Vogt am Freitag: Köder

Kolumnist Reto Vogt entschuldigt sich vorab für diesen Text. Aber es ist halt wirklich ein Trauerspiel.

Jede Social-Media-Plattform hat ihre eigene Pest. Auf Twitter herrschen Hass und Desinformation, Instagram ist eine Dauerwerbesendung und auf Facebook… Tja, wer oder was ist eigentlich noch auf Facebook? Weiss das jemand? Item. Mit alldem haben wir uns abgefunden. Aber Linkedin? Linkedin sollte anders sein. Professionell. Seriös. Ein Ort für den beruflichen Austausch unter Erwachsenen.

Stattdessen ist es zur digitalen Bettelplattform verkommen: «Kommentiere Manus – und du bekommst mein Geschenk», steht da in einem Post. Hunderte Nutzerinnen und Nutzer tun es in vollem Ernst, um irgendein 20-seitiges PDF (vermutlich) mit völlig banalem, langweiligen und natürlich KI-generierten Inhalt (sicher) zu erhalten. Denn auch schon das Posting des Users ist genau das: banal, langweilig und KI-generiert.

Engagement-Bait heisst der Fachbegriff dafür.

Es ist leider nur ein Beispiel von vielen. Mittlerweile sehe ich solche Postings zuhauf. Die Urheber (gendern ist hier nicht nötig) versprechen Tipps und Tricks für mehr Reichweite, Sichtbarkeit, Erfolg, Effizienz, bessere Prompts oder wasauchimmer in Form einer Checkliste, eines E-Books oder eines PDFs. Alles Sachen, die niemand braucht. Aber alle wollen, weil sie gratis sind.

Das Schlimme an der Geschichte ist, dass die Masche funktioniert. Der Linkedin-Algorithmus reagiert stark auf Engagement. Je mehr Kommentare jemand für sein «Geschenk» einheimst, desto höher die Reichweite des Postings. Ehrlich gesagt weiss ich nicht, was peinlicher ist: Die Bettelei um Kommentare oder dass erwachsene Menschen tatsächlich «Manus» (und viele andere Begriffe) unter Postings schreiben, um PDFs zu erhalten, die sie dann eh nie lesen?

Jetzt dürfen geschätzte Leserinnen und Leser natürlich einwenden: «Für deinen Scheiss-Feed bist du doch selbst verantwortlich!!» Und haben damit natürlich völlig recht. Aber selbst wenn ich den letzten Engagement-Baiter geblockt habe, kommt der nächste um die Ecke und findet wieder 500 Dumme, die auf seine Kundenfang-Masche hereinfallen. Weil. Es. Etwas. Gratis. Gibt.

Das Linkedin-Baiting ist das Äquivalent zu Visitenkarten-Gewinnspielen in Restaurants oder Kaffeefahrten für Rentner. Du wirfst deine Karte in die Box, gewinnst nie den «Gratis-Lunch», bekommst dafür aber monatelang Spam. Oder du steigst in den Bus für den kostenlosen Ausflug und landest in einem Raum, den du erst wieder verlassen darfst, wenn du eine Heizdecke gekauft hast.

Mit einem entscheidenden Unterschied: Bei LinkedIn ist die «Teilnahme» öffentlich. Alle sehen, dass du «Manus» kommentiert hast und wissen, dass du auf den Köder angesprungen bist. Und die Engagement-Baiter ihrerseits tracken, wer sich wofür interessiert, um danach alle fein säuberlich ins CRM einzutragen und das «Marketing»-Häkchen zu setzen.

Meine Hoffnung, dass Linkedin etwas gegen Engagement-Bait unternimmt, tendiert gegen Null. Wir alle hingegen können etwas tun: Aufhören, auf die Gratis-Masche hereinzufallen. Aufhören, die verlangten Keywörter zu kommentieren. Und damit anfangen, auf die inhaltsleeren, nichtsnutzigen PDFs und E-Books zu verzichten.

Aber gut, wir können natürlich weiter mit «Manus» kommentieren und nutzlose Inhalte für digitale Ordner sammeln, die wir nie öffnen. Vielleicht gibt’s dann bald ein E-Book mit dem (natürlich KI-generierten) Titel: «Wie du deinen Ruf ruinierst – mit drei Kommentaren». Gratis, selbstverständlich.

dnip.ch mit Deiner Spende unterstützen

Wir wollen, dass unsere Inhalte frei verfügbar sind, weil wir es wichtig finden, dass möglichst viele Menschen in unserem Land die politischen Dimensionen der Digitalisierung erkennen und verstehen können.

Damit das möglich ist, sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Jeder Beitrag und sei er noch so klein, hilft uns, unsere Aufgabe wahrzunehmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Beiträge