Grünen-Nationalrätin Meret Schneider hat eine Meinung geäussert – und wurde daraufhin mit einer Diffamierungswelle überzogen. Ihr Fall zeigt exemplarisch, worum es in der Debatte um die Meinungsfreiheit wirklich geht, findet Kolumnist Reto Vogt.
In der Sonntagszeitung vom vergangenen Wochenende sagte die Grüne Nationalrätin Meret Schneider: Es brauche für Plattformen wie X, Facebook oder Tiktok dringend Regeln und in letzter Konsequenz müssten diese auch gesperrt werden können. Dies, weil sie eine Gefahr für die Demokratie seien.
Diesen Aussagen kann man zustimmen, sie diskutieren, kritisieren – aber auch argumentativ auseinandernehmen. Aus einer neutralen, objektiven Warte handelt es sich dabei einfach um eine Meinung zum Thema, wie die Debattenkultur auf Social Media funktionieren soll.
Inhalte
ToggleMeinungsfreiheit ist nur ein Euphemismus
Doch bevor ich vertieft auf das Thema eingehe, ist eine kurze Rückblende nötig: Zuerst auf X, später auf Facebook und Instagram wurden die Spielregeln gelockert, was gesagt werden darf. Die Eigner, Elon Musk und Mark Zuckerberg, besangen diesen Schritt mit einem Hohelied auf die «Meinungsfreiheit», die zu lange beschränkt gewesen sei.
Der Fall Meret Schneider zeigt nun aber, worum es Musk, Zuckerberg und den Befürwortern von «Meinungsfreiheit» wirklich geht: Nicht um einen offenen Diskurs, nicht um den Wettbewerb der besten Argumente – sondern einzig und allein darum, Menschen beschimpfen, beleidigen, diffamieren und fertigmachen zu dürfen. Das Wort «Meinungsfreiheit» ist ein Euphemismus für grenzenlose Hetze.
Elon und Mark wollen sie auch (aber nur, wenn sie ihnen passt)
Denn die Äusserungen Schneiders in der Sonntagszeitung lösten einen massiven Shitstorm aus. Kaum waren ihre Zitate öffentlich, folgte eine orchestrierte Empörungswelle – angeheizt von politischen Gegnern wie Roger Köppel (zum Dank (!) durfte er im Tages-Anzeiger einen Gastkommentar publizieren), deren Anhänger sich mit Beleidigungen, Drohungen und Falschdarstellungen auf Schneider stürzten. Ausgerechnet jene, die sich sonst als Verteidiger der Meinungsfreiheit inszenieren, konnten die Meinung von Meret Schneider nicht akzeptieren oder mit ihr in eine legitime Debatte einsteigen, sondern griffen sie auf der persönlichsten Ebene an, diffamierten und diskreditierten sie.
Ironischerweise zeigt sich genau in der Debatte um die Meinungsfreiheit des Pudels Kern: Sie wird als Vorwand genutzt, um andere mundtot zu machen. Wer sich gegen diese entfesselte Kultur der Anfeindung stellt, wird selbst zur Zielscheibe. Und genau das ist das perfide Spiel: Die lautesten Stimmen auf X oder Facebook beanspruchen das Recht, ungehindert auszuteilen – doch sobald sie selbst kritisiert werden oder jemand nur anderer Meinung ist, schreien sie auf. Exemplarisch dafür: Elon Musk beklagte in einem Tweet zunächst die Zensur Hitlers, um einen Atemzug später Gefängnis für kritische Journalistinnen und Journalisten zu fordern. Keinen Deut besser ist Mark Zuckerberg, der in der Vergangenheit auf Facebook journalistische Inhalte zensurierte, die sein Unternehmen kritisierten.
Wut-Ökonomie der Plattformen
Diese Plattformen haben sich in Orte verwandelt, in denen nicht mehr Argumente zählen, sondern Lautstärke und die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. Schuld daran ist auch die Wut-Ökonomie dieser Netzwerke: Ihre Algorithmen belohnen jene, die am lautesten und aggressivsten sind. Wer dort dagegenhält, muss damit rechnen, dass er oder sie nicht auf eine Debatte trifft, sondern auf eine Empörungsmaschinerie, die keine anderen Meinungen duldet.
Solange X, Facebook oder Instagram toxisches Verhalten nicht eindämmen, wird sich nichts ändern. Es braucht, wie Meret Schneider richtigerweise fordert, klare Regeln. Denn solange das nicht geschieht, bleibt nur eines: Jede und jeder Einzelne kann entscheiden, ob er oder sie dieses System weiter befeuert oder ihm die Aufmerksamkeit entzieht. Denn die lautesten Stimmen im Netz haben nur so lange Macht, wie wir ihnen zuhören.
Nicht jede Empörung verdient Aufmerksamkeit
Das gilt insbesondere auch für Zeitungsredaktionen: Nicht jede absurde Aussage auf X muss zitiert, nicht jede künstlich aufgebauschte Empörung weiterverbreitet werden. Wer die «Meinungsfreiheit» nur dazu nutzt, um andere niederzubrüllen, muss nicht auch noch mit einer Plattform in traditionellen Medien belohnt werden. Journalismus darf sich nicht (mehr) von der Logik des lautesten Gebrülls treiben lassen – sondern muss genau überlegen, welche Debatten wirklich relevant sind. Sonst werden Social-Media-Plattformen wirklich zur Gefahr für die Demokratie.
Von der Politik ist derweil wenig Unterstützung zu erwarten. Der «Bundesrat verzögert die Regulierung für Social Media weiter», wie die NGO Algorithmwatch in einer aktuellen Pressemitteilung anmerkte. Die Regierung tue das seit Jahren, schreibt Schneiders Parteikollege Balthasar Glättli auf Linkedin. Vor dem Start der Ende 2024 geplanten Vernehmlassung sei die Vorlage nochmals in eine Ehrenrunde geschickt worden.
2 Antworten
Solange sich die Staatsanwaltschaften (als Ankläger und Richter in Personalunion!) die Deutungshoheit über Grundgesetze rsp. Verfassung anmassen, bin ich gegen jegliche Zensur. Und bei rein ausländischen Unternehmen/Servern ist die Rechtsdurchsetzung sowieso nicht gegeben…
Es geht nicht um Zensur, sondern um die Ermöglichung eines menschenwürdigen Diskurses. Dass die Rechtsdurchsetzung nicht oder nur marginal gegeben ist, stimmt. Deswegen sollten wir aber nicht gleich alle Barrieren hochziehen und alle aufeinander loshetzen. Das ist ungesund.