Auch über die Feiertage hat sich einiges an Lesematerial angesammelt, welches ich für euch hier zusammengefasst habe. Von erodierenden Eigentumsrechten und fehl geleiteten Gesetzen.
So richtig gependelt bin ich ja nicht in den letzten Tagen. Deshalb habe ich als Titelbild das genommen, was DALL•E auf meine erste Anfrage nach „Marcel pendelt“ zurückgeliefert hat. (Nein, auch so ein übergrosser Marcel kann auf dem Velo keine News lesen, aber gesunden Menschenverstand sollte man ja bei einer KI wirklich nicht erwarten…)
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ToggleDas Recht auf Reparatur als Teil des Eigentums und der Selbstbestimmung
Eigentlich sollte das «Right to repair», das Recht auf Reparatur, eine Selbstverständlichkeit sein: Wer ein Gerät gekauft hat, sollte es auch selbst reparieren dürfen oder selbst für Ersatzteile sorgen dürfen. Aber bei Druckern, Mobiltelefonen, Landmaschinen und Beatmungsgeräten ist das schon lange vorbei; um nur einige Wenige zu nennen. Obwohl das eigentlich im Sinne von Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Eigentumsrecht etc. wäre.
Polnische Züge
So hat ein polnischer Hersteller von Zügen dafür gesorgt, dass sie nicht in Drittwerkstätten gewartet oder repariert werden können. Auch (bzw. gerade!) wenn die Werkstätte auf die Wartung von Zügen spezialisiert ist und das 20’000-seitige Wartungshandbuch (!) akribisch befolgt. Sobald der Zug länger als 10 Tage in einer der 6 konkurrierenden polnischen Zugwerkstätten stand, hat eine Geofencing-Funktion des Herstellers den Zug deaktiviert. (Und ja, eine Wartung nach diesem dicken Handbuch dauert ein paar Tage…)
Eine anderer Zug wurde vom Hersteller so programmiert, dass er an einem bestimmten Datum eine defekte Komponente anzeigen würde. Interessant ist auch, dass fast jeder der untersuchten Züge aus der gleichen Bestellung und Baureihe mit einer anderen Softwareversion geliefert wurde. (Als Softwareentwickler stehen mir da die Haare zu Berge.) Die Beschreibung der Sicherheitsforscher liest sich wie ein Thriller, den es auch als Vortrag gibt.
Ob der Zughersteller zur Rechenschaft gezogen wird, ist noch nicht klar. Aber der Hersteller behauptet, das seien gar nicht seine eigenen Funktionen, sondern sie seien gehackt worden; eine, ähm, überraschende Aussage angesichts der Erzählung der Sicherheitsforscher und der Überlegung, wer einen Vorteil aus der angeblich eingeschmuggelten Funktion hätte…
Alte COBOL-Programme reparieren
Banken erkannten früh die Relevanz der Computer für ihr Tagesgeschäft. Er würde die Abrechnungsprozesse beschleunigen und Fehler vermeiden helfen. Deshalb wuchs der Bedarf an Computern und Programmen. Ab den 1960er-Jahren war COBOL in diesem Bereich die dominante Sprache. Sie orientierte sich an einem vereinfachten Englisch. Auf der einen Seite bedeutete das viel Tippaufwand, weil immer ganze Worte oder kurze Phrasen ausgeschrieben werden mussten. Auf der anderen Seite konnte auch jemand, der kaum etwas von Programmieren verstand, zumindest erahnen, was das Programm machte. Und Leute mit Programmierinteresse konnten nach wenigen Monaten COBOL-Programmierer werden und beginnen, praktische Erfahrung zu sammeln. Eine Revolution für die damalige Zeit!
COBOL ist auch heute noch fleissig im Einsatz: Eine US-Bank hatte 2012 noch über 100’000 COBOL-Programme im Einsatz mit mehreren hundert Millionen Zeilen Code. Es wird vermutet, dass in den USA bei 95 % der Abhebungen am Bancomaten noch irgendwo COBOL-Programme involviert sind. Auch bei US-Versicherungen ist COBOL verbreitet; ausserhalb der USA dürfte die Lage nicht viel anders sein.
Das Problem: COBOL ist bei Softwarentwicklern ausser Mode gekommen. Für C, C++, Java, JavaScript oder Python etc. gibt es Nachwuchs; COBOL will niemand mehr lernen.
Was aber, wenn in Programmen neue Funktionen benötigt werden, beispielsweise um neuen rechtlichen oder technischen Anforderungen zu genügen oder weitere Systeme anzuschliessen? Dann bleibt vielen Banken nichts anderes übrig als ehemalige Mitarbeiter aus dem Ruhestand zu holen. Doch auch diese Experten sterben aus, wortwörtlich.
Dafür sind die meisten dieser COBOL-Programme extrem stabil. Alle erdenklichen Sonderfälle sind über die letzten Jahrzehnte an ihnen vorbeikommen. Einige lösten Reparaturarbeiten aus, damit dieser Sonderfall beim nächsten Mal das Programm nicht mehr unvorbereitet traf. Aber wenn nicht gerade IBAN eingeführt wird, muss man nur noch wenig an dem Code ändern.
Für neue Programme in den „coolen“ Programmiersprachen (also fast alles, was nicht COBOL ist) findet man deutlich einfacher Entwickler. Doch deren erster Programmaufschlag hat noch nicht die Jahrzehnte an Fehlerkorrektur und Optimierung hinter sich; ein Dilemma.
Right to interoperate?
Fast alle modernen Dienste nutzen das Internet. Heute häufig über eine Client-Server-Verbindung, oft eine Webschnittstelle („API“, Application Programming Interface) zu einem Server, der öffentlich aus dem Internet zugänglich ist. Manchmal ist die Anwendung des Herstellers dafür schlecht zu bedienen (für gewisse Abläufe oder Nutzungsszenarien, für Behinderte, …) oder läuft nicht auf dem Gerät oder Betriebssystem, auf dem man es gerne nutzen möchte.
Da wäre es doch ganz praktisch, wenn man eine eigene Anwendung bauen könnte, die dieses Problem nicht hat. Aktuell versucht das die Firma Beeper, die eine Android-App anbot („Beeper Mini“), mit der man mit seinem Apple-Konto iMessage-Nachrichten versenden konnte, auch wenn man gerade keinen Mac oder ein iPhone dabei hatte. Apple gefällt das nicht und blockiert den Dienst, angeblich aus Sicherheitsbedenken.
Right to continue
[Neu 2023-01-12] Interessanter Vorschlag: Wenn etwas „verkauft“ wird, was einen Dienst beinhaltet (Smart-Home-Hardware, die nur mit Cloud funktioniert; ein Online-Spiel, bei dem man Ausrüstung „gekauft“ hat; …) soll der Quelltext für diesen Dienst bei einem Notar hinterlegt werden müssen, damit im Falle der Einstellung des Dienstes (z.B. wegen Insolvenz) die Nutzerinnen und Nutzer nicht unverschuldet leer ausgehen.
Kaufen ist auch nicht mehr das, was es einmal war
Auch an anderer Front erodiert durch die Umstellung auf Digitalisierung das bisherige Eigentumsrecht.
«Deine gekauften Filme sind weg. Pech gehabt»
Anfang Dezember kündigte Sony an, dass auf der PlayStation „gekaufte“ Discovery-Channel-Serien von Warner Bros zum Jahresende gelöscht würden. Ohne Rückerstattung oder sonstige Alternative. Im kleineren Stil hatten sie das bereits letztes Jahr in Europa durchgezogen. Nun hagelte es aber Proteste, insbesondere da Sony vor 2 Jahren noch versprochen hatte, dass man die gekauften Serien weiterhin werde anschauen können. Kurz vor Weihnachten gab es dann doch noch eine Einigung: Mindestens 2½ weitere Jahre werde man die Serien noch ansehen können. Was dann geschieht, ist unklar.
«If buying isn’t owning, piracy isn’t stealing»
Cory Doctorow, unerbittlicher Gegner derartiger „DRM“-Aktivitäten („Digital Rights Management„, also die absichtliche technische Einschränkung der Nutzung von scheinbar „gekaufter“ Hard- und Software), schrieb daraufhin einen kritischen Artikel zum Thema, in dem er auch Tyler James Hills Aussage «If buying isn’t owning, piracy isn’t stealing» (in etwa: «Wenn Kaufen nicht zum Besitz führt, kann („Raub“-)Kopieren auch kein Diebstahl sein»). Mit Rückblick über die Entwicklungen der letzten 20 Jahre.
Für diese Einschränkungen der Nutzerrechte oder generell der Benutzbarkeit und Nutzerfreundlichkeit von Diensten hat er übrigens den einprägsamen Sammelbegriff „Enshittification“ geprägt.
Hier sind die Gesetzgeber gefordert, dass Angebote, die nach Kauf aussehen, sich für den Nutzer auch wie ein klassischer Kauf verhalten müssten: Dass man mit dem gekauften Zug, Mobiltelefon oder auch Film auf Dauer auch das machen kann, was man will; und nicht von Anfang an hinterrücks oder zu einem späteren Zeitpunkt einen Teil oder alle dieser Rechte entzogen werden.
Leistungsschutzrecht
In Kanada wurde letztes Jahr eine „Linksteuer“ eingeführt, wie sie auch in der Schweiz geplant ist. Der Schuss ging nach hinten los: Nicht nur fliesst kaum Geld, es fliesst vor allem an die grossen Medienkonzerne, unabhängig von ihrem journalistischen Engagement. Kleine und unabhängige Medien haben das Nachsehen; für unabhängige Reportagen gibt es auch bei den Grossen kein Geld.
Über Fehleinschätzungen und Misinformationen rund um dieses internetfeindliche Konzept der Linkstrafe haben wir letztes Jahr mehrfach aus Schweizer Sicht berichtet:
Niklaus Wirth
Niklaus Wirth, der Schweizer Informatikpionier und langjähriger ETH-Professor, ist am 1. Januar 2024 verstorben. Er wurde weltweit vor allem als Schöpfer der Programmiersprache Pascal und ihren Nachfolgern Modula-2 und Oberon bekannt, die alle auch als Lehrsprachen eingesetzt wurden. Neben Strukturierung (und Modularisierung) setzte er sich für Lesbarkeit, Einfachheit und Eleganz von Programmen (und Programmiersprachen) ein. So machte er u.a. die Aussage populär, dass „Software schneller langsamer werde als Hardware schneller werde“, was als Wirthsches Gesetz bekannt wurde. Vor ein paar Jahren hat Sarah Genner ein Porträt von Wirth publiziert, welches einen guten Überblick über sein breites Schaffen gibt.
[Neu 2023-01-07] Hier noch ein Video-Interview mit Wirth von 2021.
4 Antworten
UBS ist ein grosser Cobol Nutzer in der Schweiz, mit der CS hat sie jetzt auch noch PL/1 geerbt.
Beide Firmen bilden immerhin ihre IT Lehrlinge unter anderem in diesen Programmiersprachen noch aus.
Ein Lehrling, der vor ein paar Jahren an der UBS abgeschlossen hat, behauptet, dass er kein COBOL mehr lernen musste.
Minus 1 Held meiner Jugend.
Mit Pascal (genauer: UCSD Pascal) an Tandy Radio Shack TRS80-II durfte ich damals an der Schule herum experimentieren. Die 80KByte Diskettenlaufwerke haben Disketten schneller gefressen als man sie nachkaufen konnte 😉 An der Uni wurde dann mit Modula-II gelehrt.
Beides war für den Schul/Lernbetrieb eine tolle Sache, aber in der Praxis einfach zu einschränkend. Was habe ich durchgeatmet, als ich mich dann intensiver mit C beschäftigen konnte (und natürlich viel Zeit für Fehlersuche aufgewendet, die mit Pascal oder Modula-II nicht passiert wären).
Ach, und in einem Praktikum bei einer Lebensversicherung durfte ich dann COBOL programmieren. Ich denke, das könnte ich heute noch, wenn einen Tag Zeit zum Einlesen bekommen würde. Das soll jetzt aber keine Bewerbung für irgendwo sein 😉
Ich fühle mich gerade sehr alt.
Willkommen im Club! Bei mir war es der Damals-noch-nicht-Taktfahrplan, der den Kopierraum der Schule (im hinteren Teil standen 2½ Computer) zu meinem Warteraum machten. Und wo ich dann bald vom Einzeiler-Computer mit BASIC und Kassetten auf einen „richtigen“ Computer (Apple ][ mit UCSD-Pacal) umstieg…