Vogt am Freitag: Auszeit

Kolumnist Reto Vogt meldet sich aus seinen Ferien – einer gänzlich KI-freien Zeit. Das hatte sein Gutes und wird bleiben.

Mein Blick schweift über den Golf von Patras. Nach zwei Wochen Griechenland neigt sich die Zeit auf dem Peloponnes dem Ende zu. Während ich auf dem Balkon unserer Ferienwohnung sitze, denke ich zurück an gutes Essen, viel Sonne, Karten spielen, Bücher lesen, am Meer spazieren… Aber auch an etwas, das überhaupt keine Rolle spielte: Künstliche Intelligenz. Keine Prompts, keine Assistenzsysteme, keine Chatbots. Geht das heutzutage überhaupt noch?

Cognitive offloading

Ja, erstaunlich gut. Es war ein bisschen wie früher, als das Handy in den Ferien wegen der damals hohen Roamingkosten noch ausgeschaltet blieb. Während Künstliche Intelligenz aus meinem Arbeitsalltag kaum mehr wegzudenken ist, hat der zweiwöchige Detox davon gutgetan. Und in mir ist die Überzeugung gereift, dass ich künftig, auch wenn grad nicht Urlaub ist, KI-freie Zeiten einrichten will und bei bestimmten Aufgaben bewusst darauf verzichten will.

So praktisch KI auch ist, sie macht Menschen denkfaul. Forscherinnen und Forscher sprechen von «Cognitive offloading». Ich habe bei mir auch schon festgestellt, dass ich aus reiner Bequemlichkeit zuerst ChatGPT gefragt habe, bevor ich mir meine eigenen Gedanken zu etwas machte – etwa beim Schreiben von lästigen E-Mails. Das spart zwar Zeit, ist aber gleich aus mehreren Gründen falsch. Wer das Denken an eine KI auslagert …

  1. … wird gelenkt. Von den Trainingsdaten, deren Bias und der allfälligen Inhaltssteuerung des KI-Anbieters.
  2. … verlernt langfristig, sich eigene Gedanken zu einem Thema zu machen. Oder zumindest die Methodik, selbst nach verlässlichen Informationen zu suchen.
  3. … beschränkt die eigene Kreativität, da Sprachmodelle nichts Neues erschaffen, sondern nur Bestehendes neu zusammensetzen.
  4. … begibt sich in eine ungesunde Abhängigkeit zu Technologieanbietern, weil man ohne plötzlich gar nichts mehr produzieren kann.
  5. … setzt die eigene Urteilsfähigkeit aufs Spiel, weil man keine Argumente mehr abwägen und entscheiden kann.

Mehr Griechenland wagen

Deshalb habe ich für mich entschieden, auch nach dem Rückflug regelmässig mehr Griechenland zu wagen. Auch wenn ich dann nicht mehr aufs Meer blicken kann, will ich mir Zeiten und Aufgaben ohne Algorithmen, ohne Automatisierung und ohne KI gönnen.

KI-freie Zonen werden für unsere Gesellschaft, davon bin ich überzeugt, wichtiger. Generative Sprachmodelle kennen keine Empathie, übernehmen keine Verantwortung und verdienen aus diesen Gründen auch kein Vertrauen. Hinzu kommt der gigantische ökologische Fussabdruck, den jeder Prompt hinterlässt. Was ohne KI entstanden ist – Produkte, Informationen, Ideen, Entscheidungen und vieles mehr – wird künftig einen eigenen Wert haben. Und vielleicht ist das irgendwann ein eigenes Qualitätsmerkmal.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich will KI nicht schlechtreden. Richtig eingesetzt, ist sie eine enorme Hilfe. Aber zum vernünftigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz gehört auch, sie mal in die Ferien zu schicken. Meine sind jetzt leider zu Ende.

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