DNIP Briefing #16: das Netz ist politisch

Graffiti mit dem Wort "Demokratie" an der Wand.
Illustration erstellt mit Midjourney.

Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.

Manchmal geschieht es einfach. Man hält sich für eine halbwegs objektive Beobachterin, für jemanden, der Entwicklungen beschreibt, analysiert, einordnet. Und dann merkt man, dass das eigene Thema sich still und heimlich verändert hat. Dass es sich unter den Fingern weitet, grösser wird, existenzieller. So wie bei Mike Masnick von Techdirt. Jahrzehntelang hat er über Technik, Netzpolitik und Innovation geschrieben – nun ist Techdirt ein «Demokratie-Blog». Weil sich die Realität aufgedrängt hat. Jede Debatte über Regulierung, Plattformen und künstliche Intelligenzen läuft unweigerlich auf eine Frage hinaus: Wie lange hält die Demokratie noch durch?

Dazu passt das Gespräch des New York Magazins mit Steven Levitsky, Politikwissenschaftler in Havard und Mitautor des Buches How Democracies Die. Darin beschreibt Steven Levitsky, was passiert, wenn Demokratien von innen ausgehöhlt werden. Er sieht die USA auf dem Weg zur «kompetitiven Autokratie», einem System, in dem Wahlen zwar stattfinden, aber nur noch als Fassade dienen. Dass es so weit kommt, hat nichts mit plötzlichen Umstürzen zu tun, sondern mit langsamen, systematischen Verschiebungen. Die Regeln werden umgeschrieben, Kritiker eingeschüchtert, Gerichte besetzt – bis Wahlen zwar noch existieren, aber keinen echten Machtwechsel mehr ermöglichen.

Die Verschiebungen sind politisch – und auch technologisch. Becca Lewis die sich seit Jahren mit dem politischen Ökosystem des Silicon Valley beschäftigt, beschreibt eine Entwicklung, die ebenso schleichend wie radikal ist: Die Entstehung eines technokratischen Autoritarismus, getragen von einer neuen rechten Elite, die Plattformen nicht nur nutzt, sondern aktiv formt. Ihre Analyse im Guardian, die wir hier nochmal empfehlen, zeigt, dass es nicht nur um den Einfluss einzelner Milliardäre geht, sondern um eine Ideologie, die längst tief in den Strukturen des digitalen Kapitalismus steckt, eine Ideologie, die Demokratie als Störfaktor begreift und stattdessen auf Steuerung, Kontrolle und Optimierung setzt.

Und all das trifft die USA genauso wie Europa, sind in Gesetzesnovellen, Gerichtsentscheidungen und neuen Überwachungsmassnahmen zu finden. Ein allgegenwärtiges Hintergrundrauschen, das man leicht überhört – bis es dann doch zu laut wird, um es zu ignorieren.

Und so geht es in diesem Briefing nicht nur um Netzpolitik, Überwachung oder künstliche Intelligenz. Es geht um Demokratie: das Netz ist politisch.

  • Die New York Times berichtet über den grössten Krypto-Diebstahl der Geschichte: Bybit verlor 1,5 Milliarden USD an nordkoreanische Hacker. Der Angriff erfolgte über eine Schwachstelle in einem kostenlosen digitalen Speicherdienst.
  • Für einen kurzen Moment sah es so aus, als ob die Geschichte der Killer-Zahnbürsten nun doch Realität geworden ist: Auf allen einschlägigen Tech-Portalen machte am Wochenende die Geschichte einer Backdoor im ESP32-Microchip die Runde. Spanische Forscher hatten diese an einer Konferenz in Madrid vorgestellt. Dieser Chip ist weltweit milliardenfach in IoT-Geräte verbaut, eine von aussen angreifbare Lücke wäre definitiv gefährlich. Bereits einen Tag später wurde aber klar, dass die Lücke nicht ganz so dramatisch ist und dass man vor allem nicht von einer eigentlichen Backdoor reden kann: Gefunden haben die Forscher eine bisher nicht dokumentierte Möglichkeit, wie auf einem ESP32 laufende Programme zum Beispiel Memory-Inhalte anderer Programme auslesen und manipulieren können. Das birgt an sich zwar auch einiges Gefahrenpotential, aber zu dessen Nutzung muss man zuerst einmal eigenen Code laden können. Und dann ist der Schaden so oder so schon da, die neu gefundene Möglichkeit macht es allenfalls ein bisschen leichter.
  • Vielleicht erinnert sich der eine oder die anderen daran: Apple hatte letztes Jahr eine grosse Aufholjagd bezüglich Artifical Intelligence versprochen. Teil der Ankündigungen war auch eine überarbeitete Version von Siri, welche unter anderem Informationen aus allen Apps auf einem iPhone hätte verknüpfen sollen, um so dem Benutzer Arbeit abzunehmen. Letzte Woche musste Apple einräumen, dass die Entwicklung dieses Features länger dauert als erwartet, es wird daher nicht mehr als Teil eines iOS 18.x-Upgrades (iOS 18 ist die aktuelle Version des iPhone-Betriebssystems) ausgeliefert werden. Eine konkrete Erklärung hat Apple nicht gegeben. Simon Willison vermutet, dass Apple den Aufwand unterschätzt hat, den es braucht, um ein solches Modell gegenüber Prompt Injection-Attacken abzusichern. Und die Frage, ob diese Absicherung überhaupt so gut möglich ist, dass man entsprechende Produkte an Millionen von Benutzer ausrollen kann

Und schliesslich:

  • Die Nummern hinten auf den Büchern, die ISBNs, haben System. Wer sie mal visuell explorieren will, gemeinsam mit anderen Daten, findet hier eine Darstellung auf Basis eines Buchregals.
  • Wer TikTok- (und Instagram-)mässiges Scrollen mit Wissensgewinn kombinieren will, sollte mal bei WikiTok vorbeischauen: Scrollen durch schön gestaltete Aufmacher von zufälligen Wikipedia-Artikeln und sie direkt anschauen oder für später vormerken. In allen Wikipedia-Sprachen. Wissensvermittlung kann auch schön und einladend sein.
  • Wir können gar nicht oft genug wiederholen, wie gefährlich Trackingdaten sein können. Ganz besonders offensichtlich wird es bei Frauenhäusern. Aber fleissige DNIP-Leser:innen wissen das ja. Und kennen auch einige Gegenmassnahmen.

dnip.ch mit Deiner Spende unterstützen

Wir wollen, dass unsere Inhalte frei verfügbar sind, weil wir es wichtig finden, dass möglichst viele Menschen in unserem Land die politischen Dimensionen der Digitalisierung erkennen und verstehen können.

Damit das möglich ist, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Jeder Beitrag und sei er noch so klein, hilft uns, unsere Aufgabe wahrzunehmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge