Eines der Argumente für eVoting ist die Erhöhung der Stimmbeteiligung. Stimmbeteiligung—nur für sich alleine gesehen—ist keine ausreichende Metrik für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit einer Demokratie, trotzdem spielt sie eine wichtige Rolle. Die «Vote électronique», wie eVoting in der Schweiz offiziell heisst, bringt aber auch neue Risiken, wie die Gefahr von Intransparenz oder gezielter Abstimmungsmanipulation und verschiebt die Verantwortung für die Überprüfung der Korrektheit auf den Einzelnen.
Es gibt Hinweise, dass eVoting die Stimmbeteiligung nicht erhöht. Wir zeigen im Folgenden aber, wie ohne eVoting eine um 20 Prozentpunkte höhere Stimmbeteiligung einfach und mit ohne zusätzliche Risiken für die Demokratie erreicht werden kann.
Gleichzeitig kann der Artikel auch als illustratives Beispiel dienen, wie kausale Zusammenhänge hergeleitet werden können (Umgang Statistik, Medienkompetenz, …).
Seit demnächst 20 Jahren darf ich im Kanton Schaffhausen leben und abstimmen. Dieser Kanton hat viele Alleinstellungsmerkmale; neben seinen Sehenswürdigkeiten umfasst dieser Kanton der Enklaven und Exklaven auch den nördlichsten Punkt der Schweiz.
Aber er hat auch—und das ist der Auslöser des heutigen Artikels—regelmässig die höchste Stimmbeteiligung der Schweiz: Seit vielen Jahrzehnten ist die durchschnittliche Stimmbeteiligung jeden Jahres um rund 15–35 Prozentpunkte höher als der schweizerische Durchschnitt und schlägt auch den jeweils Zweitplatzierten klar mit rund 5–25 Punkten Vorsprung.
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ToggleDie Hypothese
Was macht den Kanton Schaffhausen so besonders? Er hat als einziger Kanton eine Stimmpflicht. Da könnte doch ein ursächlicher Zusammenhang bestehen? Also formulieren wir das doch mal als Hypothese:
Hypothese 1: Wenn eine Stimmpflicht herrscht, sehen wir eine merklich erhöhte Stimmbeteiligung.
Hypothese 2: Schon eine schwache Sanktion bei Zuwiderhandlung gegen die Stimmpflicht reicht für diesen Effekt.
Wie sieht nun diese Stimmpflicht im Kanton Schaffhausen aus?
Stimmzwang im Kanton Schaffhausen
Im Kanton Schaffhausen gilt die Stimmpflicht seit 1904 (Hervorhebungen von mir):
Art. 9 Wahlgesetz SH, „Stimmpflicht und Teilnahmepflicht“:
Die Teilnahme an den eidgenössischen, kantonalen und Gemeindeabstimmungen und Wahlen sowie an den Gemeindeversammlungen ist bis zum 65. Altersjahr obligatorisch. Wer diese Pflicht ohne Entschuldigung versäumt, hat 6 Franken zu bezahlen.
Art. 10, „Enschuldigungsgründe“:
¹ Als Entschuldigungsgründe gelten insbesondere:
Gesetz über die vom Volke vorzunehmenden Abstimmungen und Wahlen sowie über die Ausübung der Volksrechte (Wahlgesetz) vom 15. März 1904 (Fassung vom 19. Mai 2014)
a) Ferienabwesenheit;
b) berufliche oder familiäre Verpflichtungen;
c) krankheits- oder unfallbedingte Abwesenheiten;
d) Militär- und Zivilschutzdienst.
² Entschuldigungen sind unter Angabe der Gründe spätestens am dritten Tage nach dem Urnengang oder der Versammlung anzubringen.
³ Über streitige Entschuldigungsgründe entscheidet der Gemeinderat.
⁴ Als Entschuldigung gilt auch die Rückgabe des Stimmrechtsausweises innert drei Tagen nach dem Urnengang oder der Versammlung gemäss Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes.
In der Praxis dürften die meisten „Entschuldigungen“ durch Rücksenden des Stimmrechtsausweises ohne Abstimmungsunterlagen erfolgen, eine sehr einfach zu erfüllende Bürgerpflicht. Ebenfalls ist aus Effizienzgründen davon auszugehen, dass die meisten Gemeinden nicht bei jedem einzelnen Versäumnis eine Rechnung über die 6 Franken stellen werden.
Entschuldigungen
Wir baten drei Gemeinden um Informationen über die Entschuldigungen. Neuhausen am Rheinfall, die zweitgrösste Gemeinde des Kantons, reagierte nicht auf unsere Anfrage. Von den anderen beiden Gemeinden erhielten wir Antworten. Aber auch da fand keine detaillierte Erhebung der Entschuldigungen statt.
Die Stadtschreiberin von Schaffhausen bestätigte auf Anfrage meine Vermutung, dass die allermeisten „Entschuldigungen“ durch formloses Rücksenden des Stimmrechtsausweises erfolgten. Die Stadt Schaffhausen stellt jeden versäumten Urnengang in Rechnung, insgesamt rund 9 % der einzelnen Urnengänge.
Stein am Rhein stellte bis und mit 2023 erst ab zwei Versäumnissen eine Rechnung, für knapp 12 % der einzelnen Urnengänge. Aufgrund der Methodik ist mit einer Dunkelziffer von maximal weiteren 6 % von Urnengänge zu rechnen.
Gemeinde | Stimmbeteiligung | Unentschuldigt | Entschuldigungen |
---|---|---|---|
Stadt Schaffhausen | 61.79 % | 9.16 % | 29.05 % |
Stein am Rhein | 61.29 % | 11.62…17.45 % | 29.36…21.25 % |
Rund die Hälfte bis ¾ derjenigen, die nicht abstimmen gehen wollen, haben kein Problem damit, ihren Stimmrechtsausweis zurückzuschicken oder im Rathaus einzuwerfen. Der Rest trägt pro Abstimmung die Kosten für einen Latte Macchiato, entweder aus Faulheit oder aus Vergesslichkeit.
Exploration
Bisher haben wir erst eine Korrelation (der einzige Kanton mit Stimmpflicht hat höhere Stimmbeteiligung), aber noch keine Hinweise zu einer Kausalität. Insbesondere ist unklar, ob nicht auch ein anderes Alleinstellungsmerkmal des Kantons als Ursache in Frage kommen könnte. Vielleicht käme auch die Erklärung in Frage, dass der Kanton Schaffhausen als einziger nicht durch den Rhein von Deutschland isoliert ist und sich deshalb seine Verbundenheit zur Schweiz jedes Mal durch besonders hohe Stimmbeteiligung bestätigen will.
Wenn wir etwas weiter zurück gehen als 1980, sehen wir in der folgenden Grafik die Stimmbeteiligung aller eidgenössischer Abstimmungen verzeichnet (bis Mitte 2023). Dabei fallen die blau-schwarze Linie auf, die bis ca. 1970 sehr weit oben lag und die gelb-schwarze Linie, die weiterhin oben liegt.
Zwischen 1945 und 1965 lieferten sich Aargau und Schaffhausen ein unangefochtenes Kopf-an-Kopf-Rennen, auch davor zählten beide immer zur Spitzengruppe. Gemeinsames Merkmal: Auch der Aargau hatte bis 1971 eine Stimmpflicht.
Stimmzwang im Kanton Aargau
Im Jahre 1971 wurde der Stimmzwang im Kanton Aargau abgeschafft. Dieses Jahr ist in der Grafik auch erkennbar als sprunghaften Wechsel von der Spitzengruppe Aargau-Schaffhausen ziemlich genau ins schweizerische Mittelfeld.
Da 1971 aber gleichzeitig auch das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, ist nicht klar, ob der Sprung auch damit korreliert sein könnte. Keiner der anderen Kantone weist um 1971/72 herum auch nur Ansatzweise eine so nachhaltig markante Änderung auf, auch nicht der hier ebenfalls detailliert betrachtete Kanton Schaffhausen. Entsprechend darf die Einführung des Frauenstimmrechts nur für einen kleinen Teil dieser Veränderung verantwortlich gemacht werden.
Für die Grossratswahlen führt der Kanton Aargau für die Wahlen 1973 bis 2012 eine Statistik zur Nichtwählerquote nach Altersgruppe und Geschlecht. Bei der Wahl vom 01.03.1973 liegt die Wahlbeteiligung der Frauen bei 43.5 %, die der Männer bei 55.9 %. Während am Anfang die Differenz bei 12.4 Prozentpunkten lag, pendelte sie sich gegen 4 Prozentpunkte ein (wobei die Frauen zwischendurch auch einmal 8.6 Prozentpunkte höher lagen).
Die gleichzeitige Abschaffung der Stimmpflicht und Einführung im Kanton Aargau 1971 führte zu einer nachhaltigen Reduktion der Stimmbeteiligung von rund 40 Prozentpunkte. Davon dürften etwa 5 Prozentpunkte auf das Frauenstimmrecht bzw. die niedrigere Stimmbeteiligung der Frauen zurückzuführen sein. Die restlichen rund 35 Prozentpunkte Einbruch bei der Stimmbeteiligung sind aber dem Ende der Stimmpflicht zuzuschreiben.
Auswirkungen der sanktionsbewehrten Stimmpflicht
Klarer wird die Auswirkung der Stimmpflicht, wenn wir die Stimmbeteiligung in den beiden Kantonen relativ zum Schweizer Durchschnitt aufzeigen. Interessant auch, dass die Darstellung als Reduktion der Stimmabstinenz (rechts) deutlich weniger Rauschen aufweist. So holte die Stimmpflicht in den beiden betrachteten Kantonen zwischen 1884 und 1970 je rund 60 % (zwischen gut 40 und knapp 80 %) „Stubenhocker“ mehr hinter dem Ofen hervor als in den anderen Kantonen. Zwischen 1970 und 2023 sank dieser Vorteil im Kanton Schaffhausen zwar von rund 60 auf rund 35 %; der Unterschied ist aber weiterhin markant.
Stimmpflicht in anderen Kantonen
Neben den beiden Kantonen mit aktiv durchgesetztem Stimmzwang gilt die Teilnahme laut HLS auch heute in den «Kantonen Aargau, Glarus, Obwalden, Nidwalden und Uri noch als – allerdings nicht sanktionsbewehrte – Bürgerpflicht».
Evaluation
Rekapitulieren wir unsere Hypothesen von oben:
Hypothese 1: Wenn eine Stimmpflicht herrscht, sehen wir eine merklich erhöhte Stimmbeteiligung
Der Aargau zeigt sehr schön auf, wie die Abschaffung der Stimmpflicht mit einer massiven Reduktion der Stimmbeteiligung einhergeht. Diese dürfte für eine rasche und nachhaltige Reduktion um rund 35 Prozentpunkte geführt haben.
Kurz gesagt, während der Stimmpflicht in den beiden Kantonen blieben rund die Hälfte weniger Leute der Urne fern. Aktuell kann sich im Kanton Schaffhausen noch etwas mehr als jeder Dritte (35-40%), der ansonsten (im schweizweiten Mittel) nicht abstimmen gehen würde, zusätzlich aufraffen, um an die Urne zu gehen.
Hypothese 2: Schon eine schwache Sanktion bei Zuwiderhandlung gegen die Stimmpflicht reicht für diesen Effekt
Die aktuellen Kosten betragen im Kanton Schaffhausen 6 Franken pro versäumtem Urnengang; also etwa ein Latte Macchiato. D.h. auch wenn alle der typischerweise fünf jährlichen Urnengänge versäumt werden, entspricht die Jahresrechnung nur dem Betrag einer einzelnen Parkbusse.
Zusammenfassung
Die Existenz einer sanktionierten Stimmpflicht macht einen markanten Unterschied: Über ⅓ der Personen, die sonst der Urne fern geblieben wären, gehen trotzdem hin, was die Stimmbeteiligung rund 20 Prozentpunkte über den CH-Durchschnitt anwachsen lässt und damit auch den (jeweils wechselnden) zweitaktivsten Kanton typischerweise um 10 Prozentpunkte deklassiert.
Und das, obwohl eine „Entschuldigung“ trivial ist (Rücksendung des Stimmrechtsausweises) und die Sanktionen ebenfalls vernachlässigbar ist. Auch erhöht die Stimmpflicht nicht die Risiken der Stimmabgabe oder reduziert die Transparenz der Abstimmung.
Wenn wir die Stimmbeteiligung erhöhen wollen, dann ist das einfachste und ungefährlichste Werkzeug die Einführung einer „sanften“ Stimmpflicht.
Offene Fragen
Mit Hinblick auf die Stabilität und Wirksamkeit der Demokratie bleiben einige Fragen offen. Bei den wenigsten davon ist eVoting Teil der Lösung; im Gegenteil.
Erhöhung als Ziel?
Ist eine pure Erhöhung der Stimmbeteiligung um der Stimmbeteiligung willen—also ohne aktive Beschäftigung mit der Materie—aus demokratischer Sicht überhaupt wünschenswert?
Sind Stimmbürger:innen, denen das Zurücksenden des Stimmausweises (zur Vermeidung einer Busse) zu aufwändig ist, bereit, sich inhaltlich vertieft mit den Auswirkungen eines Ja oder Nein abzugeben?
Was sind die Auswirkungen einer einfacheren Stimmabgabe auf die Qualität der Entscheidungsfindung?
Repräsentativität?
Am Beispiel des Kantons Schaffhausen (Stimmzwang) zeigt sich, dass die Effekte unterschiedlicher Stimmbeteiligung in der Regel gering sind. Schon 35% führen statistisch zu repräsentativen Ergebnissen. Ausserdem wird der Interessenausgleich meist schon vor der Abstimmung gesucht.
Leonhard Neidhart: Ursachen und Auswirkungen des Beteiligungsrückgangs, Historisches Lexikon der Schweiz, 2017-03-28.
Bei Abstimmungen scheinen die niedrigen Stimmbeteiligungen also kein grundsätzliches Problem darzustellen. (Bei Wahlen ist das möglicherweise anders, aber da haben wir auch noch höhere Beteiligungen und oft Doppelproporz.)
Weitere Einflüsse
Stärkere Einflüsse als die Stimmbeteiligung dürften die Auswirkungen von
- Lobbyorganisationen (Spenden, direkte Einwirkung; verstärkt durch mangelnde Transparenz),
- die Komplexität der Themen, z.B. auch fehlende Kenntnis und Erfahrung der Politiker:innen (und Stimmbürger:innen) bei Digitalthemen,
- die steigende Bereitschaft von Politiker:innen, Aussagen zu vertreten, die objektiv falsch sind,
- Falschaussagen durch KI-Suchmaschinen (z.T. sehr subtil) sowie
- Fake News und Trollfabriken sein.
Die Adressierung dieser Themen ist meiner Ansicht nach deutlich wichtiger als die Erhöhung der Stimmbeteiligung oder die Vereinfachung des Abstimmungsvorgangs. Diese Punkte hier werden, wenn wir sie nicht rasch und konkret angehen, unsere Demokratie spätestens mittelfristig gefährden.
Aber im Gegensatz zu eVoting gibt es hier keine kommerziellen Interessen, im Gegenteil.
Fazit [neu 2024-05-27]
Was sollte meiner Meinung nach geschehen?
Abstimmungsmodus
- Ende der eVoting-Experimente
- Wahlschablonen für Blinde, Sehbehinderte bzw. Menschen mit motorischen Einschränkungen
- Briefwahl und/oder Botschaftswahl für Auslandschweizer:innen; die meisten leben in Ländern mit funktionierender Post (ich war selbst mehrere Jahre im Ausland)
Quelle: Inka-👩🏻🦯 @soeineblinde.bsky.social
Stimmbeteiligung und -kompetenz
- Einfache, klar nachvollziehbare Vorlagen
- Sachliche, aber nicht langweilige Informationen
- Trennung zwischen Faktenlage und Schlussfolgerung/Argumentation
- Verbesserung der Medienkompetenz (Erkennen von Desinformation)
- Unterstützung für politische Bildung
Mir ist klar, dass nicht alles einfach umzusetzen ist. Aber diese Punkte haben wir unter Kontrolle und können sie bewusst ändern. Und sie hätten konkrete Vorteile für unsere Gesellschaft und kommen mit deutlich weniger Risiken als das eVoting daher.
Risiken von eVoting
Wer sich noch mehr zum Thema eVoting informieren will, dem sei auch das Dossier E-Voting der Digitalen Gesellschaft empfohlen. Eine sehr gute englische Zusammenfassung der Entwicklung und der Kritikpunkte finden sich im «Voting Village 23 Panel» (Video oder nachbearbeitete, strukturierte Transkription), die insbesondere auch darauf eingeht, weshalb eBanking und eVoting ganz unterschiedliche Eigenschaften und Risiken haben.
Weiterführende Materialien
- Leonhard Neidhart: Stimm- und Wahlbeteiligung, Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 2017-03-28.
Erläuterungen zur Entwicklung der Stimm- und Wahlbeteiligung. - Tomas Poledna; Pierre Tschannen: Stimm- und Wahlrecht, Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 2022-12-02.
Erklärung zu den Stimmpflichten. - Keine Wahlpflicht im Aargau: Die Jugend blitzt ab, SRF, 2016-03-18.
Kurzer Überblick zu Aargau, Schaffhausen und anderen ehemaligen Stimmpflicht-Kantonen. - Wahlpflicht, Wikipedia.
Überblick über Stimm- und Wahlpflicht in anderen Ländern. - Patrick Seemann: eVoting: No risk, have fun?, DNIP, 2023-09-04.
Die Risikobeurteilung der Bundeskanzlei definiert viele Risiken einfach als eliminiert, als wirklich etwas am Risiko selbst zu ändern. - Patrick Seemann: eVoting: Der Stimmbürger bleibt die Schwachstelle, DNIP, 2023-10-17.
Die Verantwortung für eVoting-Stimmabgabe wird auf die Stimmbürger:Innen abgewälzt. - Marcel Waldvogel: DEFCON Voting Village 23 Panel, 2024-02-12.
Transkription der Vorträge des DEFCON Voting Village 23 Panels, welche die Probleme von eVoting erläutern — und wieso eShopping oder eBanking und eVoting nicht in denselben Topf geworfen werden dürfen. - E-Voting, Digitale Gesellschaft.
Dossier mit der Entwicklung in der Schweiz und Kritikpunkten. - Vote électronique, Bundeskanzlei.
Dossier mit Überblick über den Stand des eVoting-Versuchs in der Schweiz und den hier fehlenden Pro-Argumenten. - Zu mehr Stimmbeteiligung mit e-Voting, 20 Minuten, 2006-05-31.
Der Bundesrat hofft mit «e-Voting» «mehr Bürger (sic!) zur Simmabgabe zu bewegen». - E-Voting: Chronik, Kanton Zürich, Datum unbekannt (letzte Änderung nach dem 18. Juni 2023).
In der Testphase 2008 bis 2011 kam es bei den 87’000 Testenden keine Erhöhung, nur eine Verschiebung zuungunsten der brieflichen Stimmabgabe.
Anhang: Methodik
Stimmbeteiligungen
Wie entstanden die Daten hinter den Grafiken, am Beispiel der Hauptgrafik:
- Die kantonalen und gesamtschweizerischen Stimmbeteiligungen zu jeder eidgenössischen Abstimmung, so vorhanden, wurden Anfang 2023 aus der offiziellen Statistik extrahiert (Datenstand August 2023, d.h. bis und mit den Abstimmungen im Juni 2023). Es sind nur Sachvorlagen (Initiativen, Referenden) erfasst, keine Wahlgänge.
- Für jeden Kanton und Jahr wurde auf Basis der vorhandenen Daten ein Durchschnitt berechnet. Die Daten vor 1884 enthalten keine Stimmbeteiligungen und auch danach gibt es Lücken. Dieser Datensatz ist hier verfügbar.
- Für die Kantone Aargau und Schaffhausen sowie die Gesamtschweiz wurden die schwarz-gelben, blau-schwarzen respektive rot-weissen Linien als Verbindungslinien aller jeweils verfügbaren Jahresdurchschnitte erzeugt.
- Die Bandbreite der restlichen(!) Kantons-Jahresdurchschnitten (also ohne SH, AG und natürlich auch dem CH-Durchschnitt) wurden als hellgrauer Bereich mit mittelgrauen Ober- und Untergrenzen dargestellt.
- Hellblaue Punkte (nur in der folgenden Grafik eingeblendet) zeigen die Einzeldurchschnitte der Kantone im jeweiligen Jahr an.
- Die „Reduktion der Nichtwähler:innen“ berechnet sich wie folgt: (Stimmbeteiligung Kanton minus Stimmbeteiligung CH) geteilt durch (100% minus Stimmbeteiligung CH).
Hat Schaffhausen immer die höchste Stimmbeteiligung?
Nein. Dies gilt weder für die Zeiten, in denen der Aargau noch eine Stimmpflicht kannte (da sind ja auch die Aargauer Durchschnitte manchmal über den schaffhausischen) noch für Wahlbeteiligung bei Grossratswahlen, erzeugt aus den Statistiken zur Nichtwählerquote der Staatskanzlei Aargau.
Vorsicht bei der Interpretation der Daten: Hier sind Wahlbeteiligungen aufgeführt, alle anderen Statistiken in diesem Artikel beziehen sich auf Stimmbeteiligungen. Bei Wahlen ist die Beteiligung tendenziell höher als bei reinen Abstimmungen. So lag beispielsweise 1971 die durchschnittliche Stimmbeteiligung schweizweit bei 44.4 %, während die Wahlbeteiligung bei 56.9 % lag (12.5 Prozentpunkte höher). Die Verhältnisse zwischen den Beteiligungen dürften aber ähnlich sein.die Zeit danach.
Alleine seit 1980 gab es 21 Abstimmungen, in denen andere Kantone für diese spezifische Einzelabstimmung eine höhere Stimmbeteiligung aufwiesen (7 mal Nidwalden, 1 mal Zug, 12 mal Wallis und 2 mal Genf). In derselben Periode gab es aber 732 eidgenössische Abstimmungen in jedem Kanton, also insgesamt 9724 kantonale Durchschnitte. In über 99.7 % der Fälle blieb Schaffhausen also ungeschlagen.
Auswirkungen Frauenstimmrecht
Für die Grossratswahlen führt der Kanton Aargau für die Wahlen 1972 bis 2012 eine Statistik zur Nichtwählerquote nach Altersgruppe und Geschlecht. Für die am 01.03.1973 durchgeführten Grossratswahlen liegt sie 565/1000 (entspricht Wahlbeteiligung von 43.5 %) bei Frauen und 441/100 (Wahlbeteiligung 55.9 %) bei Männern. Die Gesamtwahlbeteiligung lag bei 49.4 %. Damit lag die Wahlbeteiligung der Frauen bei rund 88 % der Gesamtbeteiligung, die der Männer bei 113 %.
Wahlbeteiligung Grossrat AG 1973 | Frauen | Gesamt | Männer |
---|---|---|---|
Absolut | 43.5 % | 49.4 % | 55.9 % |
Relativ zur Gesamtbeteiligung | 88 % | 100 % | 113 % |
Bei der Interpretation der Daten ist Vorsicht geboten: Hier sind Wahlbeteiligungen aufgeführt, alle anderen Statistiken in diesem Artikel beziehen sich auf Stimmbeteiligungen. Bei Wahlen ist die Beteiligung tendenziell höher als bei reinen Abstimmungen. So lag beispielsweise 1971 die durchschnittliche Stimmbeteiligung schweizweit bei 44.4 %, während die Wahlbeteiligung bei 56.9 % lag (12.5 Prozentpunkte höher). Die Verhältnisse zwischen den Beteiligungen dürften aber ähnlich sein, also dass auch hier die Beteiligung der Frauen bei ca. 90 % der Gesamtbeteiligung lag und die der Männer bei rund 110 %.
Die gleichzeitige Abschaffung der Stimmpflicht und Einführung im Kanton Aargau 1971 führte zu einer nachhaltigen Reduktion der Stimmbeteiligung von rund 40 %. Die Daten legen nahe, dass der Effekt nur etwa zu 5 % auf die Geschlechterunterschiede bei der Wahlbeteiligung zurückgeführt werden können (Differenz Gesamtwahlbeteiligung zu Wahlbeteiligung der Männer).
Die restlichen rund 35 % Einbruch bei der Stimmbeteiligung dürften damit dem Ende der Stimmpflicht zuzuschreiben sein, in Ermangelung anderer Veränderungen, welche sich so signifikant und nachhaltig auf die Stimmbeteiligung auswirken könnten.
Anzahl Entschuldigungen
Wir haben drei Gemeinden angefragt, die beiden grössten Gemeinden im Kanton (Schaffhausen und Neuhausen) sowie meine Wohngemeinde. Schaffhausen und Stein am Rhein haben geantwortet. Die Gemeinden führen keine Statistiken über die Entschuldigungen; deshalb wurden diese aus den anderen Werten berechnet, da Stimmbeteiligung und Absenzen (unentschuldigt plus entschuldigt) zusammen 100 % ergeben müssen.
Bei beiden Gemeinden führten detailliertere Statistiken zu hohem Aufwand, hiess es. Da die Hauptaussagen auch ohne diese weiteren Details zu verifizieren war, wurde darauf verzichtet.
Stadt Schaffhausen
Für die kantonalen Abstimmungstermine wurden die entsprechenden Daten des Kantons Schaffhausen verwendet, wobei die Anzahl eingegangener Stimmzettel aus der Anzahl Stimmberechtigten und der Stimmbeteiligung zurückgerechnet wurde (für die National- und Ständeratswahl vom 19.11.2023 wurden die eingegangen Stimmzettel auch direkt ausgewiesen). Für den zusätzlichen Abstimmungstermin exklusiv für die Stadt Schaffhausen vom 12.02.2023 wurde die Gemeindestatistik verwendet.
Die Stadtschreiberin antwortete, dass die Bussen in einer Jahresrechnung gestellt würden, bei der ab dem ersten Versäumnis die 6 Franken berechnet würden. Die Gesamtrechnungssume belaufe sich auf «rund 63’500 Franken». Aus diesem Betrag wurden die rund 10’583 unentschuldigten Versäumnisse berechnet.
Obwohl keine Statistik über die Entschuldigungen geführt würden (nur über die nicht Entschuldigten), gehe die Stadtschreiberin davon aus, dass die meisten Entschuldigungen durch die formlose Rücksendung des Stimmrechtsausweises bis spätestens 3 Tage nach dem Urnengang erfolgten.
Urnengang | Stimmberechtigte | Eingegangen | Unentschuldigt | Entschuldigt |
---|---|---|---|---|
12.02.2023 | 22’684 | 13’722 | ||
12.03.2023 | 22’655 | 12’719 | ||
18.06.2023 | 23’612 | 14’892 | ||
22.10.2023 | 23’721 | 14’450 | ||
19.11.2023 | 22’839 | 15’588 | ||
Summe | 115’511 | 71’370 | 10’583 | 37’138 |
61.79% | 9.16% | 29.05% |
Stadt Stein am Rhein
In Stein am Rhein fanden nur die regulären 4 Urnengänge statt. Die Stimmberechtigten und eingegangenen Stimmzettel bestimmen sich nach aus denselben Datenquellen und derselben Methodik wie oben erläutert.
In Stein am Rhein wird aber erst seit dem laufenden Jahr ab dem ersten Versäumnis gebüsst. Bisher (also auch im hier dargestellten Jahr 2023) wurde eine Jahresrechnung nur erstellt, wenn der oder die Stimmberechtigte mindestens zwei Urnengängen unentschuldigt fern blieb. 361 Personen wurden für insgesamt 1091 Versäumnisse gebüsst. Dies stellt damit eine untere Grenze für die unentschuldigten Versäumnisse dar.
Eine Obergrenze ergibt sich, wenn zusätzlich jede:r nicht gebüsste Wahlberechtigte genau einmal der Urne fernblieb. Mangels Detaildaten ist dies nicht genau berechenbar. Unter der Annahme, dass die Verhältnisse über alle Urnengänge gleich seien, können wir aber eine Abschätzung tätigen: Pro Urnengang blieben durchschnittlich 908 Personen der Urne fern. Davon wurden 361 gebüsst. Deshalb beträgt die Dunkelziffer maximal 908 – 361 = 547 Versäumnisse, die unentschuldigt und ungebüsst blieben. Die Statistik für 2024 und Folgende wird klarer sein.
Urnengang | Stimmberechtigte | Eingegangen | Gebüsst | Nicht gebüsst |
---|---|---|---|---|
12.02.2023 | kein Urnengang | — | — | — |
12.03.2023 | 2’297 | 1’324 | ||
18.06.2023 | 2’387 | 1’555 | ||
22.10.2023 | 2’387 | 1’434 | ||
19.11.2023 | 2’315 | 1’440 | ||
Summe | 9’386 | 5’753 | 1’091 | 2’756 |
61.29% | 11.62% | 27.08% | ||
Obergrenze Dunkelziffer Unentschuldigte | 547 | |||
Obergrenze Unentschuldigte bzw. Untergrenze Entschuldigte | 17.45% | 21.25% |
Eine Antwort
Nicht alle Urnengaenge sind gleich wichtig. Die Beurteilung liegt beim Betrachter. Die Kirchenpflege, oder die Schulpflege sucht einen neuen Rechnungsfuehrer sind zB nicht ganz mein Fokus. Eine (Aus-)Wahl sollte auch als etwas Entscheidendes erkannt werden. Wenn fuer ein Amt zwei Leute zur Verfuegung stehen, und ich kenne Keinen, Keiner fiel durch irgend etwas auf.. welchen soll ich nehmen ? Nicht, dass diese Zwei nun auf einander rumhacken sollen um etwas Publicity zu generieren.
Elektronische Wahlen/Abstimmungen muessen nachvollziehbar sein, und duerfen nicht dem Datenschutz geopfert werden. Der Schweizer Ansatz ist (noch) nicht fuer Nachvollziehbarkeit vorgesehen. Ohne wird das nichts.