Ja, das Ergebnis der E-ID-Abstimmung war knapp. Sie wegen Spendengeldern zu wiederholen, wäre geradezu absurd und ein Foul an der Demokratie, kommentiert Kolumnist Reto Vogt.
21’266 Stimmen trennten das Ja- und das Nein-Lager bei der E-ID-Abstimmung. Ein knappes Ergebnis. Verglichen mit einem Fussballspiel ist das wie wenn eine Mannschaft in der Nachspielzeit den Ball mit Müh und Not über die Linie bugsiert und das Spiel gewinnt.
Hat die siegreiche Mannschaft im Vorfeld mehr trainiert? Die bessere Ausrüstung gekauft? War sie an einem schöneren Ort im Trainingslager oder hatte sie einfach nur Glück? Das lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen – weder im Sport noch in der Politik. Hat die Swisscom-Spende bei der E-ID-Abstimmung den Unterschied gemacht? Waren es die besseren Argumente des Ja-Komitees oder schlicht die Tatsache, dass die E-ID neu vom Staat und nicht mehr von Privaten herausgegeben wird, wie in der ersten Vorlage zum gleichen Thema?
Keine Kausalität zwischen Spenden und Abstimmungsergebnissen
Niemand kann die Kausalität einzelner Massnahmen oder Aussagen mit der Anzahl Ja- oder Nein-Stimmen beweisen. Und dennoch konstruieren die Gegner:innen der E-ID einen Zusammenhang, den es faktisch nicht gibt. Sie reichten mehrere Stimmrechtsbeschwerden beim Bundesgericht ein und fordern nun eine Wiederholung der E-ID-Abstimmung. Das ist undemokratisch.
In der Schweizer Abstimmungsgeschichte mehrmals vergleichbar knapp: Zum Beispiel bei der Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014. Damals war die Differenz mit 19’302 Stimmen sogar noch kleiner und auch damals gab es vereinzelte Stimmen, die eine Neuansetzung forderten. Bekanntlich wurde die Abstimmung nicht wiederholt. Und 2020 bei der Kampfjet-Abstimmung (8515 Stimmen), 2017 bei der AHV-Reform (2357 Stimmen) oder 2015 beim Radio- und Fernsehgesetz (3649 Stimmen) waren die Ergebnisse noch enger, wie die Kollegen von Watson nachgezeichnet haben. War eine Wiederholung bei diesen dreien (lautes) Thema? Nein. Was damals richtig war, gilt heute und auch für die Zukunft erst recht.
Selbst wenn der Unterschied bloss eine Stimme wäre: Ein knappes Ergebnis ist kein Argument für die Wiederholung einer Abstimmung. Auch Geld- oder Sachspenden – solange sie transparent gemacht werden – sind es nicht. Zuwendungen von Wirtschaftsverbänden, Organisationen, Unternehmen und weiteren Interessengruppen gibt es, seit in der Schweiz abgestimmt wird. Und diese waren bei sehr vielen Abstimmungen bedeutend höher als die 30’000 Franken von Swisscom. Um das festzustellen, genügt ein Blick auf die Übersicht der Kampagnenfinanzierung, welche die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) seit den nationalen Wahlen im Jahr 2023 veröffentlicht.
Resultat bewahren, Gegner:innen ernst nehmen
Es wäre deshalb geradezu absurd, würde das Bundesgericht in den kommenden Wochen oder Monaten das Abstimmungsergebnis annullieren. Ein solcher Entscheid wäre fatal für künftige Wahlen und Abstimmungen: Jede noch so kleine Spende könnte künftig reichen, um unliebsame Ergebnisse zu kippen. Wer jede knappe Abstimmung neu austragen will, verabschiedet sich vom Prinzip der direkten Demokratie.
Darum müssen jetzt zwei Dinge passieren:
Erstens müssen die Beschwerden abgewiesen werden. Und zweitens muss der Bund den berechtigten Bedenken der Nein-Stimmenden Rechnung tragen; zum Beispiel mit einer kleinen Gesetzesrevision, bevor die E-ID in Kraft tritt.
Das wäre echte demokratische Nachspielzeit.
PS: Man möge mir die Fussballanalogie verzeihen. Falls jemand meint, dieser Sport sei weniger wichtig als Demokratie, dem oder der sei mit Bill Shankly geantwortet: «Einige Leute glauben, Fussball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern: Es ist sehr viel ernster.»

6 Antworten
Absurd finde ich vor allem, wie aktuell die Verlierer argumentieren bzgl. der Knappheit der Abstimmung. Jetzt hat also nur knapp ein Viertel der Stimmbürger (wegen knapp 50% Stimmbeteiligung) der E-ID zugestimmt und das wäre deshalb bedenklich.
Bei dem noch knapperen Abstimmungsergebnis zur Masseneinwanderungsinitiative wurde dann aber, weil man auf der Gewinnerseite war, gefordert, die Verfassungsänderung 1:1 dem Sinn der Initiative nach umzusetzen, weil dies das Volk ja schliesslich so gewollt habe.
Korrekt. Und ich hab jetzt noch 3 weitere, noch knappere Abstimmungen ergänzt. Sie eint, dass eine Wiederholung kein (lautes) Thema war.
Ein Gesetz, das gerade erst angenommen wurde, gleich wieder „klein“ zu revidieren, wie du es forderst, wäre das Ende der direkten Demokratie in der Schweiz. Bei einer solchen Volksabstimmung geht es um „ja“ oder „nein“, nicht um ein Meinungsbild. Damit würden die Befürworter*innen für dumm verkauft. Demokratie bedingt, dass die Unterlegenen das Ergebnis akzeptieren.
Die Gegner*innen fordern eine „kleine“ Revision, weil sie schlechte Verlierer*innen sind, weil sie damit die Einführung der E-ID verzögern könnten, nicht zuletzt mit einem neuen Referendum. Es ist doch kein Geheimnis, dass man es den hörbaren Gegner*innen gar nicht recht machen kann. Im Abstimmungskampf ging es deshalb nur selten um das E-ID-Gesetz. Es ging um absurdes „Was wäre, wenn?“ und um viele andere Themen.
Die „Privatsphäre“ ist einfach ein weiteres Thema, bei dem Mass-Voll und andere entdeckt haben, dass sie damit eine Politik der Angst betreiben können, nach Corona (oder immer noch gegen öffentliche Gesundheit und vor allem Impfungen), so wie schon gegen internationale Zusammenarbeit der Schweiz, so wie für „Frieden“ mit Russland, so wie für die eigene Freiheit über alles. Das zeigt auch die Finanzierung vor allem aus dem libertären Lager in der Schweiz. (Weshalb sich die Gegner*innen am Abstimmungssonntag im mondänen „Bellevue Palace“ trafen.) Die SVP wird zunehmend von diesen Kreisen übernommen. Es ist kein Geheimnis, dass die SVP-Leitung die „ja“-Parole fassen liessen, um diesen Kreisen zu gefallen.
„Berechtigte Bedenken“ wurden im neuen Gesetz berücksichtigt. Die Verwaltung war super froh um die Hilfe von Aussen. Die Gegner*innen hätten sich einbringen können, aber sie waren damals noch mit anderen Angst-Themen beschäftigt. Im Abstimmungskampf fielen die Gegner*innen vor allem durch Desinformation auf. Die Gegner*innen wurden dort, wo es um Argumente ging, ernst genommen. Bei Desinformation hilft die Diskussion aber nicht, denn die führt nur dazu, dass sich die Desinformation noch stärker verbreitet, auf sozialen Netzwerken sowieso.
Mit „klein“ meinte ich inhaltlich klein, im Sinne von geringfügig. Bspw. beim Thema E-ID-Alternative für private Onlineanbieter.
Beim Rest bin ich ganz bei dir. Mich störte die Desinformation im Abstimmungskampf massiv. Deshalb fordere ich auch nicht primär eine Gesetzesrevision, sondern dass die absurde Forderung nach Wiederholung dieser Abstimmung abgelehnt wird.
Ich finde ein paar Aussagen in diesem Artikel ehrlich gesagt problematisch. In einem Satz zu sagen, dass Kausalität zwischen Massnahmen nicht und Abstimmungsergebnis nicht bewiesen werden kann und dann im nächsten Satz den Umkehrschluss, dass es keinen Zusammenhang gäbe, für einen Fakt zu erklären ist schlicht nicht seriös. Dass eine Kausalität nicht bewiesen werden kann ist klar (es kann ja auch sein, dass das Bekanntwerden der Swisscom-Spende vor der Abstimmung dem Ja-Lager sogar geschadet hat). Ebenso wenig kann aber das Gegenteil bewiesen werden. Und ich finde, dass wir, wenn wir mit dem Begriff „Fakt“ nicht sauber umgehen, der Demokratie keinen Gefallen tun.
Dann zur Aussage „Zuwendungen von Wirtschaftsverbänden, Organisationen, Unternehmen und weiteren Interessengruppen gibt es, seit in der Schweiz abgestimmt wird. Und diese waren bei sehr vielen Abstimmungen bedeutend höher als die 30’000 Franken von Swisscom. Um das festzustellen“.
Ich würde dies zumindest teilweise als Whataboutism klassifizieren. Und zwar insbesondere deshalb, weil hier keine Differenzierung stattfindet zwischen (halb-)staatlichen und rein privaten Unternehmen/Akteuren/Interessengruppen. Wenn sich ein staatlich getragener Akteur in eine Volksabstimmung einmischt, dann finde ich das ehrlich gesagt auch nicht mit einer Demokratie vereinbar. Oder zumindest müsste ich dann bessere Argumente hören, weshalb das in Ordnung sein soll, anstelle eines Verweises auf Wirtschaftsverbände und Organisationen generell.
Ob das nun eine Neu-Abstimmung rechtfertigt oder nicht, da habe ich persönlich keine klare Meinung dazu. Tendenziell finde ich es in diesem Fall auch eher etwas übertrieben.
Eine Nachbesserung des Gesetzes würde ich aber auf jeden Fall begrüssen, insbesondere um gewisse legitime Punkte des Nein-Lagers aufzugreifen. Dass beispielsweise die Unverknüpfbarkeit nicht gesetzlich festgehalten wurde kann ich beim Besten Willen nicht nachvollziehen. Ebenso was den Ausschluss von Diskriminierung von Menschen ohne E-ID betrifft, der im Gesetz fehlt.
Die Befürworter haben die Abstimmung gewonnen und dies ist auch von den Verlierern zu respektieren.
Für mich stellt sich die Frage, wozu es eine E-ID in diesem Umfang braucht. Wie auf der Webseite des Bundes beschrieben, sind Beispiele, wie der Eintritt in einen Club oder an der Kasse untauglich, da für diese Szenarien auch der jetzige Ausweis reicht und wahrscheinlich auch viel schneller überprüft werden kann, als wenn ich immer zuerst freigebe, was das Personal sehen darf. Dann gibt es noch den online Einkauf, mindestens erforderlich bei Alkohol Tabakwaren usw. oder dem Besuch von Erwachsenenseiten. Beim online Einkauf von Alkohol Tabakwaren, gäbe es andere Möglichkeiten, wie bspw. der automatisierte Abgleich mit Bonitätsprüfungsprogrammen, was eine sehr hohe Sicherheit für ein Alter über 18 feststellen würde. Letztere würden wohl eher weiter in die Illegalität getrieben. Weiter trinkt, raucht kaum eine jugendliche Person allein und das Mobil kann weitergegeben werden, was einen Missbrauch kaum weiter minimiert oder gar verhindert. Einzig bei Banken, da die Gesetzeslage bei «Zeig mir deinen Ausweis neben deinem Gesicht» etwas dürftig und die Speicherung nicht genügend geregelt ist, sehe ich einen kleinen Vorteil, der aber auch leicht zu lösen wäre. OK, werden die Behördendienste durchgehend barrierefrei ausgebaut, was schon in der Vergangenheit nicht funktionierte, und wäre die E-ID lediglich für Behördendienste zugelassen, würde ich zustimmen, dass gewisse invalide Personen von der E-ID durchaus profitieren, da sie nicht vor Ort antreten müssen. Aber auch diesen Use Case könnte ohne E-ID, mit dem RFID-Reader jedes Smartphones und der bereits im Pass integrierten RFID beim Bund zentral gelöst werden.
Die Handy-App Swiyu, in der die digitale Identität gespeichert sein wird, stellt aber auch ein digitales Portemonnaie bereit. Prinzipiell nicht schlecht, kann man doch auch gleich den digitalen Schweizer Franken einführen und mit dem digitalen Franken könnte technisch sogar das Geld gesperrt werden, wenn der Bürger nicht dem Staat entspricht, weil er bspw. seine Steuern oder eine Busse nicht bezahlt hat. Klar, das sind Verschwörungstheorien, wo aktuell auch keine gesetzliche Grundlage besteht, aber wer weiss was die Zukunft bringt, hier reicht mir die Sicht in die Vergangenheit, die zeigt, dass das staatliche Handeln nicht immer das Beste für die Bevölkerung wollte, dies aber in der Vergangenheit immer so verkauft hat.
Wird in Zukunft für jeden Onlineshop, Sozialmedia usw. ein Identitätsnachweis benötigt, würde dies meine Bewegungs- und Meinungsfreiheit ohne E-ID massiv einschränken. Dies wäre wiederum unverhältnismässig und würde auch die Freiwilligkeit der E-ID deutlich in Frage stellen. In diesem Sinne mache ich eine Risikoabschätzung und komme zum Entschluss, dass das Risiko den Nutzen für den grössten Teil der Bevölkerung übersteigen wird.