Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt haben.
Joanna Stern vom Wallstreet Journal hat sich in einem wohl nicht ganz ernstgemeinten Versuch für zwei Tage mit vier Chatbots in eine einsame Hütte zurückgezogen und sich ausschliesslich mit ihnen unterhalten (Youtube, Screenshot oben). Das Ergebnis dürfte für viele nicht überraschend sein. Für die nötige Dosis AI-Hype sorgen die eingeschobenen Interview-Sequenzen mit dem AI-Chef von Microsoft. Und wer noch mehr Selbstversuch will: Kashmir Hill, Tech-Reporterin der New York Times, wollte sich eine Auszeit von Entscheidungen nehmen – sie schreibt von „decision holidays“ – und liess ChatGPT, Claude, Spark und Remodel A.I. ihr Leben steuern.
Vor ein paar Wochen haben wir aufgezeigt, dass — entgegen der Behauptungen der KI-Firmen — ihre Modelle noch nicht selbständig schlussfolgern können. Inzwischen gibt es eine weitere wissenschaftliche Untersuchung, dass den Sprachmodellen («LLM») hinter den Chatbots «Weltwissen» (engl. „world model“) und die Möglichkeit zu gezielten Schlussfolgerungen fehlt. Forscher am MIT haben aufgezeigt, dass moderne KI-Systeme
- zwar meist korrekt Othello spielen können, aber gültige kaum von ungültigen Zügen unterscheiden können; und
- dass ihre Wegbeschreibungen in New York meist korrekt sind, aber wenn sie um gesperrte Strassen herumnavigieren müssen, dann unmögliche neue Strassenverbindungen in der Beschreibung auftauchen.
Doch genauso wenig, wie die grossen Sprachmodelle neutral sind, sind es auch die sozialen Netze. So hat Twitter ziemlich genau gleichzeitig mit der Ankündigung der offiziellen Unterstützung Trumps durch Musk begonnen, am X/Twitter-Algorithmus zu drehen: So sahen ab diesem Zeitpunkt Twitter-Nutzende (noch) deutlich häufiger Posts von Musk und anderen Unterstützern zu sehen (was auch andere bemerkt haben).
Neben dem traditionellen Oligopol «sozialer Netze» von Techkonzernen/-milliardären (Facebook/Instagram/Threads, Twitter, TikTok, LinkedIn, BlueSky) ist es deshalb auch wichtig, unabhängige Plattformen zu unterstützen (wie z.B. dem Fediverse, einem globalen Zusammenschluss von unabhängigen Servern).
Ach übrigens: Auch wenn es immer wieder in den Medien steht, BlueSky ist nicht wirklich verteilt (zumindest nicht die Teile, die wichtig sind). Und hinter der neuesten Finanzierungsrunde stecken viele Leute mit autoritären Ideen. Also nicht das Richtige, wenn das der Grund war, von Twitter wegzugehen. Entsprechend schreibt das Wirtschaftsblatt Fortune von einer «era of social media fragmentation».
Und schliesslich…
- Drangsaliert Microsoft seine Kunden?, fragt Heise.de. Die Antwort wird dereinst die US-Kartellbehörde FTC liefern, die untersuchen will, ob Microsoft mit seinem Cloud-Geschäft den Wettbewerb be- oder verhindert.
- Keine 24 Stunden nach Donald Trumps Wiederwahl griffen junge Männer im Netz einen Slogan auf, der die kommende Ära des gesellschaftlichen Rückschritts markieren könnte: „Your body, my choice“. Jia Tolentino recherchierte für das Magazin New Yorker die gefährliche Verbindung von White Supremacy, Geschlechterpolitik und digitaler Mobilisierung – und wie ironische Memes und provokative Botschaften die rechte Ideologie im Zeitalter der Technologie verstärken.
- In einer Welt, in welcher Reiche gut Gewinn machen können, gibt es Leute, die über 100 Milliarden (!) USD in eine undurchsichtige Firma, Tether, investieren, deren Versprechen es ist, dass man mit ihr keinen Gewinn machen kann; ob die Investitionen irgendwann (oder schon jetzt) weg sind, bleibt aufgrund der Intransparenz offen. Für solche verlustbehaftete Finanzgeschäfte gibt es eigentlich nur einen offensichtlichen Grund. Und der ist sicher nicht, den Ärmsten der Armen zu helfen, wie der Spruch „Banking the Unbanked“ verspricht. Die Leute hinter diesem System haben massiv in Trumps Wahl investiert und werden jetzt damit belohnt, dass sie die Regierungsübernahme koordinieren. Entsprechend ist unter Trump kaum damit zu rechnen, dass untersucht wird, ob Tether Geldwäsche betreibt.