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Verjüngung für die Pro Senectute durch NFT und Metaverse?

NFT Ape+Discount

Die Pro Senectute beider Basel hat vergangene Woche ihr NFT-Projekt gelauncht und bereits davor über ihr Engagement im Metaversum informiert. Michael Harr, Geschäftsleiter des Basler 15-Millionen-Unternehmens, will mit dem Kauf dieser „Grundstücke“ an «zentraler Lage» in zwei Online-Welten laut Medienmitteilung die Solidarität zwischen den Generationen fördern sowie ältere Personen befähigen, aktuelle und zukünftige digitale Technologien zu nutzen, ihre Integration zu fördern und soziale Isolation zu reduzieren.

Siehe auch den DNIP-Artikel und noch mehr zum Thema Blockchain.
BTW: Would you prefer reading this in English 🇬🇧? No problem!

Wir wollten uns mal umschauen, was «zentrale Lage» in einer Onlinewelt namens „Decentraland“ überhaupt bedeuten solle. Decentraland misst 5 km auf 5 km und die Pro-Senectute-Präsenz findet man 500 m vom Stadtrand entfernt, also an den äusseren 10% des bebaubaren Raumes. Auch der Blick vom Dach des Anarchie-Cafés direkt nebenan schreit alles andere als „zentral!“: Eine menschenleere Umgebung, so weit das Auge reicht und auf der anderen Strassenseite eine schier endlose Steppe. Weder herumlaufen noch mehrere spätere Besuche änderten daran etwas.

Michael Harrs Vision geht aber weit über das Heute hinaus: «Wo erreichen wir in ferner Zukunft ältere Menschen und wie holen wir sie ab?»

Ein Blick hinter die Kulissen der Metaversen und NFTs helfen uns zu verstehen, ob dieses Ziel erreicht werden kann.

Der Blick vom Dach des benachbarten Anarchie-Cafés auf die Pro-Senectute-Doppelparzelle im Decentraland (links unten, schwarz), die Hauptstrasse (Mitte) und die Steppenlandschaft (rechts).

Was aber ist das Metaversum?

Ein Metaversum oder englisch Metaverse ist, laut Wikipedia, ein digitaler Raum, der durch das Zusammenwirken virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht. Neal Stephenson schuf den Begriff vor 30 Jahren für eine Online-Welt, welche ihren Usern zumindest zeitweise die Flucht aus der Dystopie von «Snow Crash» ermöglicht. Einer breiteren Masse wurde der Begriff „Metaversum“ anlässlich der Umbenennung der Firma Facebook in Meta bekannt.

Über 200 solcher virtueller 3D-Erlebnisräume werden heute von verschiedenen Firmen angeboten. Analog zu Social-Media-Plattformen versuchen sich auch diese Metaversen durch Inkompatibilität und Lock-In-Mechanismen voneinander abzugrenzen: „Kundenbindung“ mittels Walled Gardens.

Entsprechend müssen sich auch Kunden mehrfach engagieren. Die Pro Senectute beider Basel hat in zweien dieser Metaversen, Decentraland und The Sandbox, «Parzellen erworben mit der Vision, dort einst ein virtuelles Kurszentrum oder eine virtuelle Beratungsstelle mit Begegnungsstätte aufzubauen» (Harr). Zur Zeit werden dafür noch Metaverse-Architekten gesucht.

Schauen wir uns diese beiden Metaversen etwas genauer an.

Metaverse 1: Decentraland

Blick von der Hauptstrasse auf den Baugrund mit stylischem „Under Construction“-Schild (links neben dem Schriftzug). Nachbarschaft von links: Anarchie-Café, Menstruations-Pyramide, kanadische Kanzlei.

Der Einstieg für neue Decentraland-Nutzer ist relativ unproblematisch, wenn man Englisch spricht: Im Browser play.decentraland.org besuchen und wählen, dass man als Gast spielen möchte (und je nach Computer noch die Meldung wegklicken, dass die Grafikleistung nicht ausreiche). Einige Ladezeit später wird man von einer Einführung begrüsst, die erläutert, wie man sich mit der von Ballerspielen bekannten Kombination von Maus und Tastatur durch die virtuellen Welt bewegt. Mit einen Sprung ins kalte Wasser (wortwörtlich) kommt man in die Innenstadt mit vielen Gebäuden, aber keinem einzigen anderen Spieler.

Ballerspiel-unerfahren, leicht desorientiert und genervt von den manchmal plötzlich materialisierenden Wänden versuche ich, die «zentrale Lage» (Koordinaten -38,120 und -38,121) via Karte zu lokalisieren.

Die Decentra-Landkarte auf maximaler Zoomstufe. Der Pro-Senectute-Standort ist trotzdem noch weit „nördlich“ des Kartenendes.

Trotz maximaler Zoomstufe zeigt die Karte nur gut einen Drittel des Weges bis zur Pro Senectute an. Im Chat kann man allerdings „/goto -38,120“ eingeben, wie mir eines der im Spiel allgegenwärtigen Werbeplakate später erklären wird (weil es mich zu dem dort beworbenen „Grundstück“ an anderer Koordinate locken will).

Die Doppelparzelle besteht aktuell nur aus einer schwarzen Wand, vor(!) der die Schrift „Pro Senectute beider Basel“ schwebt und ein „Under Construction“-Schild steht, welches Erinnerungen an 90er-Jahre-Webseiten wachruft.

Die Umgebung der Onlinepräsenz (oder besser -absenz?) der Pro Senectute ist noch relativ leer. Wieso die Wahl auf dieses „Grundstück“ fiel, erschliesst sich mir nicht. Weder die benachbarte kanadische Anwaltskanzlei, noch die dahinterliegende Werbung für eine Menstruations-App scheint wirklich auf Schweizer Seniorinnen zugeschnitten.

Der Blick von 50 m „südöstlich“ der Parzelle.

Vielleicht aber finden einige der Herren Senioren Gefallen am überfraugrossen Pin-Up-Girl des NFT-Discounts, das man nach ein paar Schritten in südöstlicher Richtung bewundern kann. Zumindest kann man die Wartezeit bis zur Eröffnung des Kurszentrums dort etwas überbrücken.

Metaverse 2: The Sandbox

Die Sandbox-Übersichtskarte mit der Pro-Senectute-beider-Basel-Parzelle.

Für The Sandbox muss man auf alle Fälle ein Konto anlegen, was erst nach mehreren Versuchen funktioniert. Dann stellt sich heraus, dass eine separate Anwendung nötig ist, welche nicht mit meinem Rechner kompatibel ist.

Ein Kollege hat einen kompatiblen Rechner und kann dann nach mehreren Gigabytes Download endlich zu spielen beginnen. Die Bedienung von The Sandbox ist ihm aber nicht intuitiv genug, als dass er an die «Premium»-Koordinaten der Pro Senectute navigieren kann.

Wenn zwei Informatiker schon an ihre Grenzen stossen, wie sieht es dann erst bei Senioren aus? Vermutlich müssen diese sich zuerst ins physische Kurszentrum in der Basler Innenstadt bemühen, wo ihnen dann erklärt wird, wie sie ins virtuelle Kurszentrum kommen.

Frühe Metaversen

Second Life begrüsst uns freundlicher in Sprache (Deutsch) und Grafik.

Seit den 1980ern wurden Onlinespiele für erste soziale Interaktionen genutzt, damals noch textbasiert. Einen etwas grösseren Bekanntheitsgrad erlebten Onlinewelten dann ab 2003 mit der 3D-Welt von Second Life oder mit Online-Rollenspielen wie World of Warcraft. Die heutigen Metaversen hoffen, aus diesem Nischendasein zu entkommen.

Sowohl Second Life als auch World of Warcraft, obwohl viel älter, zeichnen sich durch realistischere (und meiner Ansicht nach freundlichere) Grafik aus als die Pro-Senectute-Selektion.

Metaversum zur Interaktion

Der Grundriss eines Community-WorkAdventures (links, mit einem kleinen Blick auf den grossen Garten vor dem Büro) mit unseren Avataren. In der Lounge wird automatisch und intuitiv eine Videokonferenz zwischen allen Anwesenden initiiert.

Im Frühling 2020 begann für viele die Home-Office-Pflicht. Mit Workadventure schufen ein paar Franzosen eine Plattform, mit der sie die soziale Aspekte ihres gewohnten Büros ins Home Office retten konnten. Es entstand eine offene Plattform, auf der jeder seine eigenen 2½D-Szenen erstellen konnte. Oft wurden Bürowelten mit Sitzungszimmern und Lounges nachgebildet, die gleichzeitig in denen sich Personen ganz natürlich treffen konnten. Zusätzlich aber gibt es auch Möglichkeit, Objekte mit Webseiten oder anderen Workadventures zu verbinden: Pinwände können so Informationen aus dem Intranet darstellen oder Türen führen zu anderen Workadventure-Metaversen, ganz im offenen Stil des Web und seinen Links. Alles mit dem Ziel, informellen sozialen Austausch in übersichtlichen und trotzdem freundlich gestaltbaren virtuelle Welten zu ermöglichen.

Neben nüchterner Büroatmosphäre ist – wie hier in einer Welt für Schüler ­– auch eine buntere Grafik möglich.

Was ist ein NFT?

Die Online-Präsenz der Pro Senectute beider Basel soll über NFTs finanziert werden, eigens für diese Aktion gestaltete Kunstwerke, die auf der Blockchain gehandelt werden können.

„NFT“ steht für „Non-Fungible Token“, in etwa eine „nicht austauschbare Wertmarke“. Das „nicht austauschbar“ dient der Unterscheidung zu den „normalen“, austauschbaren Wertmarken wie beispielsweise digitalen Münzen: Jeder digitale Fünfliber kann durch jeden anderen digitalen Fünfliber ausgetauscht werden und keiner wird es merken.

Diese NFTs wird von Einigen als die Zukunft der digitalen Kunst vermarktet (und für vieles andere mehr). Dazu wird auf der Blockchain ein Programm gespeichert, ein sogenannter „Smart Contract“, über den diese Kunstwerke gehandelt werden können. Diese Handänderungen und die dafür geleisteten Zahlungen werden auch wieder in der Blockchain gespeichert. Interessanterweise ist das Kunstwerk selbst aber nicht in der Blockchain, sondern nur die URL (Webadresse) ist im Smart Contract gespeichert.

Damit ist ein Kunst-NFT und sein Smart Contract:

Dem NFT (und dem darunterliegende Smart Contract) fehlen hingegen (manchmal oder aber immer):

  • Nutzungsrecht: Am NFT bzw. seinem Smart Contract hängt ein oft nicht genau bestimmtes Nutzungsrecht.
  • Hürde: Der Vertrag stellt aber keine technische Hürde dar, das Kunstwerk einzusehen oder auch herunterzuladen. Im Gegenteil, er weist jeden Nutzer der Blockchain darauf hin, wo das Kunstwerk heruntergeladen werden kann.
  • Vertrauenswürdigkeit: Einige dieser Smart Contracts verrechnen „einfach“ eine Gebühr bei ihrem Wiederverkauf (oft nicht deutlich deklariert); andere sind aktiv bösartig (z.B. klauen sie Krypto-Geld oder NFTs), etliche sind fehlerhaft und können von Hackern missbraucht werden. Und das alles, ohne dass man es ihnen ansieht.
  • Korrigierbarkeit: Viele Smart Contracts bieten keine Möglichkeit für ein Softwareupdate, welches Fehler oder Sicherheitslücken korrigieren könnte. Dies, weil diese Updatemöglichkeit auch wieder missbraucht werden kann (und auch schon wurde).
  • Kulanz: Gegen fehlerhafte oder bösartige Smart Contracts ist kein Kraut gewachsen. Auch nicht gegen einfache Tippfehler beim Transfer. Es gibt keine Rekursmöglichkeit, der Geschädigte kann auch kein Gericht anrufen. Die Hoffnung auf eine Grosszügigkeit der Gegenpartei ist ebenfalls prinzipiell unmöglich: Das Smart Contract-Programm, einmal gestartet, handelt völlig stur und autonom und lässt sich von nichts und niemandem beeinflussen („Code is Law“: Der Programmcode ist das alleinig gültige, erst- und letztinstanzliche Gesetz).
  • Vertrag: Wahrscheinlich entspricht dieser „digitale Vertrag“ nicht einmal dem, was das Obligationenrecht unter einem Vertrag versteht, da eine Zustimmung zu einem solch unverständlichen Konstrukt nicht als Willensäusserung gesehen werden kann. Im Falle einer (bei Smart Contracts einfach möglichen) Täuschung fehlt auch die zwingende Möglichkeit zur nachträglichen Korrektur, beispielsweise durch Aufhebung oder Berichtigung des Vertrags.
  • Eindeutigkeit: Die angebliche Eindeutigkeit der NFTs ist eine Illusion. Ebenso ist ohne zusätzliche, z.T. aufwändige Recherche nicht nachprüfbar, ob der Ersteller des NFTs auch der Inhaber des Urheber- oder Nutzungsrechts am Kunstwerk ist. (Anders gesagt: Die Tatsache, dass etwas als NFT verkauft wird, sagt noch nichts über seine Echtheit aus bzw. ob es kopiert/gefälscht ist.)
  • Kostenlosigkeit: Transaktionen rund um Smart Contracts (auch schon alleine das Verschieben von der linken in die rechte Hosentasche des Besitzers) kostet Geld, genauer gesagt, „Kryptowährungen“. Diese sind keine Währungen im klassischen Sinne, da ihnen sowohl der funktionierende Geldkreislauf als auch die notwendige Stabilität fehlt.
  • Wert: Den Wert von Kunst zuverlässig und objektiv zu quantifizieren ist bereits ein Ding der Unmöglichkeit. Noch schwieriger wird es, wenn der Massstab dafür, die Kryptowährung, selbst hochspekulativ ist und quasi nur durch ein Schneeballsystem am Leben erhalten werden kann.
  • Einfachheit und Demokratie: Die erste Blockchain wurde 2008 geschaffen als Gegenreaktion zu einem von wenigen Leuten dominierten Wirtschaftssystem, welches von Gier, Ineffizienz, Intransparenz und übermässiger Komplexität geprägt sei. Das durch die Blockchains geschaffene Wirtschaftssystem ist aber vollständig durchsetzt von geballter Gier, Ineffizienz, Intransparenz und unnötiger Komplexität. Und, trotz der regelmässig wiederholten Versprechen von Fairness und Demokratisierung durch die Blockchain steht die dahinterliegende Finanzmacht in der Hand von ganz wenigen Leuten mit zum Teil sehr seltsamen Vorstellungen von der Gesellschaft, in der wir alle leben sollten.

Kurz: Es wird ein sehr komplexes, undurchsichtiges und unklares System ohne Möglichkeit für Rekurs oder Gnade aufgebaut, welches unsere Rechte nach Privatsphäre mit Füssen tritt und — allen Beteuerungen von Fairness und Verteilung zum Trotz — eigentlich nur einigen wenigen (Neu-)Reichen zugute kommt.

Der Einsatz von NFTs ändert nichts Grundsätzliches an den Problemen bei der Finanzierung von Kunst oder gemeinnützigen Organisationen: Am oft unfairen Zugang zum Publikum, an der oft unfairen Bezahlung und am oft schwierigen Zugang zu Vorab-Investitionen. Es ist auch kein Schritt in eine völlig neue Kunstkultur oder Kunstfinanzierungskultur. (Oder, im Falle von Pro Senectute, der Spendenkultur.)

Im Gegenteil, es ist meiner Ansicht nach nicht nur ohne Nutzen, sondern langfristig sogar schädlich für die Gesellschaft.

Ziele erfüllt?

Erfüllen nun NFTs und die ausgewählten Metaversen die Ziele der Pro Senectute beider Basel? Schauen wir uns zuerst die Ziele rund um die NFTs an:

NFT-Ziele

A. Einzigartiges Eigentum?

In ihrer Medienmitteilung schreibt die Pro Senectute beider Basel: «Ein NFT bildet ein digitales Eigentumszertifikat ab und stellt somit ein einzigartiges, nicht kopierbares Original auf der Blockchain dar.»

Gehen wir das schrittweise an:

Eigentumszertifikat: Welche Rechte man durch die Aktion an dem Werken erwirbt, ergibt sich weder aus der Medienmitteilung noch aus der NFT-Webseite. Meine Bitte um Klarstellung wurde ignoriert.

Einzigartig: Von den einzelnen Werken gibt es bis zu 2512 Exemplare. Kann man da wirklich von „einzigartig“ sprechen‽

Nicht kopierbar: Das auf der öffentlichen Blockchain gespeicherte NFT zeigt nur auf eine „normale“ (ebenfalls öffentliche) URL. Ein Download (und damit das Anlegen einer lokalen Kopie) ist deshalb von jedem Computer uneingeschränkt möglich.

Original: In der digitalen Welt gibt es keinen Unterschied zwischen Original und Kopie.

Auf der Blockchain: Die Werke selbst sind nicht auf der Blockchain, nur ihre Verweise und Kaufbelege.

Kurz: Der Satz aus der Medienmitteilung hat—grosszügig gesprochen—kaum Bezug zur Realität.

B. Vermögenswert?

Ebenfalls in der Medienmitteilung ist von «einzigartige virtuelle Vermögenswerte» die Rede. Auch hier stellen sich Fragen zur Bewertung des NFTs innerhalb eines volatilen bzw. illiquiden Sekundärmarktes und damit die Frage, ob das NFT wirklich einen Vermögenswert darstellt.

Die drei häufigsten NFTs würde ich auch geschenkt nicht wollen. (Trotzdem habe ich mir eines der NFTs gekauft – für Analysezwecke.)

C. Paper Wallet

Die NFTs werden als «Paper Wallet» verschickt; ein auf hochwertigem Papier gedruckter QR-Code zur Betrachtung des Werks und ein Rubbelfeld, hinter dem sich die zum Weiterverkauf nötigen Informationen befinden.

Ein solches Paper Wallet hat den Vorteil, dass die Käufer sich nicht noch um die Kryptowährungen und Krypto-Wallets (=Online-Konto, analog zum Portemonnaie) kümmern müssen. Es hat aber auch den Nachteil, dass man erst nach einem gebührenpflichtigen „Weiterverkauf“ an sich selbst erfährt, ob man wirklich ein Recht an diesem NFT erworben hat oder ob einfach 4444 Mal dasselbe Couvert mit denselben Zugangsdaten versandt wurde.

Ebenfalls ist unklar, durch wie viele Hände die Geheimnisse unter dem Rubbelfeld gegangen sind, bevor die Rubbelmasse aufgetragen wurde (Kontogenerierung, Übermittlung, Druckprozess) und wie viele Leute damit ebenfalls einen digitalen Anspruch auf das Kunstwerk erheben könnten. (In der Blockchain steht nicht, wer jetzt die rechtmässige Eigentümerin ist; jede Person, welche die Geheimnisse unter dem Rubbelfeld kennt, kann es in ihrem Namen weiterverkaufen.)

Auf meine Anfrage erklärt Michael Harr, gerüstet zu sein. Es sei eine Druckerei gewählt worden, welche auch sonst mit sensiblen Daten (z.B. Lottoscheinen) umgehe und die Vertraulichkeit garantieren könne. Zusätzlich seien weitere Sicherheitsmassnahmen getroffen worden. Die Paper Wallets hätten darüberhinaus etwas Guthaben, damit für die erste Eigentumsübertragung im Wert von rund einem Rappen keine zusätzlichen Kosten anfallen würden.

Die Frage zu den mit dem NFT erworbenen Rechten und den Eigenschaften des Smart Contracts blieb jedoch unbeantwortet und damit auch unklar.

D. Neue Kanäle?

Bringt diese Aktion wirklich zusätzliche Einnahmen aus «neuen Kanälen»? Seit Jahresbeginn ist der NFT-Markt um 97% eingebrochen. Trotzdem seien «die Landkosten praktisch schon eingespielt» worden.

Erst das Fazit, welche die Pro Senectute beider Basel im Anschluss an die Aktion, welche noch mindestens bis Frühjahr dauern wird, kommunizieren will, wird aber zeigen, ob dies zu zusätzlichen Einnahmen geführt hat oder ob Spendewillige einfach den Kanal gewechselt haben.

Aber auch jenes Fazit wird kaum zeigen, ob diese neuen Kanäle nun nachhaltig sind oder nur eine Eintagsfliege.

Metaverse-Ziele

A. Teilhabe am Fortschritt?

Die Medienmitteilung motiviert die «Metaversum-Niederlassungen» damit, «die ältere Generation aktiv an technologischen Fortschritten teilhaben [zu] lassen.»

Sieht so der Fortschritt aus? (The Sandbox-Startbildschirm)

Beide Plattformen versuchen, die Spieler zum Ausgeben von Kryptowährung für allerlei In-Game-Extras zu motivieren. Wenn man nicht aufpasst, ist man schnell viel Geld los.

Insbesondere The Sandbox scheint ein auf Monetarisieren getrimmter Minecraft-Klon zu sein, der auf der Einstiegsseite mit dem gesammelten Charme einer Hinterhof-Automatenspielbude und eines Formel-1-Overalls daher kommt.

Monetarisierung: Wer nicht zuerst einen Level beendet ist es nicht wert, gespeichert zu werden.

Ob jetzt diese beiden aktuell eher trostlosen, nur englischsprachigen Welten mit ihrer zum Teil penetranten Monetarisierung und Werbung sowie dem nicht immer intuitiven Verhalten wirklich die ideale Umgebung sind, in die man Seniorinnen und Senioren locken will und diesen Plattformen sowie den darunterliegenden Kryptowährungen durch seine Präsenz Legitimität verleiht.

Decentraland ist vollgepflastert mit Werbung. Auch Werbung für Werbung. Und Werbung für NFTs. Und noch mehr Werbung für NFTs.

Die bei einigen Seniorinnen und Senioren bekanntermassen reduzierte Fähigkeit, kritisch zu hinterfragen (man denke nur an die unrühmlichen Enkeltricks), erhöht die Risiken der Nutzung solcher monetarisierten Plattformen, insbesondere, wenn dann mit möglichen extravaganten Gewinnen (durch Geldspiele oder NFT-„Investitionen“) für die finanzielle Unabhängigkeit der Senioren geworben wird.

B. Voraussage für 40 Jahre?

Im erschreckend unkritischen SRF News-Artikel wird Michael Harrs Erwartung wiedergegeben, dass es sich um Angebote handle, die «Menschen, die heute 30 oder 40 Jahre als sind, benützen, wenn sie selbst im Pensionsalter seien».

Ich halte es für extrem gewagt, jetzt schon voraussagen zu wollen, welche Technologien in 30 bis 40 Jahren noch aktuell sein werden.

Zum Vergleich: Vor 40 Jahren war das Ende des Eisernen Vorhangs unvorstellbar und das Internet in der heutigen Form noch nicht geboren; vor 30 Jahren das WWW gerade ein Jahr alt und nur wenigen Insidern bekannt. Es kann sich heute auch kaum mehr jemand vorstellen, dass es Smartphones mit Touchscreen erst seit 15 Jahren gibt, deutlich kürzer als die Prognosenperiode.

Es ist unmöglich, heute Prognosen darüber abzugeben, ob eine konkrete Plattform einer Technologie dann überhaupt noch existiert, insbesondere, wenn auch grossen Plattformen eine ungewisse Zukunft bevorsteht.

C. Zentrale Lage?

«Es seien zentrale Orte im Metaverse, vergleichbar mit Innenstadt-Standorten in der realen Welt, sagt Michael Harr, Geschäftsleiter von Pro Senectute beider Basel.»

Im Metaversum kann man sich jederzeit innerhalb weniger Sekunden an jede mögliche Koordinate teleportieren lassen. Auf den ersten Blick verliert damit das Konzept «zentrale Lage» seine Bedeutung aus der realen Welt völlig. Trotzdem gibt es Preisunterschiede zwischen Grundstücken. So haben Forscher der Universität Basel die Preise der ursprünglichen Auktion analysiert, mit der vor fünf Jahren viele Decentraland-„Grundstücke“ ihre ersten Besitzer fanden.

Ihre Schlussfolgerungen haben sie letztes Jahr publiziert, lange vor den aktuellen Pro Senectute-Käufen: Käufer waren 2017 bereit, für eine „gute Lage“ deutlich höhere Preise zu bezahlen.

Fabian Schär, einer der Autoren der Studie, erläutert: «Beim Metaverse handelt es sich um eine Aufmerksamkeitsökonomie. Ähnlich wie in der physischen Welt sind insbesondere jene Parzellen begehrt, welche eine hohe Besucherdichte haben, also beispielsweise in der Nähe von grossen Plätzen, Hauptstrassen oder wichtigen Distrikten liegen. Hinzu kommt, dass auch Parzellen mit einprägsamen Koordinaten signifikant höhere Preise erzielen. Dieser Aspekt erinnert an Märkte für Domainnamen wo ähnliche Effekte beobachtbar sind.»

Unabhängig vom Standort seien alle Landkäufe im Metaverse Hochrisikoinvestments, ergänzt er. «So interessant die Thematik auch sein mag, potentielle Käufer von virtuellen Landparzellen müssen sich stets bewusst sein, dass sie alles verlieren können.»

Einer aktuellen Studie von Wemeta zufolge ist der Wert von The Sandbox- und Decentraland-Grundstücken um 80% eingebrochen und und auch die Nachfrage ist zurückgegangen, im Decentraland um den Faktor 6.

Wie «zentral» ist die Lage nun wirklich? Die Pro-Senectute-Grundstücke im Decentraland liegen nur noch 10% vom „nördlichen“ Rand entfernt.

Die Koordinate -38,120 scheint auch nicht besonders gut merkbar, das kann es also auch nicht sein.

Das kanadische Anwaltsbüro oder die Menstruations-App „westlich“ des Pro-Senectute-Standorts dürften auch nicht für viel Laufkundschaft sorgen. Auch nicht die bereits erwähnten verlassenen Anarchie-NFT-Café mit der Aussichtsterasse oder der NFT-Discount mit der Pin-Up-Girl-Fassade. Der Nutzen der Gebäude in Richtung „Norden“ ist unklar und in Richtung „Osten“ ist unbebaute Steppe, so weit das Auge reicht.

«Zentral»? Kaum. Das Einzige, was ich mir vorstellen kann: Direkt auf der anderen Strassenseite beginnt das riesige Universitätsgelände (die oben beschriebene Steppe). Beim Durchwandern des riesigen Geländes, für das in der Decentraland-Karte keine Sehenswürdigkeiten ausgewiesen sind, bin ich einzig auf ein (leeres) Gebäude mit einer Periodentabelle und einem Rednerpult gestossen. Aber auch das wird kaum Besucherströme anziehen.

D. Isolation reduzieren?

In der Pressemitteilung lässt sich der Geschäftsleiter Michael Harr wie folgt zitieren: «So möchten wir die Integration der älteren Generation fördern und soziale Isolation reduzieren.»

Die von mir dazu befragten Seniorinnen und Senioren äusserten die Bedenken, dass durch solche Welten im Gegenteil eher die Isolation gefördert werde. Einige hatten bereits Erfahrung mit dem gemeinsamen Nutzen einer Online-Jass-App gemacht. Gemeinsam mit einem parallel laufenden Audio- oder Videoanruf sei damit fast das Gefühl des gemeinsamen Treffens an einem Tisch aufgekommen.

Für Senioren, welche sich das Bedienen eines Tablets nicht mehr so sehr zutrauen, gibt es auch Ansätze für seniorenfreundlichen Videotelefonielösungen.

E. Erlebnisse trotz Einschränkungen?

«Dank VR-Brillen können Menschen mit Behinderungen Dinge erleben, die analog nicht möglich sind. So ist es denkbar, dass eine ältere Person im Rollstuhl dank einer VR-Brille die Aussicht von einer Bergspitze erleben kann,» meint Michael Harr.

Bereits 1978 wurde eine virtuelle 3D-Tour durch Aspen erstellt. Ohne vom Sessel (oder Rollstuhl) aufzustehen, war es möglich, die gesamte Stadt zu erkunden. Ganz ohne Metaversum. Vor über 25 Jahren war die entsprechende Technik dann auch auf handelsüblichen Computern verfügbar.

Die Aussicht von der Bergspitze (oder auch der Weg dorthin) liesse sich ohne Metaversum erleben, heute sogar problemlos im Webbrowser. Nicht jede 3D-Repräsentation muss in eine kommerzielle Plattform eingesperrt werden. „Eingesperrt“ auch deshalb, weil für eine Decentraland-Parzelle nur sehr wenig Daten abgespeichert werden können; viel zu wenig für ein realistisches Bergpanorama. (Diese Limite dürfte auch ein Grund sein, weshalb die fünf Jahre alte Welt immer noch nur minimalistische Grafiken zeigt.)

F. Digitales Kurs-/Beratungszentrum?

«In der Zukunft könnte ein virtuelles Kurszentrum mit Begegnungsstätte für ältere Personen im Metaverse Realität werden

Das Decentraland-Grundstück der Pro Senectute ist 16×32 m² gross. Der (klein wirkende) Hörsaal von vorhin ist zwar doppelt so gross; ein Schulungsraum liesse sich sicher auch in der Hälfte unterbringen. Die Frage ist eher, wie würden Kurse dort abgehalten? Bisher scheint es in Decentraland keine Mechanismen zu geben, welche Wissensvermittlung unterstützen, auch abgesehen von den bereits erwähnten sehr restriktiven Speicherlimiten). Es ist auch schwer vorstellbar, dass dort jemals eine bessere Wissensvermittlung möglich sein wird als mit spezialisierten Werkzeugen (oder auch nur einer Videokonferenz).

Schlussfolgerung

Es stellt sich die ganz grundsätzlich die Frage, ob eine Welt des Hyperkapitalismus, der mehr oder weniger subtilen allgegenwärtigen Monetarisierung fast jeden Schrittes und seinen Aspekten von Glücksspiel sowie der Reizüberflutung insbesondere durch omnipräsente Werbung die richtige Umgebung für Seniorinnen und Senioren ist. Eine reduzierte, nachvollziehbarere, intuitive und bedienerfreundliche Umgebung scheint mir angesichts der sich im Alter reduzierenden Aufnahme- und Kritikfähigkeit deutlich sinnvoller für die ältere Generation.

Von mir befragte Seniorinnen und Senioren würden lieber die Sonne geniessen als so viel Zeit in ein verwirrendes System zu investieren. Wenn eine digitale Kommunikation nötig sei, würden sie das Telefon oder einen Videoanruf bevorzugen. So ein Anruf eigne sich übrigens auch hervorragend als Basis zum gemeinsamen Online-Jass.

Wenn meine Befragten wählen dürften, würden sie jederzeit die intuitivere, natürlichere Umgebung von Second Life gegenüber Decentraland bevorzugen.

Viele der übrigen Aussagen von Michael Harr sind—wie oben erläutert—für mich nicht nachvollziehbar. Deshalb bat ich die Pro Senectute beider Basel um weitere Informationen. Ich hoffte, dass sie mir Auskunft zu Konzepten bzw. Hintergrundüberlegungen, den Gesamtkosten und deren Finanzierung geben könnten. Wenn die initiale Finanzierung „nicht aus Spenden“ erfolgt ist, woher dann? (Hoffentlich auch nicht aus dem Betrieb der Altersheime oder den zweckgebundenen Geldern der öffentlichen Hand, die alle zusammen ca. 90% des Etats ausmachen.) Ebenfalls bat ich um Informationen, was denn nun die Eigenschaften (und Kosten) des Smart Contracts seien, sowie wie die Sicherheit des Produktionsprozesses des Paper Wallets gewährleistet werde. Die Antwort 1½ Wochen später ging nur selten auf meine konkreten Fragen ein. Eine lobenswerte Ausnahme stellen die Erläuterungen zu den Paper Wallets dar und dass die Wallets bereits mit etwas Kryptogeld versehen seien, damit die erste Eigentumsübertragung ohne Zusatzaufwand vonstatten gehen kann.

Damit stellt sich wie bei vielen anderen Projekten im BlockchainUmfeld die Frage, ob auch hier nur die Früheinsteiger und die Berater verdienen, oder ob auch wirklich ein nachhaltiger Mehrwert für die Gesellschaft entsteht.

Ein Teil dieser Unklarheit entsteht wohl aus der in der Kommunikation ungenügend klaren Trennung zwischen dem, woran heute gearbeitet wird und wo sich die Pro Senectute beider Basel in 30 oder 40 Jahren sieht.

Viele Unklarheiten beseitigt hätte einer Aussage wie: „Mit einen Teil der maximal 300’000 Franken aus dem NFT-Erlös wollen wir erforschen, wie wir in einigen Jahrzehnten am besten mit den Senior:innen interagieren könnten.“ Zur Zeit fehlt sowohl eine derartige Aussage als scheinbar auch ein genügend tiefes Verständnis, was die verschiedenen angedachten Technologien können und was sie definitiv nicht können.

Wenn gehypte Technologie und ihre Auswirkungen nur oberflächlich verstanden werden, ist die Gefahr von Fehl­einschätzungen und Fehlentscheidungen gross. Es bleibt zu hoffen, dass trotz der gegenteiligen Anzeichen in diesem Fall der Mehrwert für die Gesellschaft überwiegt. Und vielleicht, vielleicht bleibt am Ende auch noch etwas Geld für Projekte mit der aktuellen Generation.

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2 Antworten

  1. Pro Senectute sollte zuerst die Privacy-Hausaufgaben machen und die Google-, Facebook- und anderen Tracker von der Homepage verbannen. Das ist Dateninkontinenz, wie sie leider in vielen #datenschutznaiven #NGO-s noch gang und gäbe ist.

  2. Völliger Nonsens und eine üble Verschleuderung von Spendengeldern. Diese Aktion geht völlig am Zielpublikum vorbei, das mit der ganzen Bedienung des modernen IT-Schrotts mehrheitlich ohenhin schon hoffnungslos überfordert ist. Statt in diesem Bereich dauernd neuen Müll auf den Markt zu werden, würde man besser die vorhandene Software mal in einen guten Zustand bringen, auf Usability achten und die Bugs eleminieren. Auch etwas längere Lebensdauer-Zyklen der Hardware statt eingebautem Verschleiss würde den Usern mehr nützern, als unnützer Spielkram. Beim Bezug von Leistungen der Pro Senectute muss man sich bewusst sein, dass die bei praktisch allen Dienstleistungen reine Durchlauferhitzer sind und selber kaum etwas machen. Im Prinzip ist das wohl nichts anderes als eine Auftragsvergabe-Plattform, geschönt mit einem edlen Stiftungsmantel…

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