Vogt am Freitag: Verharmlost in Translation

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage verharmlost der Bundesrat die VÜPF-Revision und verstrickt sich in Widersprüche, schreibt Kolumnist Reto Vogt.

Die Revision der «Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (VÜPF) wurde in der Vernehmlassung regelrecht zerrissen. Allein deshalb sollte der Bundesrat den Gesetzestext mindestens nochmal überdenken und sie auch dringend überarbeiten.

Allerdings scheint sich die Regierung um die Kritik an der Verordnung zu foutieren. Mitte-Nationalrat Dominik Blunschy wollte in der parlamentarischen Fragestunde vom Bundesrat wissen, wie dieser dazu stehe, dass «Schweizer Unternehmen, welche sichere elektronische Korrespondenz anbieten, wegen der geplanten VÜPF-Revision ihre Dienstleistungen einstellen oder ins Ausland verlagern müssen?»

Die Antwort aus dem Justizdepartement von SP-Bundesrat Beat Jans zeigt, dass er an der geplanten Revision festhält und den Überwachungsstaat will, wie ich Mitte Mai in der WoZ geschrieben hatte. Man wolle, dass die Schweiz attraktiv bleibe und man werde dieses Ziel auch bei dieser Verordnungsrevision berücksichtigen, schreibt der Bundesrat – man kann sich den rosafarbenen Glitzerstift regelrecht vorstellen, mit dem der Text für die Öffentlichkeit geschminkt wurde.

Bundesrat malt sich die Welt schön

Wie die Schweiz trotz neuem VÜPF attraktiv bleibt, legt sich der Bundesrat so zurecht: Die Revision führe keine neuen Pflichten ein, behauptet er, um dann ein paar Sätze weiter zu schreiben: «Die betroffenen Anbieterinnen werden technische Anpassungen vornehmen und entsprechende Investitionen tätigen müssen.» Die VÜPF schaffe die entsprechenden «Ausführungsbestimmungen» (Warum es diese braucht, wenn die Revision keine neuen Pflichten schafft, weiss nur der Bundesrat.)

Darüber hinaus greifen die Autorinnen und Autoren der bundesrätlichen Antwort metertief in die rhetorische Trickkiste. Ein paar Beispiele:

Falschaussagen: Der Bundesrat schreibt, dass die Gesetzesrevision von 2018 «aus praktischen Gründen» bis heute nicht umgesetzt worden sei. Das ist falsch: Der Provider Init7 wehrte sich noch im gleichen Jahr gegen ein im Gesetz verankertes Tarifmodell.

Verharmlosung: Im Text heisst es «nur wenige Unternehmen betroffen», «nur zusätzliche Transportverschlüsselung» oder «Anwendung nur bei richterlicher Genehmigung». Damit will die Regierung die strenge Revision kleinreden.

Schönsprech: Statt von «technischen Anpassungen vornehmen» müsste der Bundesrat korrekterweise «Überwachungsinfrastruktur aufbauen» schreiben. Und dass Messenger künftig von «Kriminellen nicht mehr missbraucht werden können», ist keineswegs sicher.

Ablenkungsmanöver: «Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird nicht verboten», heisst es im letzten Abschnitt der Antwort. Das hat mit der Sache gar nichts zu tun. Und dass es hierzulande im Gegensatz zu anderen Ländern keine entsprechenden Pläne gibt, nennt man Whataboutism. (Auch wenn Staatsanwälte in NZZ-Interviews laut davon träumen.)

Angst und Autorität: «Schwere Verbrechen» und «Missbrauch durch Kriminelle» sollen Ängste schüren und Überwachung rechtfertigen. «Der Bundesrat kann Ihnen versichern» fordert blindes Vertrauen ohne Belege.

Notfalls mit neuem Gesetz Verordnung beschneiden

Nationalrat Dominik Blunschy sind die Widersprüche auch aufgefallen, wie er mir auf Anfrage schreibt. Die Verordnung gehe «viel weiter als es das Gesetz vorgegeben hätte». Das sei sicher nicht der Wille des Parlaments gewesen und «entsprechend regt sich nun auch grosser Widerstand». Weil es aber eine Verordnung ist, kann das Parlament nicht mehr viel ausrichten. «Wir werden aber weiter Druck ausüben auf den Bundesrat mit Briefen und Vorstössen», schreibt Blunschy. Würde dies nicht die erhoffte Wirkung erzielen, werde er «einen Vorstoss einreichen, welcher eine Gesetzesanpassung fordert und damit den Handlungsspielraum der Verordnung einschränkt.»

Solange der Bundesrat die VÜPF-Realität weiter in Schönsprech übersetzt, wird der Widerstand gegen die Überwachungsverordnung nur wachsen. Anders als im Kino endet diese «Translation» aber nicht romantisch, sondern mit weniger Privatsphäre für alle.

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2 Antworten

    1. Für mich ist diese Vorstellung auch schwierig, aber auch linke Politiker machen dumme Sachen. Und: Selbst wenn Jans nicht dahintersteckt, hätte er die Macht, es zu verhindern.

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