«Digitale Souveränität der Schweiz ist Realität!», behauptet ein Schweizer Nationalrat. Kolumnist Reto Vogt antwortet ihm mit den geflügelten Worten einer Parteikollegin von ihm.
In der Bundesverwaltung, im nationalen Parlament und praktisch jeder Kantonsverwaltung ist Microsoft im Einsatz. Fast jeder Zuschlag an den US-Konzern erfolgte freihändig – stets begründet mit der angeblichen Alternativlosigkeit. Vielerorts regt sich Opposition. Im Kanton Luzern verlangen die Grünen die Prüfung von Alternativen, in St. Gallen und Basel übt die jeweilige Datenschutzstelle Kritik und jüngst fragte der GLP-Politiker und Aargauer Kantonsrat Lukas Huber: «Gefährden M365 und Co. unsere Datensouveränität?»
Es gibt wohl kaum jemand, der diese Frage mit «Nein» beantworten würde. Eigentlich niemand ausser SVP-Nationalrat Christian Imark, der jüngst in einer Interpellation titelte: «Digitale Souveränität der Schweiz ist Realität!» (Effektiv mit Ausrufezeichen.) Darin will er wissen, ob sich der Bundesrat bewusst sei, dass die Unabhängigkeit von grossen Cloud- und Softwareanbietern in der Schweiz bereits heute Realität sei. Es gebe «ein Schweizer digitales Ökosystem, das mit neusten Technologien die digitale Souveränität sicherstellt», behauptet Imark weiter. (Ich hoffe, ich habe das richtig widergegeben, im Original war der Satz etwas holprig.)
What do you do, if the Server breaks down?
Nach der Lektüre des Vorstosses ist mir ein Zitat von Imarks Parteikollegin Magdalena Martullo-Blocher eingefallen. «You’re a dreamer. You dream, du.» Man könnte das vollständige Zitat – es kommt ein Beamer darin vor – sogar leicht abwandeln und fragen: The Microsoft-Server breaks down. What is the first thing you do, Mister Imark? Vielleicht von Hand einen Brief schreiben? Denn E-Mails verschicken können Sie dann keine mehr. So sieht digitale Unsouveränität aus.
Natürlich fragte ich Christian Imark, aufgrund welcher Faktenbasis er feststelle, dass die digitale Souveränität bereits Realität sei. Er liess sie unbeantwortet. «Es gibt ergänzende Alternativen zu Microsoft, um digitale Souveränität sicherzustellen», antwortete Imark auf die Frage, ob für ihn die Bundesverwaltung und der Parlamentsbetrieb nicht von Microsoft abhängig sei. Auch das digitale Schweizer Ökosystem zerbröselt auf Nachfrage. Imark erwähnt ein (!) Zürcher Unternehmen, das an einer datensouveränen Cloud arbeite. Gemeinsam mit Open-Source-Lösungen von IBM und Red Hat könne die digitale Souveränität sichergestellt werden.
Zukunftsmusik statt Realität
Von seiner ursprünglichen Behauptung – Digitale Souveränität ist Realität – bleibt nicht mehr viel übrig. Ausser eben: Sie ist nicht Realität, sondern allerhöchstens Zukunftsmusik. Und warum Imark nur ein Unternehmen aus Zürich nennt, aber ein anderes, vergleichsweise bekannteres aus Genf, ignoriert: das bleibt sein Geheimnis. Ein offenes Geheimnis verrät sein Vorstoss beim genauen Hinsehen dann doch noch. Er schreibt nämlich:
«Verschiedentlich wurden in Bern Vorstösse eingereicht, welche die digitale Souveränität der Schweiz thematisierten, auch vor dem Hintergrund, dass die EU durch Regulierung und Förderung von Infrastruktur mit Hochdruck an eigenen Lösungen arbeitet. Diesbezüglich wurde sogar die Frage aufgeworfen, inwiefern sich die Schweiz an den EU-Programmen beteiligen kann/soll. Dabei blieb bisher stets unerwähnt, dass es in der Schweiz schon heute existierende Lösungen gibt, welche die digitale Souveränität der Schweiz sichern.»
Bei seiner digitalen Träumerei geht es Christian Imark ganz nach der Logik seiner Partei also gar nicht unbedingt darum, von US-Konzernen unabhängig zu werden, sondern primär von der EU und ihren Programmen. Mit Ausrufezeichen, aber ohne nötiges Know-how.