DNIP Briefing #43: Affenschwanz

Stilisierte Illustration eines orangefarbenen @-Zeichens auf beigem Hintergrund mit grober Textur und oranger Umrandung.
Generiert mit ChatGPT 5

Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.

Habt Ihr Euch auch schon gewundert, wie das @-Zeichen ursprünglich entstanden ist? Die Vermutung, dass es etwas mit dem Buchstaben „a“ zu tun hat, liegt zumindest optisch auf der Hand, aber das könnte ja durchaus auch in die Irre führen. Die BBC hat nachgeforscht, und ist schlussendlich bei den Griechen gelandet (den klassischen, nicht den heutigen). Diese haben ihre Güter in Amphoren gelagert und transportiert. Da es mit der Zeit unbequem wurde, „20 Amphoren Wein für 80 Drachmen“ auszuschreiben, wurde dies mit einem eingekreisten „a“ abgekürzt. Nach der Amphoren-Zeit blieb das @ als „commercial at“ im angelsächsischen Raum in Gebrauch, als Trennzeichen zwischen Menge und Preis („20 @ 80“). Auf diese Weise fand es auch den Weg auf die Schreibmaschinen- und anschliessend die Computer-Tastatur.

Den Sprung in die Email-Adresse machte die Amphore dann, als Anfang der 70er-Jahre die Grundsteine für das heutige Internet gelegt wurden. Der Computer-Wissenschaftler Ray Tomlinson brauchte für das Email-System eine Möglichkeit, Mails nicht nur lokal an andere Benutzer auf demselben Rechner zu schicken, sondern auch Benutzer auf anderen Rechnern erreichen zu können. Und entschied sich, Benutzer- und Rechnername mit „@“ abzutrennen. So helfen uns also bei jeder Mail schreibfaule klassische Griechen beim Schreiben der Adresse.

Wird der AI-Hype bald zur AI-Apokalypse?

Dass der AI-Hype finanziell vor allem von Investoren befeuert wird, welche sich einen Anteil am „the next best thing“ erhoffen, ist eine Binsenwahrheit. Was Investoren aber vor allem erwarten, ist eine ansprechende Rendite, und dies nach Möglichkeit innert einer Spanne von wenigen Jahren. Von Rendite ist im aktuellen AI-Hype allerdings noch nichts zu sehen. Die Modelle werden zwar besser und für die Benutzerin teurer, die Kosten für deren Erstellung und den Betrieb steigen aber nach wie vor schneller als die Einnahmen. Profitieren tun davon vor allem Anbieter wie NVIDIA (welches die Prozessoren für die Modelle liefert) und die diversen Hyperscaler welche AI-optimierte Rechenleistung anbieten.

Das New York Magazine hat sich die Finanzströme der AI-Unternehmen genauer angesehen. So haben NVIDIA und OpenAI eine neue Partnerschaft angekündigt, die unter anderem darin besteht, dass NVIDIA 100 Mia USD in OpenAI investiert. OpenAI wird das Geld dazu verwenden, Prozessoren von NVIDIA zu kaufen. Einen ähnlichen Deal hatte NIVIDA in 2023 mit dem AI-Hyperscaler Coreweave abgeschlossen, auch dort investierte der Chip-Hersteller indirekt quasi in seine eigenen Produkte. Von Vorteil sind solche Geschäfte primär für die Bilanz der jeweiligen Unternehmen, welche auf diese Art deutlich besser aussieht, als sie es in Wirklichkeit ist. Der Artikel vergleicht diese Art von kreativer Buchhaltung mit dem Dot-Com-Hype in 2000/2001, damals waren Telekom-Anbieter an ähnlichen Geschäften beteiligt. Die damaligen Investitionen in Fiber-Netzwerke und Rechenzentren konnten nach dem Platzen der Bubble allerdings immerhin weiterverwendet werden. Die GPU-Rechenzentren der AI-Unternehmen sind hingegen derart spezialisiert, dass bisher keine alternativen Anwendungen bekannt geworden sind (falls sie vorhanden und profitabel wären, würden sie bereits entsprechend genutzt werden).

Ebenso nachdenklich stimmt eine Analyse des Beratungsunternehmens Bain. Sie geht davon aus, dass AI-Unternehmen bis 2030 insgesamt Erträge von 2 Billionen USD erwirtschaften müssten, um ihre Hardware- und Energie-Kosten zu decken. Realistisch können aber nur 1.2 Billionen USD erwartet werden, da trotz hoher Nachfrage nach AI-Leistungen die erhofften Effekte in der Wirtschaft (Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerungen) auf sich warten lassen. Wie lange Investoren diese Schieflage noch zu finanzieren bereit sind, ist offen. 

Quasi druckfrisch ist zum selben Thema der neuste Newsletter des AI-Kritikers Ed Zitron in meiner Inbox gelandet. The Case Against Generative AI braucht zum Lesen zwar etwas Ausdauer, zeigt aber deutlich auf, wie sich eine schlussendlich kleine Gruppe von Unternehmen gegenseitig Geld und Aufträge zuschiebt und so den AI-Hype-Zyklus am Leben erhält, ohne dabei nennenswert Gewinn oder nur schon Umsatz zu erzielen. Im Zentrum des ganzen steht NVIDIA als zentraler Hardware-Anbieter: „Der Plan von NVIDIA ist denkbar einfach: Sie unterstützen diese Neoclouds [die spezifisch auf AI-Anwendungen spezialisierten Rechenzentren, Anmerkung der Redaktion] finanziell, die sich daraufhin verschulden, um GPUs von NVIDIA zu kaufen. Diese GPUs können dann, zusammen mit den Kundenverträgen, als Sicherheit für Darlehen dienen, was den Neoclouds wiederum ermöglicht, noch mehr GPUs zu beschaffen“.

Wer es lieber grafisch mag, wird sich über die folgende, von Anthony Restaino auf Bluesky gepostete Grafik freuen (Lambda, CoreWeave und Crusoe sind die oben erwähnten Neoclouds):

ah shit, I had swapped lambda and coreweave around to make the diagram more sane and forgot to move the super micro funding arrow from coreweave to lambda. fixed

anthony restaino (@anthonycr.bsky.social) 2025-09-23T14:40:22.470Z

Einfach gesagt: Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen, fliegen Fliegen Fliegen nach.

Cory Doctorow formulierte es in einem (wie immer) lesenswerten Artikel ähnlich drastisch:

One of those questions came from a young man who said something like „So, you’re saying a third of the stock market is tied up in seven AI companies that have no way to become profitable and that this is a bubble that’s going to burst and take the whole economy with it?“

I said, „Yes, that’s right.“

KI als apokalyptische Religion?    

Bleiben wir beim Thema. Die Los Angeles Times berichtet, dass die Wortwahl rund um Künstliche Intelligenz immer mehr religiöse Züge annehme. So würden im Zusammenhang mit KI nicht nur Worte wie «Apokalypse» oder Ausdrücke wie die «magische Intelligenz im Himmel» gebraucht, auch an Vergleichen, dass KI-augmentierte (implantierte?) Menschen zu gottgleichen Wesen würden, mangelt es nicht.

Und wie – insbesondere bei Privatreligionen beliebt – geht es auch hier ums Geld. Oder biblischer: Mammon. So gäbe es heute «finanzielle Anreize für Sam Altman zu sagen, dass AGI [also, menschliche oder übermenschliche KI] gleich hinter der nächsten Ecke warte,» wie Professor Robert Geraci im LA-Times-Artikel zitiert wird.

Die Allmacht einer Technologie – wie auch einer Gottheit – kann diese sowohl durch ihre grossartigen Werke aber auch über ihre schrecklichen Bedrohungen und Strafen ausleben. Oder, viel profaner, Hype und Criti-Hype sind zwei Kehrseiten derselben Medallie. Oder wie es Emily M. Bender vor kurzem im WOZ-Interview knackig zusammenfasste: «Es handelt sich um dieselbe Erzählung, nur mit zwei gegenläufigen Schlusspointen.»

Und praktisch, wenn auf alle Fälle die Münzen klimpern und die Scheine regnen, egal ob die Verheissungen eintreten oder nicht.

Zersplitterung der Digitalpolitik?

Der etwas andere Rückblick auf die e-ID-Abstimmung bringt Quentin Schlapbach im Tages-Anzeiger (💰🧱). Er erzählt die Geschichte, wie sich damals ein parteiübergreifendes Komitee von links bis rechts zusammenraufte, um die e-ID 2.0 besser zu machen. Das sei vor allem in der Digitalpolitik möglich, da die Parteien da bisher keine strategischen Themen gesehen hätten. Eigentlich eine gute Sache. Ob das aber nach dem letzten Sonntag noch so ist, ist fraglich.

Und es ist unwahrscheinlich, dass diese stärkere Polarisierung bei digitalpolitischen Themen zu besseren Lösungen führt.

Und schliesslich:

  • Wie die Kollegen von Heise vermelden, soll die digitale ID, also etwas ähnliches wie unsere E-ID, für alle Britinnen und Briten verpflichtend werden. Die Polizei soll aber nicht verlangen können, dass die digitale ID vorgezeigt wird. Ziel der Massnahme ist es dem Bericht zufolge, Schwarzarbeit zu mindern. Auf der gleichen Website ist übrigens eine Wahlanalyse zu unserer Abstimmung zu lesen.
  • Ergänzend zu Retos Kolumne vom vergangenen Freitag postete FDP-Politiker Olivier Feller auf Instagram tatsächlich ein Video von sich, in dem er (s)eine Unterhose in die Kamera hält. Diese Art der Kommunikation lässt vermuten, dass er seinen Vorstoss nur deswegen machte, um eben später das Video zu posten. Oder mit anderen Worten: Können wir nochmals über die Verschleuderung von Steuergeldern reden?
  • „Neue Projekte wecken in der Schweiz die Hoffnung auf eine souveräne digitale Zukunft. Doch Big Tech und Über­wachungs­pläne in Bundes­bern torpedieren die Aufbruch­stimmung“, so die Kurzkurzfassung von Adriennes Artikel, den sie für die Republik schrieb. Eine Viertelstunde Lesezeit, die sich lohnt.

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Eine Antwort

  1. AI Doomer werden auch von den AI-Firmen gepusht, weil es bei den digitalen Analphabeten unter den Investoren den Eindruck erweckt, dass die LLMs noch viel mächtiger sind, wenn man Angst vor ihnen schürt.

    Sam Altman war ja auch Präsident von Y Combinator, wo die AI Doomer zuhause sind.

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