Weil grosse Zeitungsverlage mit dem Leistungsschutzrecht liebäugeln, werden sie nun von Google umgarnt. Kolumnist Reto Vogt sieht eine gefährliche Abhängigkeit.
Ab sofort erhalten ausgewählte Schweizer Zeitungsverlage Geld von Google, wenn sie bei ausgewählten Artikeln die Paywall entfernen. Das ist vereinfacht gesagt das Konzept von «Google News Showcase» – ein Projekt, das diese Woche in der Schweiz gestartet ist. Mit an Bord sind CH Media, NZZ, Ringier, Somedia, Tamedia und die 20 Minuten Gruppe.
Schweizer Medienhäuser sind nicht die ersten, die von Googles «Unterstützung eines unabhängigen und vielfältigen Nachrichtennetzwerks» – so umschreibt der Konzern sein Vorgehen selbst – profitieren. Den News Showcase gibts in 30 weiteren Ländern; die Schweiz stösst also reichlich spät hinzu.
Der Zeitpunkt indes dürfte aber kein Zufall sein: Just kurz bevor das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) eine Botschaft zum Leistungsschutzrecht (LSR) ausarbeitet, umgarnt Google die grossen Verlage, die das LSR befürworten. Beim LSR gehts darum, dass Tech-Konzerne wie Meta oder eben Google für die Nutzung aller (!) journalistischer Leistungen bezahlen müssen. Das hatten wir schon mal: Im Sommer 2023 schrieb Cnet zur Lancierung von Showcase in den USA: «This news comes as more local and national governments push for online platforms, like Google and Meta, to share advertising revenue with media organizations».
Google will bestimmen
Warum tut Google das? Nicht aus Uneigennutz und zur Förderung von unabhängigem Journalismus, wie der Konzern gern behauptet. Nein, es geht um etwas anderes:
Mit News Showcase nimmt Google das Heft des Handelns selbst in die Hand. Google entscheidet, mit welchen Verlagen der Konzern kooperiert. Google entscheidet, wer wie viel Geld erhält. Google entscheidet, welche Inhalte wie viel Reichweite erhalten, Google entscheidet: Alles. Demgegenüber würde das LSR eine allgemeine Vergütungspflicht schaffen, die weniger flexibel und wahrscheinlich teurer für Google wäre. (Warum ich das trotzdem für falsch halte, habe ich 2022 hier beschrieben.)
Noch für viel falscher halte ich es aber, Google die Kontrolle zu überlassen. Durch die selektiven Kooperationen entsteht ein weiteres Ungleichgewicht in der Medienbranche. Dabei hilft die Intransparenz über die Höhe der Vergütungen nicht. Im Gegenteil. Erhalten alle Verlage gleich viel? Und wenn nein, warum nicht? Und was ist mit kleineren Verlagen und Medien aus der Romandie oder dem Tessin? Schwierig!
Was ist mit Google-kritischen Texten?
Kritisch sehe ich ausserdem die dadurch entstehende Abhängigkeit: Google teilt mit, dass Redaktionen ihre Leserinnen und Leser auf «ausgewählte Nachrichten aufmerksam machen und sie zu den ungekürzten Artikeln auf den Webseiten weiterleiten» könnten. Was aber, wenn sich eine Redaktion für einen Google-kritischen Artikel entscheidet? Ich unterstelle Google, dass diese Geschichten nicht gleich behandelt werden wie alle anderen Inhalte.
Google News Showcase ist in meinen Augen eine taktische Massnahme, um die Auswirkungen des drohenden Leistungsschutzrechts in der Schweiz abzumildern oder gar zu verhindern. Gleichzeitig stellen sich mir Fragen: Sind solche Programme nachhaltig und fördern sie tatsächlich die Interessen des unabhängigen Journalismus? Für mich lauten beide Antworten Nein.
Weniger Big-Tech-Einfluss, bitte!
Klar wirkt Geld von Google auf den ersten Blick attraktiv und hilft Verlagshäusern dabei, strukturelle Probleme zu lösen oder mindestens zu überbrücken. Es führt jedoch auch dazu, dass der Einfluss des Konzerns auf den Journalismus (und indirekt auch auf die Politik) wächst. Hinzu kommt nicht zuletzt die Problematik, dass wohl nur die wenigsten Userinnen und User zwischen dem klassischen Google News (wo nicht nur ausgewählte Medien stattfinden) und Showcase unterscheiden können.
Ich finde: Die Verlage sollten sich gut überlegen, ob sie kurzfristige Einnahmen langfristiger Unabhängigkeit opfern wollen. Von Google Geld nehmen ist das eine, sich vom Konzern abhängig machen, das andere. Darüber nachzudenken, lohnt sich. Jetzt kommen ja die Tage, wo man Zeit hat dafür.
Dies ist die letzte Kolumne im 2024. Ich wünsche gute Erholung, einen super Rutsch und Ihnen wie dem Journalismus ein besseres 2025.