Vogt am Freitag: Sorgfalt statt Speed bei E-Collecting

Die digitale Unterschriftensammlung ist eine gute Sache. Das bedeutet aber nicht, dass Schnellschüsse angebracht sind, findet Kolumnist Reto Vogt – und ist damit anderer Meinung als der Ständerat.

Unterschriftensammlerinnen und -sammler sieht man auf Schweizer Strassen meistens schon von Weitem. Mit einem Klemmbrett bewaffnet steuern sie auf Passantinnen und Passanten zu, reden auf diese ein und versuchen sie zu überzeugen, eine Signatur mitsamt Wohnadresse auf ein Formular zu schreiben, damit wahlweise ein Referendum oder eine Volksinitiative zustande kommt.

Ich selbst kann die Vorhaben, die ich mit einer Unterschrift unterstützt habe, wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Meistens mache ich einen grossen Bogen um die laufenden Klemmbretter, weil ich mich in der Öffentlichkeit nicht auf politische Diskussionen einlassen will. Das dürften viele andere meiner Mitmenschen auch so halten – denn für Initiativ- und Referendumskommittees wird es immer schwieriger, die geforderte Anzahl Unterschriften im notwendigen Zeitraum zusammenzukratzen.

Schnelle Lösung? Keine gute Idee!

Deshalb haben in den vergangenen Jahren immer mehr Verantwortliche angefangen, mit kommerziellen Unterschriftensammlern zusammenzuarbeiten. Aber weil diese auch Mühe hatten, die versprochene Anzahl Unterschriften zu liefern, begannen sie zu betrügen und fälschten beispielsweise Unterschriften, wie der Tages-Anzeiger (Paywall) Anfang September aufdeckte. 

Das brachte die Politik auf den Plan. Die Lösung: eine digitale Unterschriftensammlung. Nur zehn Tage nach der Publikation im Tagi reichte FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann eine Motion ein, welche die rasche Einführung des sogenannten E-Collectings fordert und diese Woche vom Ständerat mit 20 zu 15 Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen worden ist.

Ich bin auch der Meinung, dass E-Collecting das Problem von gefälschten Unterschriften teilweise lösen kann. Mit der Betonung auf «teilweise», denn gefälschte Unterschriften sind ein Offline-Problem, das mit Technik nicht gelöst werden kann. Das schrieb ich in einer älteren Kolumne, noch für inside-it.ch, auf. Allerdings hielt ich es damals nicht für möglich, dass diese bemerkenswerte (im negativen Sinne) Motion angenommen werden könnte. Folgende Punkte sind mir negativ aufgefallen:

  • Die Motion fordert, dass «Unterschriftensammlungen künftig über digitale Kanäle stattfinden» sollen. Sie schliesst also faktisch die bisherigen Sammelmethoden aus und fordert einen rein digitalen Weg.
  • Ausserdem soll «der Sammel- und Verifizierungs-Prozess soll neu digitalisiert ablaufen», heisst es weiter. Vor allem letzteres ist schwierig (bis unmöglich), ohne eine nationale E-ID, die frühestens 2026 zur Verfügung steht. 

Beides führt dazu, dass die Schweiz eine Klick-Demokratie wird, was ich für gefährlich halte. Aber der nächste Punkt hingegen ist noch stossender:

Wörtlich heisst es in der Motion: «Anders als beim E-Voting sind die Sicherheitsrisiken bei der elektronischen Unterschriftensammlung wenig relevant, da beispielsweise das Stimmgeheimnis keine Rolle spielt. Somit sind für die digitalen Anwendungen nicht die gleichen Sicherheitsstandards wie bei Abstimmungen notwendig.»

Security ist zentral, ein Breach wäre verheerend

Ich jedenfalls möchte nicht, dass bei einem allfälligen Breach an die Öffentlichkeit kommt, für welche Referenden oder Initiativen ich unterschrieben habe, selbst wenn es nur wenige waren. Auch halte ich Manipulationen für gefährlich, wenn plötzlich durch «Zauberhand» 10’000 «verifizierte» Unterschriften auftauchen, die fürs Erreichen der Mindestanzahl gerade noch nötig gewesen waren.

Wenn Mühlemann mit seiner (schlechten) Formulierung meinte, dass die Risiken bei E-Voting höher sind, wenn es um die Wahl- und Abstimmungsbeeinflussung durch (politische) Akteure geht, gehe ich mit ihm einig. Dennoch sind eine (unsichere) Gesinnungsdatenbank und dadurch mögliches Profiling von Bürgerinnen und Bürgern ein schwerwiegendes Problem für die Demokratie. Weshalb auch ein E-Collecting-System mit der höchstmöglichen Sicherheit gebaut werden muss.

Richtige und falsche Zeitpunkte

Die gute Nachricht ist: Es ist kein unlösbares Problem. Solche Systeme lassen sich mit der nötigen Vorsicht, einer guten Projektleitung, genügend Ressourcen und dem richtigen Know-how sicher bauen und betreiben. Bei einem wie in der Motion geforderten Schnellschuss klappt dies allerdings nicht. Hinzu kommen weitere Überlegungen, die bei einer flächendeckenden und landesweiten Einführung von E-Collecting getroffen werden müssen. Zum Beispiel: Sind 100’000 Unterschriften für eine Volksinitiative noch die richtige Anzahl?

Der Zeitpunkt ist richtig, die Weichen für E-Collecting zu stellen – aber nicht für Schnellschüsse. Stattdessen brauchen wir Pilotprojekte, klare Regeln und die höchstmögliche Sicherheit. Für die Demokratie steht zu viel auf dem Spiel, auch mit E-Collecting. Es liegt am Nationalrat, die Kolleginnen und Kollegen der kleinen Kammer zu korrigieren.

Bundesrätliches Vorgehen ist für einmal richtig

Parallel dazu verfolgt der Bundesrat eigene Pläne mit E-Collecting, und zwar auf gar keine so schlechte Art (PDF zu einem aktuellen Bericht). Sein Plan ist es, ein Vorprojekt zu starten, in dessen Rahmen Grundlagen für beschränkte, praktische Versuche mit E-Collecting ausgearbeitet werden, mit dem Ziel ein Umsetzungskonzept samt Rechtsgrundlagen zu publizieren. Wegen der ständerätlichen Annahme wird die Regierung im Nationalrat einen Abänderungsanstrag stellen, um dieses Vorprojekt weiterverfolgen zu können.

Für einmal ist es gar nicht so schlecht, etwas auf die Bremse zu stehen. Das sorgfältige Vorgehen des Bundesrates (beziehungsweise der Bundeskanzlei) ist absolut begrüssenswert. Sorgfalt ist wichtiger als Speed, wenn es um demokratierelevante Themen geht.

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2 Antworten

  1. Guter Beitrag, vielen Dank. Ich bin völlig gleicher Meinung wie Reto, dass es keine Schnellschüsse braucht. Auf die Schnelle ein sicheres (!) Authentisierungsverfahren einzuführen, wäre im Hinblick auf die (hoffentlich) baldige Verfügbarkeit der e-ID aus meiner Sicht eine Geldverschwendung. Und dass Unterschriften nur noch auf dem digitalen Kanal gesammelt werden können, würde jene Menschen ausschliessen, die nicht digital signieren können oder wollen. Das wäre undemokratisch. Es würde wohl über einen längeren Zeitraum hinweg weiterhin die Möglichkeit zum „analogen“ Unterschriftensammeln brauchen – vielleicht weniger mit (bezahlten) Klemmbrettträgern sondern eher auf dem Postweg.

  2. «[…] begannen sie zu betrügen und fälschten beispielsweise Unterschriften, wie der Tages-Anzeiger (Paywall) Anfang September aufdeckte. »

    Ist davon inzwischen eigentlich etwas erstellt?

    Ja, der Tages-Anzeiger fährt sichtbar eine Kampagne, aber inwiefern haben diese doch schwerwiegenden Vorwürfe bislang Substanz?

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