Die Redaktion präsentiert jeden Dienstag die Geschichten, die sie bewegt, aufgerüttelt oder zum Nachdenken angeregt hat.
Hoffnung ist oft leiser als Angst. Sie tritt nicht auf in markigen Reden, sondern in kleinen Gesten. In der Entscheidung, weiterzumachen, obwohl alles wankt. Florence Gaub, Militärexpertin und Zukunftsforscherin bei der Nato, sieht in der Wiederwahl Donald Trumps keinen Grund zur Panik. Im Gegenteil: Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung wirbt sie für einen nüchternen Blick auf die Gegenwart – und ein besseres Gedächtnis für das, was wir in der Geschichte bereits bewältigt haben. Statt Alarmismus empfiehlt sie Gelassenheit. Und das Lesen längerer Texte.
Gelassenheit dürfte in den Büros von Brack.ch aktuell ein Fremdwort sein. Ein Hacker behauptet, Daten von 2,4 Millionen Brack-Kunden erbeutet zu haben, darunter Telefonnummern, Mailadressen, Postadressen, Rechnungen und Informationen zu gekauften Artikel. Das Unternehmen will den Breach aktuell nicht bestätigen, informiert aber seine Kundschaft und empfiehlt Passwortänderungen.
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Toggle50 Jahre Microsoft
Man kann zu Microsofts Geschäftspolitik und Übermacht im IT-Bereich durchaus geteilter Meinung sein. Nichtsdestotrotz sind seit der Gründung des Unternehmens 50 Jahre vergangen, und es gehört durchaus einiges strategisches Geschick (und auch das eine oder andere Ausnutzen einer Quasi-Monopolstellung) dazu, während dieser Zeitperiode relevant zu bleiben. Abgesehen von HP (unterdessen aufgespalten), IBM (welche keine Enduser-Rechner mehr herstellen) und Intel sind kaum mehr Unternehmen aus dieser Zeit nennenswert aktiv (Apple wurde erst 1976 gegründet). Dass bereits die Anfänge von Microsoft auf Vaporware basierten, dürfte nicht unbedingt breit bekannt sein. Bill Gates beschreibt in einem Blog-Beitrag, wie Paul Allen und er innerhalb von zwei Monaten die erste Version von Microsoft Basic entwickelten, nachdem sie das Produkt defacto bereits verkauft hatten. Wohl eher für Computer-Historiker und Freundinnen von 157 Seiten Assembler-Code interessant ist der Original-Sourcecode dieses Basic-Interpreters.
ChatGPT stellt jetzt auch Pässe aus
Das Beilegen von ID- oder Passkopien beim Anfordern von persönlichen Daten oder beim Online-Abschliessen eines Mobiltelefon-Abos ist eine weitverbreitete Methode des Identitätsnachweises. Dass diese nicht über alle Zweifel erhaben ist (da insbesondere nicht-behördliche Stellen kaum jedes Mal eine Echtheitsprüfung machen), ist seit geraumer Zeit klar. Doch nun hat sich dank KI die Methode wohl endgültig als untauglich erwiesen: ChatGPT-4o ist in der Lage, eine ID zu erzeugen, welche zumindest bei einer visuellen Kontrolle (wie sie zum Beispiel bei einem per Mail eingereichten ID-Bild erfolgt) nicht als Fälschung erkannt wird. Da eine ID noch weitere Sicherheitsmerkmale enthält (in der Schweiz zum Beispiel auf Vorder- und Rückseite je ein holografisches Bild des ID-Besitzers), dürfte eine Fälschung der realen Karte auf diese Weise (noch) nicht möglich sein. Aber zumindest für Online-Identifikationen reichen ID-Kopien definitiv nicht mehr aus. Ob bei einer VideoIdent-Prüfung das Fehlen des Holograms auffallen würde, wäre zu verifizieren. Und auch wenn OpenAI schnell reagierte und die Erstellung von IDs in ChatGPT sperrte: Die Zeit, in der «schicken Sie uns bitte ne ID-Kopie per Mail» als Identifikation ausreichte, dürfte in den nächsten Monaten zu Ende gehen.
Geschichtsklitterung I: Revisionismus
«Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.», so lautet einer der Rationale der allmächtigen Partei in «1984». In Orwells Roman musste für die Veränderung der Geschichte mühsam alle Zeitungen aus den Archiven geholt und mit der «neuen Wahrheit», aber altem Datum, neu gedruckt werden. In der digitalen Zeit ist das viel einfacher. Da können Webseiten «einfach mal so» geändert werden. So wurde in den letzten paar Wochen beispielsweise die Biografie von Vera Rubin auf dem nach ihr benannten Observatorium so geändert, dass ihr Einsatz für Frauen in den Wissenschaften gelöscht wurde.
Dieses Wochenende sollten ebenfalls die Klimadaten der US-Ozean-und-Atmosphärenbehörde NOAA gelöscht werden. Unterdessen wurde die Deadline auf den 31. Juli verschoben. An den Kosten kann es nicht liegen, da Amazon diese und weitere Open-Data-Projekte kostenlos hostet.
Die neueste ideologische Anpassung ist, dass die Befreiung von rund 100’000 Sklav:innen aus den amerikanischen Südstaaten im 18. und 19. Jahrhundert jetzt umgeschrieben wurde und «Sklaverei» nicht mehr vorkommt. Und das auf den Seiten des National Park Services, einer Organisation, die sich um die Bewahrung der Geschichte kümmern soll.
Die Verfügbarkeit und historische Korrektheit von Daten ist nicht länger gewährleistet. Um so wichtiger ist es, dass mehrere unabhängige Archive von solchen auch international relevanten Daten sichergestellt bzw. aufgebaut werden.
Geschichtsklitterung II: Unpersonen
Wie schnell Informationen auch über noch lebende Personen gelöscht werden können, zeigt die Geschichte um den chinesischstämmigen Informatikprofessor Xiaofeng Wang, der schon über 20 Jahre in den USA als Professor mit Tenure (Anstellung auf Lebenszeit) lehrte. Es ist weiterhin vieles unklar, aber die aktuellen Informationen deuten darauf hin, dass die Universität eine Administrativuntersuchung gegen ihn eingeleitet hatte. Das Vergehen, das im vorgeworfen wurde, sei nicht schwerwiegend, meinten Kollegen.
Laut seinem Anwalt seien Wang und seine Frau nicht verhaftet worden. Wieso es trotzdem zu der für eine derartige Anstellung unüblichen mutmasslich fristlosen Kündigung gekommen sei, wieso auch seiner Frau gekündigt wurde und wieso jeglichen Informationen über ihn und seine Frau von den Uniwebseiten verschwunden ist, bleibt weiterhin ein Rätsel.
Vor allem aber sollte es zu bedenken gaben, dass im Land, das u.a. als Vorbild für den Schweizer Bundesstaat diente, inzwischen die Freiheit von Universitäten eingeschränkt wird und renommierte Forscher unter mysteriösen Umständen sowohl physisch als auch digital vom einen auf den anderen Tag verschwinden können und man direkt wieder zum Tagesgeschäft übergeht.
Llama wäscht weisser
Meta (ex-Facebook) bewirbt seine KI-Modelle Llama als Open Source. Dass die meisten KI-Modelle, die als «Open Source» deklariert werden, nicht dem entsprechen, was viele Open-Source-Vertreter erwarteten, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Während die Lizenz für kleine Firmen grundsätzlich den aktuellen verwässerten «Open-Source-KI»-Claims zu entsprechen scheint, trifft das für grosse Firmen nicht zu: Bei zu vielen Nutzern muss man eine zusätzliche Lizenz von Meta erwerben. Durch die Metas Acceptable Use Policy wird die angebliche «Offenheit» noch massiv weiter eingeschränkt: So sind nicht nur etliche Modifikationen am Modell (ein Grundrecht von Open Source) verboten.
Die angebliche Offenheit wird durch ein komplettes Verbot des Betriebs des multimodalen Llama-Modells durch Personen und Firmen mit Sitz in der EU geradezu lächerlich gemacht.\
Also: Einige Open Source-Lizenzen sind «Openwashing extrem»; und wenn man in Gesetzen «Open Source» spezifiziert, insbesondere rund um KI, muss man genau definieren, welche Eigenschaften diese Systeme haben sollten, damit sie die Erleichterungen der Gesetze verdienen.
Und schliesslich
- Patreon ist eine beliebte Plattform zur Unterstützung u.a. von Open-Source-Projekten und unabhängigen Medienschaffenden. Diese erhalten neu ihr Geld z.T. erst 75 Tage nach der Belastung bei der Spenderin. Und wenn diese Spende von einem iOS-Gerät aus gemacht wurde, erst noch um 30% reduziert.
- Erste wissenschaftliche Publikationen mussten ihren Autor:innen gegenüber klarstellen, dass KI-Chatbots nicht als Koautoren aufgeführt werden sollen. Weil diese LLMs eben keine Verantwortung übernehmen könnten für Korrektheit, Integrität und Originalität des Inhalts. Und eben diese Verantwortungsübernahme Teil der (Ko-)Autorenschaft sei.
- Wer den Überblick behalten will, liest bei der New York Times nach. Jenseits der Schlagzeilen, mit Akribie dokumentiert: die ersten 100 Tage der zweiten Amtszeit von Donald Trump.
- Eine Fitness-App ist längst auch ein Recherchewerkzeug. Strava speichert Bewegungsdaten öffentlich – und verrät damit mitunter mehr, als Nutzer:innen beabsichtigen. Eine Heatmap visualisierte einst Laufstrecken rund um US-Militärstützpunkte – Soldaten hatten ihre Runden aufgezeichnet und versehentlich öffentlich gemacht. Bellingcat nutzte Strava nun gemeinsam mit der britischen Sunday Times, um einem Drogenkartell auf die Spur zu kommen.
Eine Antwort
Made my Day. Mit einem frühen Nachfolger des Altair Microsoft Basic-Interpreters habe ich auf einem ALTOS 8000 meine ersten Gehversuche im Programmieren gemacht. OK, ein Commodore Pet 2001 (ebenfalls mit Microsoft Basic) war auch noch beteiligt.
Damals gab es für den Altos auch schon den Basic Compiler, der im ersten Versuch, vermutlich aus Zeitgründen, nicht umgesetzt wurde.
Ich fühle mich gerade sehr alt 🙂
https://vintage-computer.com/machines.php?altos8000acs
Wenn ich das lese: ich konnte auf einer Maschine mit damals unfassbaren 192KB Ram und maximal 4 angeschlossenen Televideo-Terminals, die gleichzeitig Benutzer arbeiten lassen konnten, Dinge tun.