Vogt am Freitag: Weghören

Die schlechten Nachrichten werden nicht weniger, sondern mehr. Genau dasselbe gilt für die Künstliche Intelligenz. Was tun? Kolumnist Reto Vogt hat einen Vorschlag.

Der Höhepunkt dieser Woche – natürlich im negativen Sinne – war für mich das Video, in dem Donald Trump seine Zukunftsvision von Gaza skizzierte. Es ist nicht nötig, an dieser Stelle den total irren Inhalt wiederzugeben. Es spielt auch gar keine Rolle. Denn: Die nächste Provokation kommt ohnehin. Während wir noch darüber debattieren, was ernst gemeint, was Kalkül und was pure Provokation ist, kommt bereits der nächste Tweet oder das nächste Posting auf Truth Social. 

Chaos mit System

Trumps Ex-Berater Steve Bannon nannte die Methode «Flood the Zone» (Videoausschnitt John Oliver), um die Medien zu überfordern. Diese könnten sich nur auf ein Thema gleichzeitig konzentrieren und würden sich, sinngemäss übersetzt, in der Nachrichtenflut verlieren. Der Wahnsinn hat also Methode und die Trump-Administration will damit vom Wesentlichen ablenken, um die für sie wirklich wichtigen politischen Änderungen quasi unbehelligt durchzubringen. Und als netter Nebeneffekt bleibt kein einzelner Skandal lange im Fokus und kritische Berichterstattung geht unter.

Leider funktioniert das erschreckend gut. Beispielhaft dafür ist die Berichterstattung von Watson zum eingangs genannten Gaza-Video. Der Artikel enthält nur den Clip an sich und eine kurze Beschreibung des Inhalts. Journalistische Distanz? Einordnung? Kontext und Analyse? Fehlanzeige. Damit macht sich diese Redaktion – und viele weitere, die ähnlich berichten – bewusst oder unbewusst zum Teil des Flood-the-Zone-Mechanismus. Statt zu hinterfragen, ob das Thema wirklich relevant ist oder nur der nächsten Ablenkung dient, wird der Inhalt einfach weiterverbreitet – wie von Trump vorgesehen. (Ich weiss, dass Klicks eine wichtige Währung sind. Aber Verantwortung ist es auch.)

Perfekter Verstärker

Auf Social Media ist Trumps Methode noch viel wirkungsvoller. Hier entscheidet keine Redaktion, ob ein Thema berichtenswert ist. Algorithmen übernehmen diese Rolle und belohnen, was polarisiert, empört und emotionalisiert. So lässt sich quasi in Echtzeit beobachten, wie sich Skandale aufblasen und künstlich (!) verstärken. Künstlich deshalb, weil virale Themen eine Scheinrelevanz erreichen, die – und hier schliesst sich der Kreis – von den klassischen Medien in der Berichterstattung berücksichtigt werden. So erhält das Gaza-Video eine Legitimität, die es nie hatte.

Das Tempo dieser Nachrichten nimmt auf allen Kanälen zu. Beim Aufstehen habe ich über 20 Pushnachrichten verschiedener Medien auf dem Handydisplay und alle stehen im Wettbewerb um meine Aufmerksamkeit. Und als wäre das nicht genug, beschleunigt Künstliche Intelligenz diesen Prozess weiter. KI kann Nachrichten schreiben, manipulieren und in kürzester Zeit Trends generieren. Doch statt Klarheit zu schaffen, sorgt sie oft für noch mehr Reizüberflutung.

Steuer und Verantwortung übernehmen

Was also tun? Ich sehe zwei Perspektiven:

Aus Sicht der Medien: Es ist nicht Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, über jede Äusserung von Elon Musk und jede Provokation Donald Trumps zu berichten. Es ist vielmehr ihre Pflicht zu entscheiden, welche Themen wirklich relevant sind. Oder alternativ dazu: Die Äusserungen (oder geposteten Videos) der Politikerinnen und Politiker einzuordnen, zu analysieren und zu hinterfragen. Medien haben in meinen Augen nicht nur eine Verantwortung gegenüber der Wahrheit, sondern auch gegenüber der Informationsflut, die sie mitsteuern.

Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten: Pushnachrichten deaktivieren und alle Medien meiden? Ich glaube, das wäre der falsche Weg. (Gute) Nachrichten sind wichtig. Aber wir müssen lernen, wo echte Information zu finden ist, wo es nur um Aufmerksamkeit geht – und wie wir unsere eigene Aufmerksamkeit steuern, statt sie steuern zu lassen. Für mich bedeutet das, öfter bewusst offline zu sein. Ein Buch zu lesen, das nicht nach drei Sekunden eine neue Schlagzeile liefert. Ein Gespräch zu führen, ohne aufs Handy zu schielen. Ich gebe zu, dass mir dies manchmal noch Mühe macht. Aber ich bin überzeugt davon, dass es der richtige Weg ist, um sich ob all der Verrücktheit ringsum nicht verrückt machen zu lassen.

Die Welt wird immer lauter. Wir müssen lernen, wann es besser ist, einfach mal nicht hinzuhören – sowohl als Journalistin als auch als Konsument.

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