte, ist bekannt. Kommentiert hat das Reto unter anderem in seiner Kolumne vor ein paar Wochen. So langsam kommt bei Europäischen Regierungen und Politiker:innen an, was die Ausmasse dieser Sperrung sein könnten: „Wenn die US-Regierung gegen bestimmte Organisationen, Länder oder Einzelpersonen vorgeht, ist zu befürchten, dass amerikanische Unternehmen gezwungen sind, dem nachzukommen“, zitiert die New York Times (Paywall) einen EU-Diplomaten, der für Microsoft arbeitete. Mehrere Länder, darunter die Niederlande und Dänemark, hätten begonnen, sich nach Alternativen umzusehen.
Auch die Europäische Kommission will einem exklusiven Bericht von Euractiv zufolge Microsoft ablösen. Sie befinde sich in fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem französischen Provider OVHcloud. Damit soll eine grössere Kontrolle über ihre digitale Infrastruktur und ihre Daten sichergestellt werden, dass die europäischen Institutionen haben.
Und hierzulande? Ähnliches ist in der Schweiz nicht zu spüren. Das höchste der Gefühle ist, dass der Kanton Basel-Stadt ein Gutachten erstellen liess, welches die Beschaffung von Microsoft 365 untersuchte. Erstellt hat es der Zürcher Jurist David Rosenthal, der bislang in erster Linie durch Microsoft-freundliche Aussagen aufgefallen ist. Ausserdem wurde das Gutachten erstellt, bevor Donald Turmp sein Amt angetreten hatte. Seither habe sich die geopolitische Lage grundlegend verändert, die Risiken aus der Nutzung von M365 seien erheblich gestiegen, sagte die Baesl-Städtische Datenschutzbehörde.
(Düstere) Versprechen zu KI
Weil Elon Musks Sprachmodell Grok eher allgemeingültige Ansichten statt seine eigenen Überzeugungen wiedergab (zum Beispiel bei der Bewertung des Fachmagazins The Information), sagte Musk: „We will use Grok to rewrite the entire corpus of human knowledge“. In einem aktuellen Blogpost beschriebt Gary Marcus anschaulich, warum das gefährlich ist. Und er erwähnt ausserdem, dass Musk nicht der einzige Tech-CEO ist, der das Wissen der Menschheit kontrollieren will. Sprachmodelle könnten leicht zur potentesten Form der Gedankenkontrolle werden, die je erfunden wurde, schliesst Marcus seine düsteren Gedanken.
Thinking Machines Lab, schon mal gehört? Das ist ein Startup, gegründet von Mira Murati, ehemalige CTO von OpenAI. Noch gibt es kein vorzeigbares Produkt – das Unternehmen hat gerade Mal eine Website. Dennoch zieht allein der Name Murati so sehr, dass Investoren in einer Finanzierungsrunde 2 Milliarden Dollar zu einer Bewertung von 10 Milliarden Dollar in das Unternehmen gesteckt haben. Eigenen Angaben zufolge will das Unternehmen KI „verstehbarer, anpassbarer und generell fähiger“ machen. In einem Medienbericht hiess es, das Startup arbeite an AGI – Artificial General Intelligence, also eine KI, die mit menschlicher Intelligenz vergleichbar oder ihr überlegen sei.
Wenn Vibe Coding gut ist, ist mehr Vibe Coding … besser?
Der „rather stupid use of AI“-Beitrag der Woche dreht sich ums Thema Vibe Coding. Unter Vibe Coding verstehen Software-Entwickler das Entwickeln von Programmen durch Chats mit einer LLM-AI, möglichst ohne dabei selbst Code zu schreiben. Je nach persönlichem Standpunkt ist dies entweder die glorreiche Zukunft der Branche oder der Untergang des Abendlands …
Ein österreichischer Open-Source-Entwickler hat mit verschiedenen KIs experimentiert und deren Fähigkeit untersucht, XML- bzw. JSON-Strukturen zu generieren. XML und JSON sind strukturierte Text-Files, mit welchen sich Daten zwischen Programmen oder auch übers Internet austauschen lassen. Bei beiden Methoden gilt, dass die lesende Seite typischerweise das Lesen abbricht, falls die Formatierung im Textfile falsch ist (das wäre etwa wie wenn man mit dem Lesen eines Buches aufhören würde, sobald ein Komma fehlt).
Der Entwickler stand nun vor dem Problem, dass die KI-Modelle insbesondere bei XML oft formatmässig ungültige Text-Files erzeugte. Und da bereits ein kleiner Fehler ausreicht, um das Lesen zu verhindern, konnte er so die relative Korrektheit der erzeugten Daten nicht automatisiert prüfen (im übertragenen Sinn also den Text trotz fehlendem Komma fertig lesen, um ihn in seiner Gesamtheit zu verstehen). Daher lies er die KI Claude mittels Vibe Coding einen fehlertoleranten XML-Leser entwickeln, welcher über Format-Fehler grosszügig hinwegsieht.
Mit anderen Worten: Um den fehlerhaften Output einer KI verarbeiten zu können, wurde mittels KI eine angepasste Leseroutine entwickelt. Man kann sich fragen, ob es nicht einfacher gewesen wäre, gleich auf den ersten Schritt zu verzichten …
Und schliesslich:
- Die kleinen und nicht ganz so kleinen Schritte, mit welchen sich Behörden in Europa aus der digitalen Abhängigkeit von US-Anbietern lösen, entwickeln sich langsam zu einem Dauerthema im Briefing. Letzte Woche schien Schottland an der Reihe, bei einem genaueren Blick fehlte dem angekündigten WhatsApp-Ausstieg aber sowohl die digitalpolitische Motivation als auch der Wechsel zu einem Nicht-US-Produkt. Ausgelöst wurde der Wechsel durch die fehlende Archivierung von Chat-Messages in WhatsApp, was durch Untersuchungen über den Umgang mit Covid bekannt wurde. Folgerichtig wird auf eine Lösung gewechselt, welche diese Archivierung sicherstellt: Microsoft Teams. Damit ist dann zwar den rechtlichen Anforderungen Genüge getan, ein Fortschritt in Sachen digitale Souveränität wird aber nicht erreicht.
TwitterX hat einen neuen Anlauf mit verschlüsselten DMs unternommen (eine Funktionalität, welche Musk schon bei der Übernahme angekündigt hatte und deren erste Version keine Sicherheit garantieren konnte). Auch die jetzt ausgerollte zweite Version kann nicht wirklich als sicher angesehen werden, detaillierte technische Analysen dazu finden sich hier und hier. Oder wie es eine der Analysen einleitend zusammenfasst: „tl;dr – no. Use Signal. Twitter can probably obtain your private keys, and admit that they can MITM you and have full access to your metadata.“ (tl;dr – nein. Signal verwenden. Twitter kann wahrscheinlich deine privaten Schlüssel ermitteln und hat zugeben, dass sie MITM spielen und vollen Zugriff auf deine Metadaten haben).