Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt haben.
Seekabeln kommt eine Schlüsselrolle in der internationalen und -kontinentalen Kommunikation zu. Doch sie sind auch verwundbar, wie der jüngste Bruch von zwei sich in der Ostsee kreuzenden Kabeln zeigt. Noch weiss niemand, was wirklich geschah, aber kurz vor dem Bruch verlangsamte ein aus Russland kommendes chinesisches Schiff an der Kreuzungsstelle der Kabel. (Die Reparatur soll heute anlaufen und noch diese Woche zu Ende sein, schreibt der Betreiber.) Eines der Kabel war die Hauptverbindung von Finnland zu Zentraleuropa. Ebenfalls in Finnland ist ein grosses Rechenzentrum des deutschen Internet-Hosters Hetzner, in dem Abertausende von Kunden ihre Webseiten und andere Daten hosten. Die Geschwindigkeit (insbesondere die Latenz) stieg durch den Defekt und plötzlich wollten alle Hetzner-Kunden mit zentraleuropäischen Usern nach Deutschland umziehen, welches natürlich nicht auf den Ansturm vorbereitet war. Dies darf auch als Anzeichen gewertet werden, dass bei einem echten Ausfall eines Cloud-Provider-Standorts der Wechsel an andere Standorte nicht so einfach sein dürfte, wie einige erwarten.
«Telco-Infrastruktur» spielte ebenso hierzulande eine Rolle: Denn nicht nur in der Lenk wachsen Satellitenschüsseln fast wie Pilze aus dem Boden. Auch auf der russischen Botschaft in Genf, nahe der UNO, wurden in den letzten Jahren einige grosse Schüsseln gebaut, ohne die für die Grösse notwendige Baubewilligung. Mutmasslicher Zweck: Das Abhören von Satellitenkommunikation. Interessantes Detail: Scheinbar gibt es noch jede Menge internationaler Organisationen, die via Satellit unverschlüsselt(!) interessante Informationen austauschen.
Schweiz hat keine Privacy-Tradition
Interessantes steht (manchmal) auch in Gerichtsakten sind äusserst lesenswert. In den USA werden Dokumente aus Gerichtsverfahren über Plattformen wie Court Listener und Pacer, kurz für Public Access To Court Electronic Records, veröffentlicht. John Scott-Railton, IT-Sicherheitsforscher am Citizen Lab in Toronto, macht es vor und recherchiert zum Fall WhatsApp gegen die NSO Group. Aus den Akten geht hervor, dass WhatsApp der Firma vorwirft, trotz laufender Klage die Exploit-Methode «Erised» eingesetzt zu haben, um Spyware zu implantieren. In einer Fussnote wird enthüllt, dass der CEO der NSO Group zugab, Spyware gegen Dubais Prinzessin Haya eingesetzt zu haben; Dubais Herrscher habe seine Ex-Frau gehackt. Auch deutet eine Eingabe von WhatsApp darauf hin, dass das Hacking vor allem durch die NSO Group selbst erfolgte – und nicht nur durch deren Kunden.
Dass die Schweiz in puncto Privacy und Datenschutz gar keine so starke Tradition hat, wie oft behauptet wird, stellte Hackerin maia arson crimew in ihrem Text über die Straflosigkeit bei Datenschutz und Datensicherheitsverbrechen in diesem Land fest. Diese Tradition galt vielleicht für das Bankkundengeheimnis, aber sicher NICHT für die digitale Schweiz. Denn hierzulande sorgen Überwachungsgesetze für weitreichende Befugnisse der Behörden und die fehlenden Konsequenzen bei fehlender IT-Security für Verantwortungslosigkeit.
Medienkompetenz, wo bist du?
Wichtig ist ohnehin, Berichte über Incidents richtig lesen zu können: Der Security-Consultant Alwin Peppels hatte herausgefunden, wie man niederländische Ampeln per Funk auf grün schalten kann. Soweit sind die Schlagzeilen von verschiedenen Fachmedien wie Heise korrekt. Doch Cybersecurity-Expertin Sarah Fluchs merkte in ihrem Linkedin-Posting an, dass nicht allein wegen dieser Schwachstelle das Funksystem KAR ausgetauscht werden müsse (wie es in allerlei Schlagzeilen impliziert wird). Die Schwäche des Systems ist schon lange bekannt. Der Nachfolger Talking Traffic nutzt mobile Internetverbindungen statt analoge Funksignale. Und dieses System werde seit 2016 systematisch ausgerollt.
A propos Medienkompetenz: Statt unabhängigen Journalismus zu fördern (oder ihn stärker zu fördern), will sich der Bundesrat für die Regulierung von Internetgiganten oder künstlicher Intelligenz einsetzen, wie Medienminister Albert Rösti sagte. Doch praktisch zeitgleich mit dieser Aussage schob der Bundesrat die Publikation der beiden Positionspapiere, erstens zur Plattformregulierung und zweitens zu künstlicher Intelligenz (NZZ, Paywall) mindestens ins 2025 hinaus. Reto verglich deshalb die Medienförderung mit Rennpferden. Warum, das lässt sich beim Medienmagazin Persönlich nachlesen.
Und schliesslich:
- Das DOJ hat im Verfahren um das Werbe-Monopol von Google seine Vorschläge (PDF) für ein Aufbrechen desselben vorgelegt. Im Vordergrund steht dabei die Entkopplung (defacto ein Verkauf) von Chrome, darüber hinaus werden Einschränkungen für Android vorgeschlagen. Ein Urteil wird nicht vor nächstem Sommer erwartet.
- Bluesky hat im Nachgang zu den US-Wahlen und der Rolle von Musk/X massiv an Usern zugelegt. Die aktuell rund 22.5 Mio User wirken im Vergleich zu X und Threads zwar immer noch überschaubar, diese sind aber deutlich aktiver als zum Beispiel die User von Threads. Meta scheint seine grosse User-Basis also schlecht in aktive Nutzung umwandeln zu können.
- Der etwas andere Digitaltrend: Zurück zu physischen Knöpfen! Nicht, weil Touchscreens nicht extrem flexibel sind, sondern weil physische Knöpfe auch nutzbar sind, während die Augen auf etwas anderes fixiert sind und sie manchmal auch feiner eingestellt werden können. Oder wenn gerade Wasser überkocht. Vielleicht gibt es sogar mal wieder einen Blackberry…
- Der Substack-Newsletter «Internal Tech Emails» wertet jedes Jahr Akten aus Hunderten Gerichtsverfahren aus – auf der Suche nach E-Mails. Zuletzt: «Sam Altman emails Elon Musk».
- Letzten Mittwoch war die polnisch-amerikanische Historikerin Anne Applebaum zu Gast an der Universität Zürich, um über ihr neues Buch «Autocracy, Inc. – The Dictators Who Want to Run the World» zu sprechen – und auch darüber, wie Technologien repressive Regime antreiben. Die Aufzeichnung lohnt!
- KI-Chatbots («LLMs») werden häufig zur Steigerung der Kreativität eingesetzt, oft als Ideenlieferanten oder Coach. Kanadische Forscher haben den Effekt von KI-Nutzung bei einem Kreativitätstest untersucht: In vielen Fällen waren die KI-gestützten Menschen nicht kreativer als diejenigen ohne KI-Unterstützung, zum Teil sogar viel weniger kreativ. Auf der anderen Seite fanden es die von einem LLM als Ideenlieferant unterstützten Teilnehmer:innen viel einfacher; das waren aber auch diejenigen, welche weniger kreative Resultate lieferten. Menschen und ihr Kreativprozess sind weiterhin unberechenbar.
4 Antworten
Die Schweiz hat in der Tat schlechteren Schutz der Privatsphäre als die meisten EU-Länder. Das war auch schon vor der DSGVO so. Deshalb ist es ja auch so verwunderlich, daß Threema und Proton mit ihrem Standort werben.
Ein Beispiel: In der Schweiz kann die Staatsanwaltschaft ohne Gericht eine Durchsuchung anordnen.
Nachtrag zu den Seekabeln: Obwohl zwei für die jeweils verbundenen Länder wichtige Seekabel betroffen waren, waren die Auswirkungen glücklicherweise relativ bescheiden. Viele Teilnehmer sahen keine oder nur minimale Erhöhung der Latenzen und vermutlich keine zusätzlichen Paketverluste.
Hier die Auswertungen der Messdaten der von Freiwilligen betriebenen RIPE Atlas Probes.
Ich möchte vorläufig nur die Blogbeiträge via E-Mail erhalten.
Guten Tag Herr Schenk! Wie meinen Sie das genau? Die Kolumne wäre eigentlich auch ein Blogbeitrag. 😉