Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.
Gross war der Jubel, als der Bundesrat am vergangenen Freitag den Zolldeal mit den USA verkündete. Schnell wurde allerdings auch klar, dass zwischen den Ankündigungen des Bundesrats und dem von der US-Regierung veröffentlichten Joint Statement einige Differenzen klaffen. Insbesondere bei den Themen, in welcher die Schweiz US-freundlichere Lösungen finden muss, geht das Joint Statement deutlich über das hinaus was der Bundesrat an schweizerischen Zugeständnissen kommunizierte. Die Sonntagspresse (NZZ, Tagesanzeiger) hat die Unterschiede ausführlich beschrieben, wir konzentrieren uns hier auf die digitalpolitisch relevanten Aspekte.
Unter Punkt 3e hält das Joint Statement fest:
The Participants intend to discuss robust commitments related to intellectual property rights protection and enforcement, including transparent and fair treatment of geographical indications (Die Teilnehmer beabsichtigen, solide Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Schutz und der Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte zu erörtern, einschliesslich einer transparenten und fairen Behandlung geografischer Restriktionen)
Die US-amerikanische Copyright-Industrie ist seit Jahren sehr aktiv darin, Copyrights weltweit im Sinne der Rechteinhaber auszuweiten. Dazu gehören insbesondere eine Ausdehnung der Fristen während denen ein Copyright gilt sowie das Verbot von Technologien, welche eine Umgehung von Copyrights bzw. der zugehörigen technischen Schutzmassnahmen erlauben. Schon rein das Aufführen des Themas in einer Zollvereinbarung deutet darauf hin, dass die USA von der Schweiz hier weitere Schutzmassnahmen erwartet. Denkbar ist zum Beispiel ein Download-Verbot für Filmkopien, oder (gerade angesichts der speziellen Erwähnung von geographischen Restriktionen) ein stärkerer Schutz im Internet durch Geoblocking oder im extremsten Fall sogar Netzsperren.
Noch brisanter wird es beim Kapitel 4, welches sich um Digital Trade and Technology dreht.
4a: Switzerland and Liechtenstein intend to continue to refrain from imposing digital services taxes (Die Schweiz und Liechtenstein beabsichtigen, weiterhin auf die Erhebung von Steuern auf digitale Dienstleistungen zu verzichten)
Wer die Situation zwischen den USA und der EU etwas verfolgt hat weiss, dass die USA in Richtlinien wie GDPR und DSA/DMA eine Benachteiligung von US-Firmen sieht und aktiv daran arbeitet, diese Richtlinien abzuschwächen. Es überrascht daher nicht, dass sich dieser Einfluss auch auf eine potentielle Digitalsteuer (d.h. die Besteuerung von digitaler Wertschöpfung in dem Land in welchem die Wertschöpfung effektiv erfolgt) auswirkt. Konkret hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, im Gegenzug zur Reduktion der US-Importzölle auf die Erhebung von Steuern auf digitale Dienstleistungen zu verzichten. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Erhebung von Steuern eine zentrale Funktion eines selbständigen Staates ist, ist es recht erstaunlich, dass gerade Parteien, welche sonst die Unabhängigkeit der Schweiz bei jeder Gelegenheit betonen, hierzu schweigen.
4b: The Participants intend to facilitate trusted cross-border data flows and address data localization requirements, taking into account legitimate public policy objectives (Die Teilnehmer beabsichtigen, vertrauenswürdige grenzüberschreitende Datenflüsse zu erleichtern und den Anforderungen an die Datenlokalisierung gerecht zu werden, wobei sie legitime politische Ziele berücksichtigen)
4c: The Participants intend to explore mechanisms that promote interoperability between their respective privacy frameworks with a view to facilitating secure cross-border transfers of data (Die Teilnehmer beabsichtigen, Mechanismen zu erkunden, die die Interoperabilität zwischen ihren jeweiligen Datenschutzrahmen fördern, um sichere grenzüberschreitende Datenübertragungen zu erleichtern)
Beide Punkte drehen sich um den Datenaustausch mit USA und dem Transfer von Daten in die USA (bzw. zu unter US-amerikanischem Recht stehende Rechenzentren). Grundsätzlich soll dieser erleichtert werden (was im Kontext des Joint Statements vermutlich vor allem bedeutet, dass die Schweiz auf Schutz-Vorbehalte verzichten muss). Auch soll versucht werden, die Datenschutz-Rahmenbedingungen als gleichwertig anzuerkennen (was dann unter Umständen dazu führen kann, dass auch besonders schützenswerte (Personen-)Daten neu in den USA gespeichert werden können). Vermutlich muss man es als positiv werten, dass in 4c keine automatische Übernahme des (schwach ausgeprägten) US-amerikanischen Datenschutzrechts postuliert wird. Wie die Auswirkungen konkret ausfallen, lässt sich allerdings erst beurteilen, wenn die entsprechenden Gesetzesanpassungen vorliegen.
Das Abwarten auf die konkreten Gesetzesanpassungen gilt generell für alle Zugeständnisse, welche die Schweiz im Joint Statement macht. Erst dann wird greifbar, wie hoch der innenpolitische Preis für die Reduktion der Zollsätze effektiv ist, und wie gross ein allfälliger Souveränitätsverlust. Die Diskussion wird uns noch einige Monate begleiten.
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ToggleWenn Journis eine KI „interviewen“
Unter dem reisserischen Titel „Hey ChatGPT, wird KI die Menschheit auslöschen?“ hat der Tagesazeiger bzw. die Sonntagszeitung ein Interview mit ChatGPT publiziert. Der Journalist wollte herausfinden, wie die KI die Chancen und Risiken der Technologie beurteilt. Dabei ist so ziemlich alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann.
Generative KI-Systeme sind keine Gesprächspartner für Journalist:innen, ihre Aussagen sind wertlos. Sie basieren nicht auf Erfahrung oder Wissen, sondern sind eine statistische Berechnung.
Wenn anders gefragt wird (oder mit anderen Grundeinstellungen, oder beides) kommen andere bis gegenteilige Antworten. Ob sich ChatGPT selbst als gefährlich einstuft, bedeutet weniger als nichts. Es. Ist. Ein. Nullinterview.
Wenn eine Zeitung so ein „Gespräch“ abdruckt, insinuiert sie das genaue Gegenteil. Sie vermenschlicht die KI, sie stellt die Maschine auf Augenhöhe mit uns Menschen. Das ist gefährlich, weil alle Leser:innen etwas diametral falsches über KI lernen.
Journalismus würde Aufklärung bedeuten, erklären, was KI kann und was nicht. Zeigen, wo die Chancen und Grenzen dieser Systeme liegen. Oder wenigstens transparent zu machen, welches Modell mit welchen Prompts befragt worden ist, wie Andreas von Guten in einem Video auf Linkedin richtigerweise betont. Aber es bedeutet nicht, so einen Stumpfsinn zu veröffentlichen.
Einseitiger Einheitsbrei
Die grossen Sprachmodelle der grossen KI-Firmen sind sich erstaunlich ähnlich, wie ein spannender Praxistest von Algorithmwatch aufgezeigt hat. Dabei wurden Modelle von OpenAI (GPT-5 Nano), Google (Gemini 2.5 Flash Lite) und Musks xAI (Grok 4 Fast NR) gebeten, die 200 wichtigsten Ereignisse aus der Geschichte aufzuzählen. Damit auch statistisch etwas herauskommt, wurde diese Anfrage 300 Mal gestellt.
Neben den üblichen Kleinigkeiten (statt rund 200 Ereignissen pro Anfrage kam alles zwischen 49 und 850 heraus), waren die Antworten sehr erstaunlich.
So wählte Grok in seiner Aufzählung auch den 15. April 2019 aus, aber mit folgender etwas verwirrten Beschreibung: «Nottingham forest fire? Wait, Notre-Dame fire» («Waldbrand in Nottingham? Moment, Feuer in Notre-Dame»). Und OpenAI ist scheinbar unserer Zeit weit und platziert fast 40 % der «historisch relevanten» Ereignisse in den Jahren 2026 bis 2060.
Zwei Outputs desselben Sprachmodells decken sich in 18–24 % der Antworten (gemessen am Datum, nicht am Text); zwischen den Sprachmodellen decken sie sich immer noch zu 7–14 %. Das ist deutlich ähnlicher, als wenn Menschen nach solchen Listen gefragt werden.
Viel wichtiger aber: Es wurden vor allem aus westlicher Sicht relevante Ereignisse beschrieben; Ereignisse in Afrika oder Asien sind markant untervertreten. Aus weiblicher, religiöser oder kunsthistorischer Sicht Relevantes ist ebenfalls rar. Die Outputs repräsentieren also – zumindest stereotypisch – den kalifornischen Programmierer: technisch, US-zentriert, männlich und weiss.
«Wissen wir alles schon» oder «Na und?» könnten jetzt Antworten sein.
Wir sollten aber nicht die Schlussfolgerung aus Nicolas Kayser-Brils Algorithmwatch-Artikel vergessen:
Wengers Forschung hat auch gezeigt, dass die Ähnlichkeit der von LLMs generierten Ergebnisse in dem Masse zunimmt, wie ihre Trainingsdaten sich überschneiden. Im zunehmenden Wettstreit um die Nutzung möglichst aller von Menschen erzeugten Daten für Trainingszwecke werden die unterschiedlichen LLM einander in Zukunft wohl nur noch ähnlicher werden.
Nicolas Kayser-Bril in «Alle gleich? Praxistest zeigt Bandbreite der Unterschiedlichkeit von Sprachmodellen auf»
Wir werden also zukünftig noch mehr Einheitsbrei sehen. Und fälschlicherweise immer mehr glauben, er sei irgendwie objektiv.
Krypto-Bankomaten: Verdienen am Scam
In einem aufwändig gestalteten Artikel geht CNN auf einen beliebten Anwendungszweck von «Bankomatten» für Kryptowährungen ein: Geld an Scammer zu vermitteln. Und wie Facebook & Co. (siehe letztes Briefing) sahnen auch die Betreiber dieser Automaten ab: Auf dem «Geldwechsel» gibt es oft Margen von 20 bis 30 %. Und auch hier nehmen es die Betreiber zumindest wissend in Kauf, dass ihre Kunden ausgenommen werden. Zum Teil sollen z.T. über 90 % der Transaktionen auf Betrug zurückgehen, wie US-Behörden laut CNN berichten.
Auch bei Schweizer Bitcoin-Automaten ist es ein Leichtes, beliebig viele Scheine in dem Automaten verschwinden zu lassen. Auch wenn pro Transaktion ein Limit von wenigen Tausend Franken besteht: Man kann direkt im Anschluss an eine Transaktion mit der nächsten beginnen und so die Limiten problemlos umgehen, wie wir von Scam-Opfern wissen. Know Your Customer? Wohl eher nicht.
Für alle Verfechter des anonymen Zahlungsverkehrs: Heutige Kryptowährungen sind nicht die einzige Lösung dafür. David Chaum, der schon um 1980 die Grundsteine für die Blockchain-Technologie legte, erfand um 1990 herum eine digitale Zahlungsmöglichkeit, in der der Käufer völlig anonym ist. Der Geldeingang beim Verkäufer ist aber transparent, so dass Geldwäsche und Steuerhinterziehung nicht im Verborgenen erfolgen können. Eine moderne Variante davon wird übrigens als GNU Taler von der Berner Fachhochschule weiterentwickelt.
Wer den Legion-Podcast über die globalen Scam-Netzwerke noch nicht gehört hat: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dazu. (DNIP berichtete.)
Email-Adress-Recycling bei Proton, eine schlechte Idee
Proton hat in einem Reddit-Post angekündigt, dass sie prüfen, ob registrierte, aber unbenutzte Email-Adressen für neue Benutzer freigegeben werden sollen. Dies vor dem Hintergrund, dass in den Anfangsjahren von Proton Millionen von Adressen automatisch generiert wurden, darunter auch eingängliche in Form von vorname@proton.me. Die zugehörigen Accounts wurden in der Zwischenzeit zwar weitgehend gesperrt, die Email-Adressen selbst sind aber weiterhin aktiv. Proton weist aber dann gleich selber darauf hin, dass viele dieser Adressen weiterhin Emails erhalten, eine neue Nutzerin dieser Adressen also davon ausgehen muss, auch „Altlasten“ zu erhalten.
Und damit sind wir praktisch schon beim Problem, welches sich durch ein Adressen-Recycling ergibt: Diese Adressen wurden/werden genutzt und erhalten Mails. Diese Mails können Spam sein, es kann sich um Newsletter handeln, es können aber auch Mails von Systemen wie Online-Shops oder Facebook sein, bei welchen sich mit Zugriff auf die Email-Adresse ein Passwort zurücksetzen lässt. Dass ein Unternehmen, welches seine Webseite mit „Ein besseres Internet beginnt mit Privatsphäre und Freiheit“ betitelt, überhaupt über ein Adress-Recycling nachdenkt, wirft Fragen auf.
Wir verstehen den Wunsch von Proton, eingängliche Email-Adressen für zahlende Benutzer anzubieten. Ein verhältnismässig einfacher Weg dazu wäre die Verwendung neuer Toplevel-Domains.
KI im Bewerbungsprozess
Das EU-Projekt FINDHR, das rund um Fairness bzw. Diskriminierung im Personalbereich („HR“) forscht, hat einen Werkzeugkasten vorgestellt, mit dem man algorithmische Diskriminierung bei Bewerbungs- und Anstellungsprozessen vermeiden kann.
Übrigens: Das FINDHR-Projekt hat auch Tipps für Bewerber, wie ihre Unterlagen von HR-KIs besser verstanden werden.
Wer ein Beispiel für algorithmische Diskriminierung «live» sehen will: Der Bayrische Rundfunk hat 2021 ein Tool getestet, mit denen Bewerber anhand eines eingereichten Videos klassiert werden können. Auch wenn sich die Tools verbessert haben, sie dürften immer noch zu viele Ähnlichkeiten mit Phrenologie aufweisen …
Und schliesslich:
- Zwischendurch landen komplette Anfragen an einen LLM-Chatbot auch bei ganz anderen Diensten. Und werfen Fragen auf. Leider gibt es bisher keine Antworten.
- „Tech Capitalists Don’t Care About Humans“. Lesenswertes Interview mit dem Journalisten und Philosophen Emile Torres.
- Jimmy Wales mag die Frage nicht, ob er Gründer oder Mitgründer von Wikipedia sei. Als ein Journalist ihm die Frage mehrfach stellte, lief Wales nach einer Minute davon (Youtube/Jung & naiv).

