Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.
Ab sofort strukturieren wir das Briefing und beginnen mit leicht verdaulichen und verständlichen Inhalten – und enden mit technologisch-komplexen Artikeln. Ziel ist es, dass sich unsere Leser:innen schneller zurechtfinden und besser einschätzen können, was sie erwartet.
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TogglePlattformregulierung geht in die nächste Runde
Nachdem der Bundesrat die lange erwartete Vernehmlassungsvorlage für eine Plattformregulierung am 16. April auf Eis gelegt hatte, regte sich in Politik wie auch in der Zivilgesellschaft Widerstand:
- Am 29. April hat die für das Thema zuständige Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates (KVF-N) den Bundesrat in einem Brief aufgefordert, den Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung zu schicken.
- AlgorithmWatch CH, CH++, Digitale Gesellschaft und Opendata.ch, unterstützt von vielen weiteren Organisationen und ParlamentarierInnen, reichten am 7. Mai einen offenen Brief beim Bundesrat ein. Im Brief fordern sie den Bundesrat auf, sich für den Schutz der Grundrechte der Schweizer Bevölkerung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine konstruktive öffentliche Debatte auf Online-Plattformen auszusprechen und einen Fahrplan für die seit langem angekündigte Plattformregulierung vorzulegen.
- Zwei NationalrätInnen reichten Motionen (TikTok und Co. sollen Risiken ihrer Inhalte aufzeigen und minimieren, TikTok und Co. sollen Präventions- und Schutzmassnahmenfonds finanzieren) ein, die zumindest inhaltlich die Regulierungs-Themen wieder aufgreifen.
- Die Grünen lancierten auf Github eine Diskussionsplattform für ein Bundesgesetz über digitale Plattformen, bei dem jeder und jede (technisch versierte) eigene Vorschläge einbringen kann. Die erste Textversion liegt auf französisch vor, Änderungsvorschläge kann man deutsch oder französisch einbringen.
- Am 6. Mai hat der zuständige Bundesrat Albert Rösti am Rand einer Debatte im Nationalrat angekündigt, dass die Vorlage bereit sei und in absehbarer Zeit wieder in den Bundesrat kommen werde.
Es bestehen also Chancen, dass es mit dem Thema Plattformregulierung in der Schweiz bei Gelegenheit doch mal noch vorwärtsgeht und die Vorlage zumindest demokratisch und offen diskutiert werden kann. Dass Plattformregulierung und die Bekämpfung von Fehlinformationen nicht dasselbe sind wie Zensur, zeigt das Time Magazine in einem aktuellen Artikel unter dem Titel How to Address Misinformation—Without Censorship auf. Dieser zeigt auf, dass Fehlinformationen seit Jahrzehnten gestreut werden, um beispielsweise von der Schädlichkeit von Nikotin oder dem Klimawandel abzulenken, oder zumindest genügend Unsicherheit zu verursachen, um aktive Gegenmassnahmen zu verhindern. Er erwähnt auch, dass Faktenchecker zwar nicht fehlerfrei sind, aber in der Gesamtheit in der Lage sind, Fehlbehauptungen richtigzustellen und der Öffentlichkeit beim Einordnen zu helfen.
Mehr Überwachung, weniger Anonymität
«Die Schweiz ist drauf und dran, autoritäre Überwachungsstaaten zu kopieren», schrieb jüngst die Republik. Im Artikel gehts um die Verordnung zum Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, die in der Schweiz unter anderem die Anonymität im Internet komplett abschaffen würde. Entsprechend würzig fielen die Stimmen in der eben zu Ende gegangenen Vernehmlassung aus. Alle Bundesratsparteien sprechen von gefährdetem Datenschutz, einer Gefährdung des Innovationsstandorts Schweiz, von unverhältnismässigen Eingriffen des Staats und unklaren Auswirkungen der geplanten Verordnungsänderungen.
Und der Chef des Wirtschaftsverbands Swico, Jon Fanzun, wurde noch deutlicher: «Die vorgeschlagene Revision ist in weiten Teilen weder verhältnismässig noch gesetzeskonform, stellt einen unverhältnismässigen Eingriff in die Freiheitsrechte dar, bringt sicherheitspolitisch keinen Mehrwert, schwächt den Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz und verursacht unnötige Mehrkosten und Bürokratie für die betroffenen Unternehmen.» Das Vorhaben ist so krass, dass sogar ausländische Techmedien wie Heise darüber berichten.
DNIP zum Hören
DNIP ist neu Teil des tollen Hörkombinat-Politpodcasts. Elvira und Dominik greifen spannende Recherchen ihrer Medienpartner auf und diskutieren diese mit den Autor:innen. In der aktuellen Folge sind Adrienne und Patrick von uns dabei und haben mit den beiden Hosts über die umstrittene Studie der Universität Zürich auf Reddit gesprochen, über das wir als weltweit erstes Medium berichten hatten. Verschiedene Medien, unter anderem Jörg Schieb, griffen unsere Berichterstattung auf.
Was ist Microsofts Charme-Offensive wert?
Microsoft hat Anfang des Monats eine regelrechte Charme-Offensive für seine europäische Kundschaft gestartet. Der Konzern hat versprochen, seine Rechenzentrums-Kapazitäten in Europa auszubauen, und diese unter eine Leitung von EU-Bürgerinnen und -Bürger zu stellen. Darüber hinaus wolle man europäische Gesetze achten und die Cloud-Aktivitäten in Europa nicht einzustellen, selbst wenn ausländische Regierungen dies fordern würden.
In einem scharfen Kommentar hat nun der Direktor des Cyberintelligence-Institut in Frankfurt, Dennis-Jenji Kipker, die Ankündigungen des US-Konzerns zerpflückt. «Warum sollte die EU bei Entscheidungen über ihre digitale Souveränität auf ein Unternehmen hören, das bis heute wettbewerbsschädigende Lizenz- und Bündelungspraktiken nutzt, um europäische Nutzer an sich zu binden?», fragt Kipker. Und findet die Ankündigungen von Microsoft «vor diesem Hintergrund befremdlich und anmassend».
Doge will effizientere Entlassungen
Kyle Schutt, Mitarbeiter von Musks Abteilung für“Government Efficiency (Doge), wurde offenbar Opfer einer Malware-Infektion. Laut einer Recherche von Micah Lee tauchten Schutts persönliche Zugänge in einer Stealer-Datenbank auf. Damit steht ausgerechnet ein Mann, der staatliche Prozesse digital effizienter machen soll, nun selbst im Zentrum eines potenziellen Sicherheitslecks. Seine persönliche Mailadresse sei in 51 verschiedenen Datanlecks aufgetaucht, heisst es im Artikel.
Gleichzeitig soll Doge zunehmend auf ein automatisiertes Tool setzen, das effizientere Entlassungen ermöglichen soll. Ziel ist es, möglichst viele Regierungsangestellte durch eine KI-gestützte Bewertung loszuwerden – in einem System, das kaum externe Kontrolle kennt.
Parallel dazu läuft auf wirtschaftlicher Ebene ein weiterer Machtpoker: Elon Musks Satelliten-Unternehmen Starlink wird von US-Botschaften und dem US-Aussenministerium gepusht. Dabei sollen zwar keine niedrigeren Zölle als Gegenleistung versprochen werden, aber verschiedene Länder sollen auf den Starlink-Kauf drängen, weil sie glauben, dass dies ihnen helfen könnte, Handelsabkommen mit der Regierung zu festigen.
Die Schattenwährung des Präsidenten
Kryptowährungen sind umstritten. Von den einen als Heilsbringer für Freiheit vor repressiven Regierungen erklärt, sehen andere in ihnen vor allem ein Werkzeug für illegale Aktivitäten wie Erpressung (z.B. Ransomware), Geldwäscherei, Handel mit verbotenen Substanzen und Materialien, Schneeballgeschäfte, Korruption und andere Formen der Selbstbereicherung.
Dass aber der amtierende Präsident eines angesehenen Landes zu Kryptowährungen greift, um seine Finanzschunkeleien zu vergolden und gleichzeitig intransparent zu machen, ist ein Novum. Gut, offiziell läuft vieles über seine Söhne; aber die ganze Familie verdient daran. The Intercept hat eine Liste der Kryptoaktivitäten der Trump-Familie (und die aktuellen Regulierungsschritte rund um Kryptowährungen in den USA).
Eine besonders seltsame – und gegen die Regeln des Weissen Hauses verstossende – Methode ist, 25 «Essenseinladungen» via Kryptowährungen auszusprechen. Molly White hat versucht, die Liste der Gäste zu rekonstruieren, die sich dieses Privileg für rund 137 Millionen US-Dollar zu erkaufen erhoffen. Etliche weitere dürften trotz Investition von Hunderttausenden von Dollar keinen Platz am Tisch erhalten und leer ausgehen. Auch an anderer Stelle ist davon auszugehen, dass Trumps Regierungsgeschäfte vor allem die eigenen Finanzen aufpolieren sollen.
Mark Hays fasst die Trump-Aktivitäten wie folgt zusammen, nachdem er betont hatte, dass die Kryptowährungen von einer kleinen Gruppe von Insidern kontrolliert werden, die sich auf Kosten der Endkunden bereichern können:
None of us here should lose sight of the fact that, in many ways, the Trump family is simply copying common crypto business practices.
In other words, many of the potential issues we see with the Trump family’s crypto practices are a feature — not a bug — of the crypto industry.
In etwa: «In vielen Beziehungen kopiert die Trump-Familie einfach die verbreiteten Praktiken der Kryptofirmen. Oder mit anderen Worten: Die Probleme, die bei den Krypto-Aktivitäten der Trump-Familie auftauchen könnten, sind also ein Feature – und nicht etwa ein Bug – der Krypto-Industrie.»
Mark Hays, zitiert bei The Intercept
Und schliesslich:
- Es gibt im aktuellen AI-Hype viele mässig sinnvolle Anwendungen, es gibt vermutlich sogar die eine oder andere, welche im Rahmen des Möglichen in einem gewissen Umfang sinnvoll ist. Den Preis für den sinnfreisten AI-Einsatz eines LLMs hat letzte Woche ein Entwickler gewonnen, der ein LLM mit dem Livestream von der sixtinischen Kapelle fütterte, um zu erkennen, ob weisser Rauch aufsteigt. Mit Kanonen auf Spatzen geschossen ist das schon rein aus Technologie-Optik, gibt es doch Bild- und Farberkennungs-Algorithmen bereits seit längerem (d.h insbesondere um Jahrzehnte länger, als es LLMs gibt), und solche wären deutlich ressourcenschonender beim Erkennen von weissem Rauch als ein LLM. Und jeder, der unbedingt eine «Habemus papam»-Notification brauchte, konnte dazu die Push-Nachrichten des Medienportals seiner Wahl aktivieren, ganz ohne KI.
- Die Mozilla Foundation hat ungewöhnlich offen über die Abhängigkeit zu Google gesprochen. Zu Mozillas Gesamtumsatz in Höhe von 653 Millionen Dollar steuert Google rund 495 Millionen Dollar bei. Ein Ende der Zusammenarbei t(wie das je nach Ausgang eines US-Kartellrechtsverfahrens möglich wäre) könnte das komplette Aus der Non-Profit-Organisation bedeuten.
- Dass «Cloud» nicht immer «günstig» heisst, hatte der Chef des Softwareentwicklers 37Signals, David Heinemeier Hansson, schon vor über einem Jahr dokumentiert. Nun ist auch der Umzug des – fix vorgebuchten – Cloudspeichers vorbei. Und die Firma spart weitere 1.3 Millionen pro Jahr dank dem Cloud-Exit.
- Auch wenn wir Menschen häufig glauben, es drehe sich alles um uns: Gewisse KI-generierte Webseiten sind gar nicht für uns bestimmt, sondern nur für Google & Co. Tobias Watzl hat am Beispiel eines vollständig KI-generierten Reiseblogs nachvollzogen, was das Geschäftsmodell dahinter ist: Frei gewordene Domains – schon lange ein Handelsobjekt – werden heute nicht mehr mit einer simplen Nachricht «Sie können diese Domain erwerben» sogenannt «geparkt», sondern mit KI-generierten Inhalten. Damit die Webseite ihren guten Platz im Google-Ranking behält. Damit steigt sowohl der «Wert» für einen allfälligen Käufer, der darauf wieder eine Seite mit Inhalt anbieten will, aber auch für jemanden, der diese Seiten nur verwenden will, um eine andere – möglicherweise betrügerische – Seite zu boosten. Schöne neue Welt!
2 Antworten
Das KI-generierte Reiseblog könnte sogar noch Werbegelder abgreifen, könnte ich mir vorstellen.
Ich habe jetzt auch endlich meine ultimative KI-Anwendung gefunden: RegEx Expressions generieren lassen 😉
Wenn es „dumm“ läuft, finanziert sich das Ganze von selbst …